Handwerk Special Nr. 82 vom 15. August 2001 - page 16

Das Ende einer
uneinnehmbaren Festung
Handwerker über den Alltag im ehemailgen Regierungsbunker
Der unterirdische Kabinettsa
ges, mit Europakarte und Bu
Das Zimmer des Kanzlers: l
Nachtschrank, Telefon und
Dusche und WC.
Der schnurgerade 3,1 km la
Teil Ost lässt sich mit Fahrr
Ingesamt fünf Großküchen versorgten die maximal 3000
Insassen maximal 30 Tage.
Bernd Schröder am Leitstand tief im Berg: Ein Knopf-
druck, und der Bunker wurde hermetisch geschlossen.
Ein faszinierendes Wechselspiel
aus Funktionalität, Rationalität
und ganz normalem Alltag, das
Sicherheit produzierte. Knebel
und Schröder sind zwei Hand-
werker,dieimehemaligenRegie-
rungsbunker in Marienthal bei
Bad Neuenahr-Ahrweiler seit
über 30 Jahren dafür sorgen, dass
die Lichter nicht ausgehen. In
wenigen Tagen endet ihre Ar-
beit, denn das kolossale Relikt
desKaltenKriegeswird „zurück-
gebaut“. Doch auch dann, wenn
die verbliebenen 14 Handwerker
ihr „Werktor“, den 25 Tonnen
schweren Haupteingang, zum
letzten Mal passieren, bleibt der
Gigant in Händen von Handwer-
kern, die alle Anlagen bis hin zur
Lackschicht auf der Tunnelwand
fachgerecht entfernen werden.
Ernstfall mit dem Kanzler
So sicher, so beeindruckend ist
der Ort, unter einem riesigen
Weinberg zehn Fahrminuten von
der A61 Richtung Ahrweiler ge-
Es war einer der sichersten Arbeitsplätze weltweit – rein physikalisch.
Atombombeneinsatz, biologische oder chemische Waffen, Hundert-
schaften von Soldaten - nichts hätte die Arbeit von Handwerkern wie
Karl-Heinz Knebel oder Bernd Schröder in ihrem Ablauf stören kön-
nen.
legen. 19 Kilometer Wege um-
fasst das gesamte Bunkersystem,
930 Schlafzimmer, 900 Arbeits-
zimmer. EinPlenarsaal desDeut-
schen Bundestages, der so ganz
im Gegensatz zu der lichtdurch-
fluteten Berliner Kuppel nie ei-
nen Sonnenstrahl gesehen hat,
über 100 Meter unter der Erd-
oberfläche. FünfBunkerbereiche
mit jeweils eigenem Kraftwerk,
Wasserwerk, Belüftungsanlage,
Großküche und Speisesaal. Tau-
sende Kilometer Elektrokabel,
Rohrleitungen und Lüftungs-
schächte.RiesigeBunkertore,die
mit ihrem Gewicht von über 20
Tonnen beim wuchtigen Schlie-
ßenundVerriegelndie ganze Iso-
lation dieses Ortes spürbar ma-
chen.
EingigantischesSystem, das sich
12 Jahre lang von 1960 bis 1972
ineinenniegenutztenEisenbahn-
tunnel vorarbeitete, Querstollen
unter den heimischen Schiefer
trieb, riesige Maschinenhallen
hervorbrachte. 3000 Menschen
hätten hier im Ernstfall von der
Außenwelt hermetisch abge-
schlossen 30 Tage die Bundesre-
publik Deutschland am Leben
erhalten. Zu den „Auserwählten“
hätten Regierung, Parlament,
Mitarbeiter des Bundesgrenz-
schutzes undderBundeswehr ge-
zählt. „VIP“-Gäste mit spartani-
scher UnterbringungwärenBun-
deskanzler und Bundespräsident
gewesen. Einziger „Luxus“ ihrer
knapp 20 qm großen Quartiere:
Dusche und WC auf dem Zim-
mer. „Doch in all den Jahren sei-
nes Bestehens war nie ein Bun-
deskanzler imBunker gewesen“,
berichtet Bernd Schröder. Ein-
mal sei Dr. Helmut Kohl vor der
Anlage mit dem Hubschrauber
gelandet, dann aber in seinen
Dienstwagenumgestiegenundzu
einem Arbeitsessen ins Ahrtal
aufgebrochen, „nicht ohne uns
vorher die Hand zu reichen und
nach der Aufgabe im Bunker zu
fragen“. Der engste Kontakt zu
einem Kanzler, der im Ernstfall
an der Seite der Handwerker den
Erstschlag überlebt hätte.
Über Sinn oder Unsinn der Anla-
gesprichtElektrikerBerndSchrö-
der nicht. Für den 57-Jährigen
war und ist der Bunker Arbeits-
platzundnach30Jahreneinwich-
tigesStückseinesLebens.Ersieht
die Fakten: Hier wurde er ge-
braucht. So wie die Bundesrepu-
blik in der politischen Auseinan-
dersetzung im Kalten Krieg für
ihre eigene Sicherheit als Be-
standteil einer globalen Sicher-
heit den Bunker brauchte.
Lehre im Berg
Eswar 30 Jahre stets eine interes-
sante Arbeit, die ihn mit dem
Modernsten vom Modernen zu-
sammen brachte, erzählt Elektri-
ker Schröder. Und nicht ohne
Stolz umschreibt er die Komple-
xität der Aufgabe: Die Schnell-
schlussklappen beispielsweise
schirmten im Ernstfall die äuße-
renLüftungszugänge in 30Milli-
sekunden mit 20 Tonnen An-
pressdruck hermetisch ab - elek-
trisch, pneumatisch und hydrau-
lisch. „Da musste sich der Elek-
triker auch mit den anderen Me-
chanismen auskennen - das hat
die Sache interessant gemacht.“
Zwei Jahre habe es mindestens
gedauert, bis selbst ausgebildete
Fachleute alle Bereiche in der
Anlagekanntenundwartenkonn-
ten. „Wir sind Spezialisten, die
aber aufgrund der höchsten Ge-
heimhaltungsstufe mit nieman-
den über ihre Arbeit sprechen
durften.“ Auf seinen Beruf ange-
sprochen war früher die lapidare
Antwort: Elektriker. Karge Aus-
künfte, an die sich auch die Lehr-
linge halten mussten. Denn wie
in anderen Handwerksbetrieben
auch, bildete der Regierungs-
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