Handwerk Special Nr. 65 vom 25. November 1998 - page 26

Wichtiger Faktor in der mittelständischen Wirtschaft in Rheinland-Pfalz ist das Handwerk
Handwerksminister:
In den Parlamenten von Land und
Bund sind Handwerksmeister in der
Minderheit. Jetzt hat einer von ihnen
den Sprung von der Backstube auf den
Ministerstuhl geschafft. Bäckermeister
Hans-Artur Bauckhage wurde zum Mi-
nister für Wirtschaft, Verkehr, Land-
wirtschaft und Weinbau in Rheinland-
Pfalz gewählt.
Im August hat HANDWERK SPECIAL
dendamaligenrheinland-pfälzischenFDP-
FraktionsvorsitzendenHans-ArturBauck-
hage getroffen und mit ihm über seinen
politischen Weg aber auch seine privaten
Wünsche und Träume gesprochen (Nr.
Ausbildungssystems,insbesonderederEr-
halt von Berufsschulklassen im ländli-
chen Raum bleibt ein zentrales Thema.
HS: Welchen Tip geben Sie jungen Hand-
werksmeistern, um im Beruf erfolgreich
zu sein?
H.A.B.: Zunächst rate ich, den Sprung in
die Selbständigkeit zu wagen. Selbstän-
digkeit bedeutet immer auch ein Stück
persönlicheFreiheitmitgleichzeitigerVer-
antwortung und breite individuelle Ent-
faltungsmöglichkeiten. InDeutschland ist
die Selbständigenquote gering, so daß
engagierte junge Handwerksmeister ge-
nügend Spielraum haben. Wer sich am
Markt orientiert findet Absatzchancen.
H.A.B.: Als Bäckermeister kenne ich die
Probleme des Mittelstands und des Hand-
werks. Ich werde mich verstärkt für die
Verbesserung der Rahmenbedingungen
für die kleinen und mittleren Betriebe
einsetzen. Das bedeutet, daß die bewährte
Mittelstandsförderung fortgesetzt und
Förderrichtlinien auf weitere Deregu-
lierung überprüft werden müssen. Wir
brauchen Steuerentlastungen auf breiter
Front und mehr Flexibilität im Staat. Eine
Mehrwertsteuererhöhung ist kein Instru-
ment, um den Faktor Arbeit zu entlasten.
Die Stärkung des erfolgreichen dualen
Bäckermeister Hans-Artur Bauckhage neuer RLP-Wirtschaftsminister
Der neue Wirtschaftsminister kam
noch am Tag der Vereidigung zur
HGF-Konferenz der HwK’s von
Rheinland-Pfalz/Saarland.
Als rheinland-pfälzischer Minister für
Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und
WeinbauweilteRainerBrüderle,jetztstell-
vertretender FDP-Fraktionsvorsitzender
im Deutschen Bundestag, oft beim Hand-
werk undwar auch inHANDWERKSPE-
CIAL präsent. Nach seinem
Wechsel von der Landes- in
die Bundespolitik sprachen
wir noch einmal mit ihm.
HS: Sie waren zwölf Jahre
Landeswirtschaftsminister,
Sie waren der Minister für
Mittelstand und Handwerk.
Wie beurteilen Sie die Ent-
wicklung von Land und Mit-
telstand in dieser Zeit.
R:B.: Es waren ausmeiner Sicht erfolgrei-
che Jahre, denn wir sind bei verschiede-
nen Wirtschaftsdaten immer in der Spit-
zengruppe der Länder in Deutschland.
Beim Export sind wir vorn und bei der
Produktivitätsentwicklung, wir sind beim
Arbeitsmarkt auf Platz 3, direkt hinter
Bayern und Baden-Württemberg. In
Rheinland-Pfalz gehören 98 Prozent der
Betriebe zum Mittelstand. Sie sind das
Rückgrat unserer Wirtschaft. Besonders
stolz bin ich darauf, daß es uns gelungen
ist mit verschiedenen Offensiven, und das
Handwerk war das Herzstück dabei, die
Existenzgründungen nach oben zu bewe-
gen. In den letzten drei Jahre sind 120.000
neueUnternehmen inRheinland-Pfalz ge-
gründet worden, sehr viele
davon im Handwerk. Die Er-
fahrung zeigt, daß pro Grün-
dung vier bis fünf Arbeits-
plätze entstehen, so daß hier
kompensiert wird, was wir in
der Industrie verlieren.
Es ist uns ein Innovations-
prozeß gelungen durch eine
breite Palette von neuen
Instumentarien-zueinemgro-
ßen Teil auf Anregung des
Handwerks -, die bundesweit einmalig
und sehr wirkungsvoll sind: Ich denke
dabei an die output-orientierte Innova-
tionsförderung. In keinem anderen Bun-
desland gibt es für jemand, der etwas
erfolgreich eingesetzt hat, im Nachhinein
quasi eine Leistungsprämie. Als sehr hilf-
reich erwies sich die Investitions- und
Strukturbank;mir lag sehr amHerzen, daß
wir Wirtschaftsförderung aus einer Hand
machen. Wir haben Mittelstandsdarlehen
eingeführt, die vor kurzem noch bei 3,5
Prozent auf zehn Jahre festlagen. Das sind
einmalige Konditionen. Ferner haben wir
eine Innovationsstiftung auf den Weg ge-
bracht für wirtschaftsnahe Forschung, um
kleineren Unternehmen den Zugang zu
teils überbetrieblichen Entwicklungs-
möglichkeiten zu eröffnen. Das ist auch
Sinn der Technologiepolitik: Struktur-
schwächen der Kleinen, die sich keinen
Chemiker, Physiker oder Mathematiker
erlauben können, auszugleichen.
HS: Hat das Handwerk bei der Globali-
sierung der Märkte Chancen?
R.B.: Ohne Frage. Das Handwerk stellt ja
das da, was die Stärke Deutschlands aus-
macht: IndividualisierteLösungsmöglich-
keiten. Wir sind in vielen Sektoren nicht
der Standort für eine billige Massenpro-
duktion. Auch inKostenstruktur und Löh-
nen können wir nicht mit Südportugal
oder China konkurrieren. Wir können nur
mit bester Qualität und hohen technischen
Entwicklungsstandarts unsere Position
halten und ausbauen. Das Handwerk ist
starkdurchseineAnpassungsfähigkeitund
das bewährte Duale System. Es ist ein
Weltschlager geworden, und selbst Län-
der, die ihm kritisch gegenüber stehen,
haben dies erkannt. Die Amerikaner wol-
len es einführen, Engländer und Franzo-
sen haben Ansätze für eine Mischung aus
Theorie in der Berufsschule und dem
Learning by doing, der Erfahrung im Be-
trieb, entwickelt.
Wenn wir am dualen Ausbildungssystem,
am großen Befähigungsnachweis als Si-
cherung des hohen Levels an Ausbildung
wie bisher festhalten, wird das Handwerk
weiter eine der großen Erfolgsstützen un-
serer Volkswirtschaft sein.
HS: Ihr Gang in die Bonner und Berli-
ner Politik – ist das ein Intermezzo, oder
ist es ein neuer Lebensabschnitt?
R.B.: Auf jeden Fall ein neuer Abschnitt.
Manche haben nicht verstanden, weshalb
ich mich so entschieden habe. Ich gehe
nicht abgewählt, wie die vergangene Bon-
ner Regierung, sondern freiwillig, unge-
schlagen, mitten in der Legislaturperiode
aus dem politischen Feld in eine neue
Phase hinein. Und das habe ich aus zwei
Gründen gemacht. Einmal, reizt es mich,
auch als stellvertretender Vorsitzender
meiner Partei diesen neuen Abschnitt mit-
zugestalten, die neue Rolle in der Opposi-
tion. Es ist immer schöner zu regieren.
Wenn der Wähler diese Rolle zuschreibt,
muß man sie annehmen. Zweitens glaube
ich, daß man politische Ämter nicht zu
lange an der gleichen Stelle wahrnehmen
sollte, das ist für das Amt nicht gut, für die
Partei und für einen selbst auch nicht. Ich
war zwölf Jahre in der Kommunalverwal-
tung, Bürgermeister von Mainz, dann
zwölf Jahre Landesminister und bin jetzt
bereit, eine neue Herausforderung anzu-
nehmen – vielleicht werden es auch zwölf
Jahre Bundespolitik.
63, 2.9.98). Im November gratulieren wir
dem frisch vereidigten rheinland-pfälzi-
schenWirtschaftsministerBauckhage und
erinnern dabei auch an das Gespräch im
Spätsommer.
HS: Herr Minister, die Nachfolge von
Herrn Brüderle anzutreten, gehörte ur-
sprünglich nicht zu ihren Wünschen?
H.A.B.: Das stimmt. Meine Arbeit als
Fraktionsvorsitzender hatmir großenSpaß
gemacht. Oft kommt es anders im Leben
als man denkt. Ich freue mich jetzt auf
diese neue Herausforderung.
HS: Die Wirtschaftspolitik des Landes
wurde stark von Ihrem Vorgänger ge-
prägt. Wo werden Sie Akzente setzen?
Hans-Artur Bauck-
hage im Handwerk
special-Portrait.
Rainer Brüderle macht jetztWirtschaftspolitik in Bonn
1...,16,17,18,19,20,21,22,23,24,25 27,28,29,30,31,32
Powered by FlippingBook