Handwerk Special Nr. 65 vom 25. November 1998 - page 16

Neue Ideen in einem traditionellen Handwerk
Auf Meisterkurs:
Bäckermeister undAktionär Heiner Kam
Heiner Kamps und sein
Aktienkurs kennen zur
Zeit nur eine Richtung.
Ahrweiler Konditormeister verwöhnt
internationale Leckermäuler
Ein Konditormeister aus Ahr-
weiler verwöhnt jetzt auch Ge-
nießer inGroßbritannien und den
USA: Ernst Georg Schaab ex-
portiert Mohnkuchen.
Champagnertrüffel mit feinster
Kruste und delikater Füllung aus
einem speziellen französischen
Brand,Schokoladeforellen,Wein-
bergschnecken aus Nougat, tra-
ditionelle Neuenahrer Ananas-
törtchen - der Genießer kann sich
bei Konditorei Schaab in Ahr-
weiler feinsten Verlockungen
hingeben. Seit 1960 verwöhnt
Ernst Georg Schaab in seinem
Café in der Fußgängerzone seine
Kunden. Drei Gesellen und drei
Lehrlinge zählen zu seinem
Team, je nach Saison bekommen
sie Verstärkung. Die Filiale Bad
Neuenahr hält Ehefrau Jutta in
Schwung.
Sein neuester Hit ist der Export
von Mohnkuchen nach Großbri-
tannien. „Seit dem ersten Okto-
ber ist unser Produkt bei der Fir-
ma Waitrose, eine Kette mit 117
Niederlassungen in gutenWohn-
gebieten, gelistet.“Aber: „derEr-
folg im Export liegt nicht auf
dem Treppchen“, erklärt Ernst
GeorgSchaab. „DieAuswahl des
Importeurs und die Logistik sind
genau so wichtig wie die sorgfäl-
tige Produktion, wobei wir unse-
reKuchen einer ständigenQuali-
tätskontrolle unterziehen.“
„Denken wir 40 Jahre zurück“,
erinnert sich Ernst Georg Schaab
und verrät den Ursprung seines
süßen Exportgeheimnisses, „so
denke ich an meine Schwieger-
mutter ausSchlesien. Sie schenk-
teunszurHochzeitfeineDaunen-
plumeaus und ein Mohnkuchen-
rezept der Köchin.“ Das Rezept
gerät zunächst in Vergessenheit,
bis Mohnkuchen in der Kondito-
rei nachgefragt wird. Bald rufen
die Kunden bei ihm an und las-
sen sich den Kuchen zuschicken.
Auf der Süßwarenmesse in Es-
sennimmteinamerikanischerIm-
porteur seine Mohnkuchen und
später die Eifeler Nußkuchen,
„nach dem Rezept meiner Groß-
mutter“ ins Programm. Jetzt freut
sich Waitrose in Großbritannien
auf die Lieferungen aus Ahr-
weiler. Die ersteLadungmit über
33 Tonnen Mohnkuchen ist auf
dem Weg. „Zunächst prüfen wir
den Erfolg dieses Produktes.
Wenn´s klappt, ziehen wir im
nächsten Jahrmit Tee- undWeih-
nachtsgebäck nach.”
zum Auslandsgeschäft von
Handwerksunternehmen
gibt die Exportberatung der
HwK Koblenz:
Tel.: 02617398-244, Fax: -
994, e-mail: beratung@
hwk-koblenz, Internet:
Informationen
Mohnkuchen aus der Ahrweiler Konditorwerkstatt von
Ernst Georg Schaab treten ihre Reise aus der Eifel auch
über den großen Teich in die USA an.
Meisterkurs
bei der HwK
Der nächste Meistervorberei-
tungslehrgang im Konditor-
handwerk startet im Januar ´99.
Infos und Anmeldung bei der
HwK-Meisterakademie:
Tel.: 02617398-402, Fax: -990,
e-mail: bildung@ hwk-koblenz,
Internet:
Heiner Kamps: 43 Jahre, verhei-
ratet, zwei Kinder.WohnortDüs-
seldorf.Meisterprüfung als Bäk-
ker mit 23 Jahren. Wanderjahre
folgen. 1982 die Betriebsgrün-
dung, ein Angestellter. Teil eins
seiner Biographie.
1998. Teil zwei: 5.000Angestell-
te, darunter über 100Bäcker- und
Konditorenmeister. Fast 800 Fi-
lialen - vonHamburg über Berlin
bisNürnberg. 500Mio.Mark Jah-
resumsatz. Im Jahr 2002 soll die
Umsatzhürde von einer Milliar-
deMarkgenommenwerden.Was
den Namen Kamps weltweit be-
kannt macht, sind zwei Buchsta-
ben: AG. Als einer der ersten
Mittelständler gründet Heiner
Kamps 1996 eine Aktiengesell-
schaft,alsersterHandwerkergeht
er im April 1998 mit seinem
Unternehmen an die Börse. Sei-
ne AG wird zum erfolgreichsten
Neueinsteiger 1998 imamtlichen
Aktienmarkt Deutschlands: Aus
demEmissionskurs von 49Mark
werden - trotz Börsenkrise - fast
100 Mark im November. Ohne
nennenswerteKurseinbrüchemar-
schiert die Kamps-Aktie durch
die Börsenkrise dieses Sommers
und macht 100 Prozent Gewinn.
Zufall?
Zufälle haben in der beruflichen
Biographie von Heiner Kamps
wenig Platz. Der gebürtige
Bocholter (Westfalen) trat
mit der Bäckerlehre in die Fuß-
stapfen des Vaters. Der Lehre
folgen Wanderjahre, bereits mit
23 Jahren besteht er die Meister-
prüfung.DasDatumkommt noch
heutewie aus der Pistolegeschos-
sen: „April 1979“.
Im Abendstudium, nach der Ar-
beit an Knetmaschine und Ofen,
absolviert Heiner Kamps ein
BWL-Studium. Und schließt
auch dieses erfolgreich ab.
1982beginnt dieErfolgsstoryder
„Brot- und Brötchen-Aktie“.
Kamps gründet einenBetrieb, be-
schäftigt einenMitarbeiter. Zehn
Jahre später ist aus dem Düssel-
dorfer Zwei-Mann-Bäckerbe-
triebbereits einUnternehmenmit
20 Filialen geworden, der Jah-
resumsatz beträgt 21 Mio. Mark.
1992 verkauft der Handwerks-
meister dasUnternehmen an eine
Kette aus Süddeutschland, die
ihrerseits einem US-amerikani-
schen Konzern gehört, für das
Kamps imManagement-Bereich
weiterhin tätig ist. „Als Ange-
stellter eines US-Unternehmens
baute ich den Handwerksbäk-
kereibereich inDeutschland auf -
zu dem auch meine ehemalige
Bäckerei zählte“. Eine Zeit, in
der Heiner Kamps Einblicke
in amerikanische Manage-
mentsystemeerhält:„Allein
im Venture Capital-Be-
reich ist uns die amerika-
nische Wirt-
schaftskul-
tur
weit
v o r a u s “ ,
nennt der Düs-
seldorfer Unter-
nehmer einen deut-
schenProblembereich, dener neu
definierte: Die Beteiligung von
Geldgebern, die nicht aus dem
klassischen Finanzbereich - so
Banken - kommen und hierzu-
lande als stille oder aktive Betei-
ligung bezeichnet werden. Er-
gebnis des in Deutschland weit
verbreiteten Risikodenkens im
Investmentbereich: Einen Groß-
teil der Aktien an der größten
deutschen Filialbäckerei halten
ausländische Investoren.
Das AG-Erlebnis
Im Dezember 1996 bietet sich
demDüsseldorferBäckermeister
- mit Hintergrund seiner Kennt-
nisse im Buy-Out-Bereich nach
amerikanischen Muster - die sel-
tene Gelegenheit, das von ihm
aufgebauteundbetreuteUnterneh-
men zurückzukaufen. Er kauft.
Und gründet eine Aktiengesell-
schaft, die im Frühjahr ´98 mit
Brot, Brötchen und Kuchen das
Börsenparkett verwöhnt: Die
Kamps AG. Die Umsatzzahlen
machen einige Analysten schwind-
lig, ebenso der Zukauf weiterer
Filialketten im gesamten Bun-
desgebiet. Nur wenige hierzu-
lande habendamit gerechnet, daß
manmit frischen Backwaren den
DAX (Deutschen Aktienindex)
„outperformen“ - also über dem
Durchschnittswert aller deut-
schen Aktien liegen kann.
An der Börse wird die Kamps-
Aktie ein Renner, denn sie weist
unter allen 98er Neuemissionen
des amtlichen Marktes die beste
Biografie auf. Heute wechseln
manche Woche mehr als eine
Million Aktien den Besitzer - ein
Wert von rund 80 Mio. Mark.
Der Börsenwert hat Ursachen -
und Folgen: Bäckermeister
Kamps bringt sechs Groß-
bäckereien unter ein
Dach - unter
seinDach.
Und
doch sieht
sich Heiner
Kamps, Mehr-
heitsaktionär seines Unterneh-
mens und damit vom Papier her
„reich“, nicht alsLebemann, son-
dern als Unternehmer, als Hand-
werker. Und fordert ein Umden-
ken in der mittelständischen
Aktienkultur. Bundesweit exi-
stieren mehr als 500.000 Unter-
nehmen mit der Rechtsform
„GmbH“ - zumeist aus demMit-
telstand. Geradezu bescheiden
muten da die 4.000 deutschen
Aktienunternehmen an, darunter
etwas mehr als ein Dutzend
Handwerksunternehmen. „Die
Aktiengesellschaft bietet Formen
der Kapitalbeschaffung, aber
auch die Optimierung betriebs-
wirtschaftlicher Abläufe bis zur
Unternehmensübergabe, die
durch den Mittelstand mehr ge-
nutztwerdenmüssen.“EinWech-
sel, den der Bäckermeister für
die kommenden Jahren progno-
stiziert:DasAnlegerverhaltenän-
dert sich gerade, das Börsenin-
teresse ist da. Die Öffnung von
Unternehmen „proAktienmarkt“
müsse zwangsläufig folgen.
Angst vor der überdimensiona-
len AG braucht ein Mittelständ-
ler nicht zu haben. „Aktienge-
1...,6,7,8,9,10,11,12,13,14,15 17,18,19,20,21,22,23,24,25,26,...32
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