Handwerk Special Nr. 72 vom 3. Januar 2000 - 100 Jahre Handwerkskammer Koblenz - page 26

Die Werkstatt des Großvaters
war gerade einmal acht Qua-
dratmeter groß, die Werkhal-
le des Enkels Raimund
Schwarz misst 900 Quadrat-
meter. Allein diese Zahlen
deuten schon den bemerkens-
werten Aufschwung der Hol-
zappeler Glaserei Schwarz im
Laufe des 20. Jahrhunderts
an, den eines Betrieb, dessen
Anfänge gar schon ins 17.
Jahrhundert zurückreichen.
Nicht umsonst sind die
Schwarz in ihrem Heimatort
schlicht und einfach als „die
Gläsner“ bekannt.
Der erste Schwarz, der als
„Gläsner“ imKirchenbuch des
Ortes erwähnt wird, ist Chris-
toffel. Man schreibt das Jahr
1624. Unruhige Zeiten sind es,
die Wirren des Dreißigjähri-
gen Krieges sind auch hier, an
der Lahn, deutlich zu spüren
und lassen mehr als nur eine
Scheibe zu Bruch gehen. Wer
weiß, vielleicht bringt ja gera-
de das Christoffel zur Glaserei.
Schweres,mundgeblasenesGlas
ist es, das er in seinerWerkstatt
zuschneidet und dann in der
„Kiez“, einem Tragekorb auf
dem Rücken dorthin transpor-
tiert, wo es gebrauchtwird, und
einbaut. Unten in der Kiez das
zum Einbau benötigte Werk-
zeug,obendraufdiezugeschnit-
tenen Scheiben. Glücklicher-
weisesindsienochrelativklein;
große lassen sich damals noch
gar nicht herstellen. Außerdem
gehtman sparsammit demMa-
terial um; wenn eine Scheibe
zerbricht, setzt man häufig lie-
ber noch eine Sprosse ins Fen-
ster ein, um nicht gleich alles
erneuern zu müssen - material-
und ressourcenschonendes Ar-
beiten des 17. Jahrhunderts.
Gläsner seit Generationen
Oft ging es in jenen Zeiten bei
Wind und Wetter viele Kilome-
ter querfeldein bis zu den Kun-
den, häufig waren auch die
Schlösser der Gegend das Ziel,
Balduinsteinbeispielsweiseoder
SchlossSchaumburg. Bei sovie-
len Fenstern war eigentlich fast
immer etwas zu tun. „Allein von
der Glaserei konnte Christoffel
trotzdem nicht leben,“ plaudert
Raimund Schwarz, Gläsner der
10. Generation, der zusammen
mit seinem Sohn Thilo den Be-
trieb leitet, aus der langen Fami-
lien- und Firmengeschichte,
„deshalb hatten die Schwarz
immerauchnochLandwirtschaft
nebenbei,sichertendamitihrtäg-
lich Brot.“ Einige arbeiteten au-
ßerdem in der Grube Holzappel,
bauten hier mühsam Silber und
Blei ab. Heute befindet sich das
Firmengelände der Glaserei an
einer Stelle, wo früher einmal
ein See gewesen war, Relikt der
Arbeit der Grube.
Einiges aus der Chronik der Fa-
milie kennt Raimund Schwarz
noch aus eigener Anschauung
bzw. aus den Erzählungen des
Großvaters, dessen Gesellen-
brief,ausgestelltam13.Juli1857
in Limburg, zu den eifrig gehü-
teten Dokumenten gehört, die
die Zeiten überdauert haben. 20
Kreuzer musste „Glaßer Lehr-
ling Karl Wilhelm Schwarz“ für
den in schönstem Sütterlin ge-
schriebenen Lehrbrief zahlen.
Bereits in seiner Zeit, an der
Wende vom 19. zum 20. Jahr-
hundert, begann das unaufhalt-
same Wachstum der Glaserei.
Die ersten Maschinen wurden
angeschafft,einenähmaschinen-
ähnlich mit Hand- und Fuß-
betrieb ausgestattete Bandsäge,
ein paar Jahre später eine nun
schon elektrisch angetriebene
Fräse.
FenstermitComputereinsatz
Mit zunehmendem Maschinen-
park wurde die bescheidende
Werkstatt amKirchplatz desOr-
tes schnell zu klein, man baute
an und um, und mit der Kiez
transportierten nun die Schwarz
ihre Scheiben auch nicht mehr,
denn 1936 hatte man das erste
Autoangeschafft.NachderWäh-
rungsreform zog dann Wilhelm
Schwarz, der Vater Raimunds,
mit seiner Werkstatt in die Nas-
sauer Straße um, an einen Ort,
der glücklicherweise reichlich
Platz zu weiterer Expansion bot.
Platz braucht allein schon die
1994, rechtzeitig zum 370. Fir-
mengeburtstag, in Betrieb ge-
nommene computergesteuerte
Fertigungsanlage für die Fen-
sterproduktion, das Hauptstand-
bein der Glaserei heute. „Die
Anlage ist mit dem Büro ver-
netzt, damit könnenwir die Auf-
trägemit allen notwendigenAn-
gaben gleich weiterleiten und
sehr schnell bearbeiten, Holz-
fenster in jeder beliebigen Grö-
ße maßgeschneidert und in kür-
zester Zeit anfertigen.“ Das,
meint Schwarz, sei auch unab-
dingbar, da sich die Auftrags-
fristen immer weiter verringer-
ten, man immer schneller rea-
gieren können müsse. Dafür
sorgt auch die durchdachte Ra-
tionalisierung aller weiteren Ar-
beitsabläufe.DerWerkstatthalle
gegenüber, in der neben Fen-
stern und Wintergärten auch
Haustüren aus Holz gefertigt
werden, „weil ich glaube, dass
dies nach wie vor das optimale
Material für Fenster und Türen
ist, natürlich schön und dauer-
haft zugleich,“ liegt eine andere
Halle, in der das Holz imprä-
gniert und lackiert wird. An sie
schließt sichdie eigentlicheGla-
serei an. Der Kunde hat auch
hier die Qual der Wahl, kann
sich unter unzähligen Varianten
das Glas aussuchen, das seinen
Bedürfnissen am ehesten ent-
spricht, schallschluckendes
oder einbruchhemmendes, bis
hin zu Panzerglas, das selbst
schwerstem Geschütz erhebli-
chenWiderstandentgegensetzt.
Wie sehr das Gläsnern bei den
Schwarz im Blut liegt, zeigt
sichauchnebenan.DahatToch-
terCarolyn, die jüngst denMei-
ster als Glaserin machte, ihre
eigeneGlaswerkstatt eingerich-
tet. Konkurrenz macht sie Va-
ter und Bruder allerdings nicht,
„ich gehe stärker in die gestal-
terische Richtung“, kommen-
tiert sie. Wer nicht nur nüchter-
ne Scheiben sucht, sondern z.
B. schöne Schalen aus Glas,
wäre bei ihr gerade richtig.
Glasermeister Thilo
Schwarz wird das 1624
gegründete Familienunter-
nehmen zusammen mit
seinem Vater nach 376
Jahren ins neue Jahrtau-
send führen.
Glas (der Begriff kommt aus dem Althochdeutschen und be-
deutet ursprünglich „Benstein“) dürfte in Europa bereits in
der Bronzezeit hergestellt worden sein. Darauf deuten Glas-
perlen, die man als Grabbeigaben fand. Aus der Hallstattzeit
sind Glasgefäße aus eigener Produktion belegt. Die ersten
Glasgefäße stammen aus Mesopotamien und Ägypten und
waren Behälter überwiegend aus blauem Glas, die um einen
Sandkern geformt wurden. Assyrische Keilschrifttexte aus der
Zeit 1700 bis 700 v. Chr. berichten von Glasöfen, -schmelzen
und –rezepten; Römer brachten die in Syrien erfundene Glas-
macherpfeife nach Italien und riefen in Gallien und im
Rheinland eine bedeutende Glasindustrie ins Leben; sie ver-
wendeten auch als erste Glas als Fensterfüllung. Im 15. Jh.
übernahm Venedig mit seinem „cristallo“ die führende Rolle
als Glasproduzent; im 17. Jh. verbreitete sich der Glas-Schnitt
(„Böhmisches Kristall“). Die Glasrezepte blieben lange Zeit
nahezu unverändert und wurden oft geheimgehalten. Im 19.
Jahrhundert wurde auch die Glasherstellung teilweise in-
dustriealisiert; Glasschmelzöfen wurden nun nicht mehr mit
Holz, sondern Kohle und maschinell in Form gepresst.
Sohn Thilo und Vater Schwarz führen das Fensterbauunternehmen
Schwarz aus Holzappel in der zehnten, bzw. elften Generation
Handwerker gewäh-
ren ihren Kunden bei
Zahlungsverzöge-
rungen oft auf indi-
rektem Weg Kredit;
das bringt sie selber
bei Materialrechnun-
gen in Schwierigkei-
ten. Dank des HwK-
Geschäftsführers
Camphausen und
seines Nachfolgers,
Dr. Faßbender
bringt die neu-
gegründete Koblen-
zer-Kunden-Kredit-
genossenschaft
Erleichterung.
1954 – Gründung der Kundenkredit-Genossenschaft
1...,16,17,18,19,20,21,22,23,24,25 27,28,29,30,31,32,33,34,35,36,...50
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