Handwerk Special Nr. 72 vom 3. Januar 2000 - 100 Jahre Handwerkskammer Koblenz - page 25

JedenTagfuhrerhin,zurBrük-
ke, um ganz offiziell für das
Straßenneubauamt Koblenz zu
dokumentieren, wie es mit dem
Bau voran ging. Dann kam der
3. November 1971. AmMorgen
gab es Verzögerungen an der
größtenBaustelle der Stadt, der
tägliche Fototermin wurde ver-
schoben. Der Bauleiter ver-
sprach anzurufen, sofern das
LebenandemKoloss ausBeton
und Stahl im Bild festgehalten
werden sollte. Als das Telefon
klingelt, hört Herbert Gauls die
schockierendenWorte:„Komm
schnell, die Brücke ist einge-
stürzt!“
Der Einsturz der Koblenzer
Südbrücke ist einer der tra-
gischsten Augenblicke in der
jüngeren Koblenzer Stadtge-
schichte, ein Augenblick, den
Fotografenmeister Herbert
Gauls mit seinen Bildern vor
demVergessenbewahrt hat.Als
eranderRheinbrückeankommt,
bietet sich ihm ein grausiges
Bild. Wie ein sterbender Ko-
loss liegen die Brückenteile im
Wasser. Ein Polizeiboot nimmt
ihn an Bord und umfährt die
Unglücksstelle, „im Wasser
schwammen tote Bauarbeiter.“
„Man kann sich in unserem
Beruf nicht aussuchen,wasman
fotografiert“, sagt er nach einer
kurzen Pause und bekommt
Bestätigung durch Sohn Tors-
ten, ebenfalls Fotografen-
meister. Damals war Herbert
Gauls auch als Pressefotograf
im Einsatz, „ich dokumentierte
Zeitgeschehen, und dieses Un-
glück war Teil des Zeitgesche-
hens“.
Fotogene Weltreise
Stunden später gingen damals
seine Fotos um die Welt, in der
Nacht amEnde dieses traurigen
TagesannektiertenReporterdas
Wohnzimmer der Familie
Gauls, um ihren Redaktionen
Bilder zu liefern: Spiegel, Stern,
Quick – alles was Rang und
Namen hatte, saß auf dem
Gauls’schen Sofa.
Scanner, Computer, Internet, e-
mail - all das gab es zu dieser
Zeit noch nicht. Also setzte sich
der „Bildbeschaffer“ ins Auto
oder den Zug und reiste zum
„Bildlieferanten“. Was keiner
der Reporter wusste: Herbert
Gauls war einer der ersten Fo-
tografen, die in Deutschland mit
einem „Bildfunkgerät“ arbeite-
ten, den Weg nach Koblenz hät-
te man sich der Bilder wegen
sparen können. „Die Technik
war so neu, da hat wohl niemand
damitgerechnet,dassausgerech-
net bei einem Koblenzer Foto-
grafeneinesolcheAnlagesteht“,
kommentiertGauls bescheiden
seineAnschaffung, die anson-
sten nur Fernsehsendern oder
großen Verlagen zur Verfü-
gung stand.
Bildkulisse geht online
Beim Rundgang durch das Un-
ternehmen begreift man Raum
für Raum die ganze Tragweite
der technischenEntwicklungbis
zum heutigen Tag. Da wird im
riesigen Fotostudio eine Dusch-
ecke mit viel hand-
werklichem Auf-
wand gebaut, farb-
lich auf den Kun-
denwunsch - eine
Werbeagentur - ab-
auf der Strecke bleiben. Es be-
deutet, dasswir nochmehrMög-
lichkeiten bei der Herstellung
undWeiterverarbeitung der Bil-
der haben, dass der Kunde viel
Zeit spart und die Qualität der
Bilder erstklassig ist“.
AngenehmerNebeneffekt derdi-
gitalen Fotografie, die einzel-
neBildpunkt nach ihrenFarb-
informationen in elektrische
Signale „verwandelt“: Foto-
chemieentfällt,durchdieAus-
der Kosten), wann der digitale
Fotoapparat seinen Siegeszug
antreten werde.
Seinen Betrieb hat er längst auf
dieseEntwicklungen eingestellt
Spürt er gar keinen Abschieds-
schmerz von einer handwerkli-
chen Leistung, mit der er in
seinem Beruf groß geworden
ist, derenAbschied er in seinem
Leben als Fotograf forciert hat?
„Nein. Ichhabe immer denFort-
schritt gesucht und begrüße den
heutigen technischen Stand,
auch wenn ich das in allen Ein-
zelheiten nicht mehr erlernen
will.“ In der Digitalfotografie
sieht der gestandene Handwer-
ker sein künftiges Hobby, doch
am liebsten geht er immer noch
mit seiner 40 Jahre alten Has-
selblad auf Streifzüge durch die
fotogene Welt.
MitdemBildfunkgerätstießHer-
bert Gauls die Tür zur Digi-
talisierung in einem Handwerk
auf, dass er selber noch nach
„guter, alter Sitte“ erlernt hatte.
Sohn Torsten ist quasi in die
„technischen Fußstapfen“ des
Vaters getreten, irgendwann hat
der Vater den Sohn vorbeigelas-
sen - ohne ihm im Weg zu ste-
hen. „Die technische Entwick-
lung imFotografenhandwerk lag
mir immer am Herzen“, sagt
Obermeister Herbert Gauls und
ist froh über das Talent und die
Fähigkeiten, die der Sohn in den
Familienbetrieb einbringt.
Und von der die Fotografiewelt-
weit profitiert, denn Torsten
Gauls hat mit großen Unterneh-
men bei der Entwicklung von
„SpielregelndigitalerBildforma-
te“ zusammengearbeitet.
gestimmt. Fliesen kommen an
die Wand, schließlich wird die
umworbene Duschkabine auf-
gestellt, Wasser angeschlossen,
geduscht. Von der ersten Sekun-
de an kann der Auftraggeber
online beobachten, was sich bei
Gauls tut. „Früher war tagelang
der Art-Director vor Ort und ko-
ordinierte seine Ideen mit unse-
rer Ausführung. Heute betreut
er unsereArbeit aus seinemDüs-
seldorfer Büro aus.“
Soll später oben links inder Ecke
einwinziger Lichtpunkt gesetzt,
einWassertropfenvomGriffent-
fernt werden oder die Farbe des
Handtuchs von rot in blauwech-
seln – dank der digitalen Foto-
grafie alles kein Problem. „Das
bedeutet nicht“, betonen Vater
und Sohn, „dass handwerkliche
Leistungen oder die Kreativität
wertung der Bilder und deren
eventuelle „Schönheitsoperatio-
nen“ kann zielgerichtet auf
DAS eine Bild hingearbeitet
werden, was Zeit und Material
spart.
Die heutige Fototechnik wird
von der digitalen Fotografie
„überholt“ - davon ist der 70jäh-
rige Herbert Gauls fest über-
zeugt. Das Zusammenspiel „Pa-
pierfoto, Dia, Digitalfotografie“
sei heute schon so eng, dass man
von einem fließenden Übergang
sprechen kann. „Sehe ich elek-
tronischeEntwicklungen - soder
PCzuHausemitseinemInternet-
zugang - ist das Medium für Be-
arbeitung, sekundenschnellen
Transport und Archivierung des
Bildes der Zukunft bereits vor-
handen.“ Jetzt sei es nur noch
eine Frage der Zeit (und auch
Torsten Gauls (r.) und sein Vater Herbert
im angeregten Gespräch über den
Einzug von High Tech im
Fotografenhandwerk.
Eine Profikamera, wie sie über Jahrzehnte für Studioaufnahmen zum Einsatz
kam. Daneben eine moderne Digitalkamera mit ausklappbarem Bildschirm: Sie
beschleunigt heute die Berichterstattung für die elektronischen Medien.
Herbert Gauls dokumentierte 1971 die Baumaßnah-
men an der Südbrücke und ihren Einsturz. Die Bilder
machten bundesweit Schlagzeilen.
Die Nachkriegs-
gesellschaft schafft
in Wirtschaft und
Verwaltung ihre
neuen Grundlagen
und verankert diese
im Gesetz. Am 2.
September 1949
verabschiedet Rhein-
land-Pfalz seine
Handwerksordnung,
die den Status der
Handwerkskammern
als Selbstverwal-
tungsorgane und
Körperschaften des
öffentlichen Rechts
definiert.
1949 –Als Selbstverwaltungsorgane des Handwerks bestätigt
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