Handwerk Special Nr. 65 vom 25. November 1998 - page 18

Eines der ältesten Handwerke kehrt ins „gut kleidende“ Rampenlicht zurück
Handwerk kleidet:
Kürschnerhandwerk bietet individuelleMode
Die Steinzeitjäger pirschen
durch den Wald. Sie erlegen
ein Mammut und feiern
danach ein Freudenfest. Der
Erfolg auf der Jagd bedeutet
für ihre Sippen nicht nur
Fleisch. Aus den Knochen,
Kräten und Gehörn der
erlegten Tiere fertigen sie
Werkzeuge. Aus Häuten und
Fellen nähen sie ihre Klei-
dung. Sehnen und gedrehte
Därme dienen als Fäden. So
oder ähnlich hat es sich
damals wohl zugetragen.
Höhlenzeichnungen beweisen,
daß die Menschen schon in der
Steinzeit FellewährendderWin-
termonate als zusätzliche Klei-
dung trugen. Sowohl der Vor-
geschichtsforscher wie der Hi-
storiker der geschichtlichen Zeit
rechnen den Kürschner zu den
ältesten Handwerksberufen.
DasVerhältnis derMenschen zu
diesem Naturprodukt war in der
Vergangenheit Schwankungen
unterworfen. So führten Ende
der80erJahreAntipelzkampagnen
fast zum Aussterben eines gan-
zenHandwerks. Inzwischen lau-
fenTop-ModelswieNaomiCamp-
bell und Cindy Crawford, die
noch 1994 tönten „Lieber nackt
als im Pelz!“, längst wieder im
Nerz über die Laufstege. Ob Jil
Sander, Lagerfeld oder Saint
Laurent - in einem sind sich alle
Designer einig: Pelz ist wieder
schick.
Der Zentralverband des Kür-
schnerhandwerksBadHomburg
spricht bereits 1996 von einem
Umsatzplus von 12,3 Prozent,
das 1997 und im ersten Halbjahr
1998 nochmals umzwei Prozent
steigt.Geradejetzt,wennesdrau-
ßen ungemütlich stürmt, hat der
PelzHochsaison.BesondersFrau-
en favorisieren ihn. Ein Stück
Pelzmuß sein - alsKragen,Man-
schette, Schal oder Mütze. Das
ist derzeit der Trend.
Kürschnermeister Brigitte und
Dieter Runge aus Koblenz ver-
weisen auf Pelzkombinationen
mit Stoff, von Seide, Mikrofaser
bishinzuHigh-Tech-Stoffenmit
Glanzeffekt. Alles wird ausge-
füttert als Wendeteil in Zobel,
geschorenen und gerupftenNer-
zen, Samtwiesel undanderen fla-
chen, weichen Fellwaren. Män-
tel, Swinger und Jacken aus ih-
rer Werkstatt sind strapazierfä-
hig und dem Zeitgeist entspre-
chend. „Bei Neuanfertigungen
undmodischenUmgestaltungen
wird je nach Typ der Trägerin
der individuelle Schnitt und die
dazu passende Fellart ausge-
sucht. Wir setzen auf tragbare
Modelle für je-
den Tag. Pelz
muß kein Luxus-
artikel, sondern
erschwinglich
sein. Es ist wich-
tig,demKlischee,
Pelze sind nur etwas für ältere,
gut situierte Damen, mit junger
leichter Mode entgegenzuwir-
ken“, erklärt Runge. Bevor er
vor vier Jahren mit seiner Frau
ein Pelzfachgeschäft eröffnete,
arbeitete er als Meister in ver-
schiedenen Pelzgeschäften und
war Dozent an der Bundesfach-
schule für Fachtechnik, Schnitt-
design und Schnittechnik in
Frankfurt.
Der Erfolg gibt dem Meister-
ehepaar recht. Anläßlich der In-
ternationalen Pelzmesse
„Fur + Fashion“ in
Frankfurt gewann das
Pelzhaus Runge 1998
für ihre Pelzkreationen eine der
begehrten Goldmedailien. Ein
Kurzmantel in Swakara Breit-
schwanz Lamm aus dem Pelz-
haus Runge erhielt die interna-
tional nur neunmal vergebene
Swakara-Urkunde.
Kürschnermeister Werner Füh-
rer vom Koblenzer Pelzhaus
Schmidt hebt den „samtigen
Charakter“ der Pelzmode in die-
serSaisonhervor.„Samtnerzund
Samtwiesel auchalsAccessoires
sind in. Hochaktuell, eine Stola
aus Polarfuchs zum hautengen
Abendkleid,derNerzkragenzum
Kaschmirmantel. Getragenwer-
den Pelze in militärisch gerader
oderromantischfließenderSchnitt-
führung“, so Führer. Als Farbe
der Zukunft nennt der Kür-
schnermeister „alle Grüntöne“.
Der Linzer Kürschnermeister
MartinBosch, der 1986 seinAte-
lier eröffnet hat, nennt Nerz, Zo-
bel, Feh und Breitschwanz als
bevorzugte Materialien. Kom-
biniert mit edlen Stoffen sind sie
envogue. Entwurf,Materialaus-
wahl und Ferigstellung liegen
bei Bosch in einer Hand, so daß
dieKundin ihren Pelz nach eige-
nen Vorstellungen auch mit-
gestalten kann. Für seine Krea-
tionen bekam der Pelz-Designer
auf der „Fur + Fashion“ Messe
bereits in diesem Jahr bereits die
achte Goldmedaillie.
Bundesweit gibt es 1.191 Kür-
schnerbetriebe, 17 davon im
nördlichen Rheinland-Pfalz:
Bad
Neuenahr-Ahrweiler
: Sissi
Schmalzing sowie Alfred Paul
Pauly
Linz
: Martin Bosch sowie
Ralf Crone
Zahlen &
Fakten
Bad Kreuznach
: Uwe Hartmann
Idar-Oberstein
:HeinrichTröndle
Koblenz
: Martina Stertz, Pelz-
haus Schmidt, Dieter Runge
Lahnstein
: Gerd Förster sowie
Birgit Sommer
Ellenhausen
: Detlef Bauer
Montabaur
: Rudolf Ulbrich
Salzburg
: Karin Pohl
Neuwied
: Uwe Dieler
Mayen
: Pelz-Leder-Mode-Haus
Betzdorf
: Peter Boquoi OHG
Das Kürschnerhandwerk und ein Teil
der Wintermode 98/99 - hier aus dem
Koblenzer Pelzhaus Schmidt.
100prozentige Handarbeit, die keine
Fehler am teuren Material verzeiht,
gehören zur Arbeit von Kürschner-
meisterin Brigitte Runge aus Koblenz.
Dieter und
Brigitte Runge
- das Koblen-
zer Kürschner-
ehepaar -
haben ihr
Geschäft vor
vier Jahren
gegründet.
1...,8,9,10,11,12,13,14,15,16,17 19,20,21,22,23,24,25,26,27,28,...32
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