Handwerk Special Nr. 65 vom 25. November 1998 - page 17

s über das Unternehmen „HandwerkAG“
Von „semi-industrieller“
Fertigung will Heiner
Kamps trotz der Umsatz-
größen nichts wissen: „In
Hamburg backen wir sogar
mit einem 70 Jahre altem
Ofen mit Holzfeuerung.“
Mitarbeitermotivation der besonderen Art: Mit guter
Arbeit, ob in der Backstube oder am Verkaufstresen,
steigt die Zufriedenheit der Kunden, damit der
Umsatz und schließlich der Aktienkurs - und damit
auch das eigene Vermögen, denn viele der 3.5000
Mitarbeiter halten selbst Kamps-Aktien. Neben dem
finanziellen Anreiz sei auch die emotionale Seite
nicht zu unterschätzen: „Meine Mitarbeiter sind stolz,
Kamps-Aktionär zu sein.“
Nachgefragt
bei Dr. Reiner Selbach, Leiter
des „Emissions- und Konsor-
tialgeschäfts“ bei der West-
deutschen Genossenschafts-
und Zentralbank (WGZ):
Mit der „Kleinen AG“ kam
der Gesetzgeber mittelständi-
schen Unternehmen entge-
gen. Für wen lohnt sich die
Gründung einer Kleinen
Aktiengesellschaft?
Grundsätzlich für alle mittel-
ständischen Unternehmen,
wenn sie mittelfristig an die
Börse wollen. Vorteile sehe
ich primaär in der langfristigen
Sicherung der Unternehmens-
finanzierung und der Siche-
rung der Unternehmensnach-
folge.
Welche Vorteile bietet die
„Kleine AG“ gegenüber der
„Großen“?
Vorweg: Die „Kleine AG“ ist
keine Rechtsform. Im Gesetz
für Kleine Aktiengesellschaf-
ten sind lediglich einige
wichtige Deregulierungen zum
Aktiengesetz enthalten, die für
alle AG´s gelten. Die Ober-
grenze von 500 Mitarbeitern
gilt nur für die geänderten
Mitbestimmungsregeln.
Zu den Vorteilen: Bei der
Gründung einer „Kleinen AG“
sehe ich zunächst die Erleich-
terungen bei der Hauptver-
sammlung. Erleichterungen
gibt es auch durch die Stär-
kung der Satzungsautonomie
hinsichtlich der Gewinnver-
wendung und Globalverbrie-
fung, der Zulassung der
Einpersonengründung. Auch
die Mitbestimmung im Auf-
sichtsrat entfällt.
Es kann also EIN Handwerks-
meister seine eigene „Kleine
AG“ gründen?
Das wird durch die Gesetzes-
novelle möglich, die die
bisherigen fünf Gründungsmit-
glieder nicht mehr vorschreibt.
Im übrigen ensteht eine AG
durch Rechtsformwandel aus
einer anderen Unternehmens-
form.
Muß die „Kleine AG“ an die
Börse gehen?
Nein. Grundsätzlich geht es
um die Stärkung des Eigenka-
pitals und die Erhöhung der
finanziellen Flexibilität.
sellschaftist eineRechtsform,die
auchkleineUnternehmenmitwe-
nigMitarbeiternnutzenkönnen.“
Heiner Kamps weiß auch, daß
sichAG-Produkte besser verkau-
fen - „auch bei handwerklichen
Produkten verbindet sich das
Kürzel AG mit Imagegewinn.“
Das Handwerk habe dabei als
einer der größten Wirtschafts-
bereiche in
De u t s c h -
l a n d
a k u t e n
Nach-
h o l b e -
darf „und oft
auch Berüh-
rungsängste“,
so Vorstandsvor-
sitzender Kamps.
Der Grund: Die Un-
ternehmen werden „glä-
sern“, rechtlich sind die
Handwerksmeister verpflich-
tet, jeden Bereich bis zum Pfen-
nigumsatz denAktionärenoffen-
zulegen. „Auch die Tatsache, an-
dere besitzen Anteile an meinem
Betrieb,entsprichtnichtderMen-
talität des Handwerks.“ Und er
verheimlicht nicht, daß er trotz
seiner beruflichen Erfolge nur
selten von anderenHandwerkern
angesprochen wird, die sich für
seinUnternehmenskonzeptinter-
essieren,TipsundRatschlägevon
jemanden wollen, der eine AG-
Gründung inklusive Börsengang
erfolgreich aufs Parkett gelegt
hat.
Doch Heiner Kamps
sieht - natürlich - in
erster Linie Vor-
teile: Mit dem
Börsengang
hat sich
eine
K a -
pitalauf-
nahme ergeben,
durchdieeineweitereEx-
pansion des Unternehmens erst
möglich wurde. Deshalb macht
die Gründung einer AG gerade
dann Sinn, wenn das Unter-
nehmen eine gute
Ma r k t s t e l l u n g
habe, seine Aktivi-
täten erweitern und
z.B. neue Maschi-
nen hinzu kaufen
will. „Die Branche
spielt dabei über-
haupt keine Rolle.
ObFriseur,Metall-
bauer oder Bäcker
- stimmt die Sto-
ry,“ so der Haupt-
aktionär seinerAk-
tiengesellschaft im
Börsenneudeutsch,
„läßt sich das auch
gut verkaufen.“
Auch die Einstellung der Mitar-
beiter zur Arbeit habe sich posi-
tiv verändert. „Viele der 3.500
BeschäftigtenhaltenKamps-Ak-
tien und begreifen diese als Teil
ihrer täglichen Arbeit. Der Akti-
enkurs spiegelt ihr Engagement
wider - das motiviert und macht
stolz.“ Dieses Engagement sieht
den Kunden als König, die Pro-
dukte als wichtigen Kapitalbe-
reich - und treibt den Aktienkurs
nach oben, was sich auch in der
Briefta-
sche bemerkbar
macht.
Zum Unternehmergeist und dem
Handwerkerherz -HeinerKamps
ist Mitglied der Bäcker-Innung -
gehört auch heute noch die Of-
fenheit für das ganz alltägliche
Umfeld, die ihn beruflich und
menschlich berühren. Im Unter-
nehmen werden über 100 Lehr-
linge ausgebildet, „ineinigenauf-
gekauften Unternehmen sah die
wirtschaftlicheSituationschlecht
aus, verbunden mit Arbeitsplatz-
abbau. Doch den meisten Men-
schen haben wir die berufliche
Existenz gesichert, auch wenn
das unseren operativen Gewinn
belastete.“
Sehen ihn seine Bäckerkollegen
inzwischen alsKonkurrenten, als
Großmachtabseitsderhandwerk-
lichen Produktion, die bundes-
weitauf„Bäckerei-Einkaufstour“
ist? „Nein, auch wenn bei 500
Mio.Mark Jahresumsatz und800
FilialendieserEindruck aufkom-
men könnte. Doch im bundes-
weiten Vergleich haben wir ei-
nen Marktanteil von etwa zwei
Prozent.“ Von einer „semi-indu-
striellen“ Produktion kann trotz
der Mengen nicht die Rede sein.
„In den Hamburger Filialen wer-
den Bäckereiwaren verkauft, die
u.a. in 70 Jahre alten Öfen mit
Holzfeuerung hergestellt werden
- mit industrieller Fertigung hat
das sicher nichts zu tun.“ Heiner
Kamps sieht darin die Verwirkli-
chungeinerGeschäftsphilosophie:
HandwerklicheProduktionundmo-
dernes Management integriert in
Großunternehmen, schließen sich
nicht aus, genau sowie in kleineren
UnternehmenSonderanfertigun-
gen mit High-Tech-Anlagen auf
der Tagesordnung stehen können.
Würde er seine Aktien-Anteile
verkaufen, könnte er bis zumLe-
bensende in gut bezahlten Ur-
laub gehen. Eine verlockende
Aussicht für den Familienvater?
„Hätte ich finanzielle Interessen,
wäre ich bereitsmit demVerkauf
vor sechs Jahren in diesen gut
bezahlten Urlaub gegangen. Ich
bin Unternehmer mit Leib und
Seele.“ Und Handwerker. Nach
wie vor kann Heiner Kamps eine
Knetmaschine bedienen, einBrot
backen, „aber eben auch interna-
tionales Management praktizie-
ren, in anderen Dimensionen ein
Handwerksunternehmen amMarkt
plazieren.“ Dann verschwindet
er in der Telefonkonferenz mit
amerikanischenFond-Managern,
die Kamps-Aktien aus „good old
germany“ ihren Kunden in der
neuen Welt erschließen werden.
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