Handwerk Special Nr. 74 vom 12. April 2000 - page 14

1777: Schlossbau in Koblenz lässt Baukonjunktur blühen.
Kurfürst Clemens Wenzes-
laus lässt auf dem linken
Rheinufer in Koblenz sein
neues Schloss erbauen.
Trotz der Größe des Pro-
jekts werden heimische
Handwerker beauftragt
und jahrelang beschäftigt:
130 Maurer, 555 Zimmer-
leute, 50 Steinhauer, 120
Schreiner, 46 Schlosser, 4
Tapezierer „mit 30 Weibs-
leuthen zum Nähen“ und
25 „Stukkaturer“.
Es ist so ein bisschen wie im
Märchen vom hässlichen Ent-
lein, das sich in einen wunder-
schönen Schwan verwandelte.
Das Entlein war in diesem Falle
allerdings eine Scheune, die
„Alte Scheune“ aus Sonnschied,
die trotz ihres stolzen, wohl um
die 200 Jahre zählenden Alters
niemand habenwollte, weil ihre
Schönheit unter einer unschö-
nen grauen Putzschicht verbor-
gen war. Deshalb schien für das
nicht unter Denkmalschutz ste-
hende Gebäude die Spitzhacke
das unausweichliche Schicksal
- bis es Frank Sprenger, Leiter
des HwK-Zentrums für Restau-
rierung und Denkmalpflege in
Herrstein, entdeckte. Der ent-
schloss sich dazu, die Scheune
am alten Standort fein säuber-
lich abtragen und in Herrstein
wieder aufbauen zu lassen.
Maurerlehrlinge des ersten
Lehrjahres aus der überbetrieb-
lichen Ausbildung der HwK-
Berufsbildungsstätte in Herr-
Guido Schön
aus Schnorbach,
24 Jahre, Elektro-
techniker-Handwerk:
„Durch die bessere Aus-
bildung, die ich mit dem
Meister habe, ist man im
Berufsalltag mehr sein
eigener Herr. Auch fi-
nanziell wirkt sich der
Meisterbrief positiv aus.“
stein übernahmen den Abbau
der alten Scheune, dokumen-
tierten alle Arbeiten sorgfältig
und sammelten auf diese Art
und Weise gleich praktische
Erfahrungen im Umgang mit
alter Bausubstanz.
Genau das wird auch Sinn und
Zweck der „Alten Scheune“ an
ihrem neuen Standort in Herr-
stein sein. Absolventen von
Fortbildungsseminaren des
HwK-Zentrums, die die Zusatz-
qualifikation eines Restaurators
oder einer Restaurierungs-
fachkraft im Handwerk erwer-
ben möchten, z.B. Maurer, Ma-
ler und Lackierer, Tischler und
Stukkateure, werden in den
nächsten Jahren alte Techniken,
wie das sachgerechteAusfachen
von Lehmfachwerk oder die
Verwendung von Kalkmörtel
unmittelbar in der Praxis erpro-
ben, handgreifliche Erfahrung
im Umgang mit bei der Restau-
rierung eingesetzten Materiali-
en sammeln können.
In den kommenden Wochen
werden die Lehrlinge der HwK-
Berufsbildungsstätte jedenfalls
wieder ans Werk gehen, um
Fundament undSockelgeschoss
für die Scheune herzustellen,
Grundlage für das alte Fach-
werk - auf dass aus dem hässli-
chenScheunlein tatsächlichbald
wieder eine sach- und fachge-
recht hergerichtete schöne
Scheune werden möge.
Informationen
im HwK-
Zentrum für Restaurierung
und Denkmalpflege, Tel.:
06785/ 9731-760, Fax: -769,
Email:
Int.:
Einstmals, nach seinem Um-
bau im Jahre 1850, zählte es zu
den mustergültigsten Beispie-
len neogotischen Geistes im
Rheinland, zusammenetwamit
den Schlössern und Burgen
vonRheinstein, Stolzenfels und
Sooneck: das Schloss vonSayn.
1848hatteFürst LudwigAdolph
Friedrich Fürst zu Sayn-Witt-
genstein-Berleburg nach seiner
Rückkehr aus Russland das
Anwesen von demGrafen Boos
von Waldeck für 125.000 Taler
gekauft; zwei Monate später
schenkte ihm König Friedrich
Wilhelm IV. den Sayner Burg-
berg mit der Ruine der alten
Stammburg seinesGeschlechts,
wie auch den Neubau eines
Schlosses auf dem Friedrichs-
berg, nördlich des Saynbachs,
nach Plänen des Darmstädter
Architekten Georg Möller.
Stattdessen begannen die Um-
gestaltungsarbeiten am spät-
mittelalterlichen, barockisierten
Herrenhaus der Grafen von
Boos zu Füßen des Burgberges.
Als Architekten nahm sich die
fürstliche Familie in Paris, wo
sie ein Palais besaß und sich
häufig aufhielt, Alphonse Fran-
cois Joseph Girard (1806-72),
den späteren Chefarchitekten
des Louvre.
Märchenschloss modern
In erstaunlich kurzer Zeit wan-
delte Girard, trotz der engen
Vorgaben, die ihm die histori-
sche Bausubstanz auferlegte,
das Haus so beispielhaft um,
dass ihm FriedrichWilhelm IV.
und sein Bruder Wilhelm höch-
stes königliches Lob spende-
ten, es gar als „rechtes Mär-
chenschloss“ priesen.
Ein Märchenschloss, das nicht
allein aufgrund seiner baulichen
Harmonie, seiner beispielhaf-
ten Umsetzung der Ideen der
Neugotik überzeugte, sondern
dazu ausgesprochen modern
ausgestattet war: mit gusseiser-
nen, in der benachbarten Sayner
Hütte hergestellten Fenster-
gewänden, einer absolutenNeu-
heit, einer Dampfmaschine (!)
im Keller, die in einer Zisterne
gesammeltes Wasser in ein Re-
servoir auf demBurgbergpump-
te, von wo es die Springbrun-
nen im Schlosspark speiste, die
Toiletten mit Wasserspülung
und Bäder und Küche mit flie-
ßendem Wasser versorgte.
Warmluftheizung und großzü-
gige Kamine garantierten ein
angenehmes Wohnklima.
Beteiligt amUmbau waren, wie
Christoph Stramberg in seinem
„Rheinischen Antiquarius“ be-
richtet, „die geschicktesten Ar-
beiter in Coblenz, Mainz, Cöln,
Düsseldorf, Neuwied undWies-
baden, sämtliche Bauarbeiter in
Sayn, Bendorf, Engers, Weiß“
und nicht zuletzt die Arbeiter
der Sayner Hütte. Deren Beam-
te statteten dem Fürsten ihren
Dank ab „für die ausreichende
Beschäftigung“ der Arbeiter
auch in den schwierigen Jahren
1848/49, „wo sie selbst keine
mehr bieten konnten“.
Zerstörte Schönheit
All der Pracht bereitete hundert
Jahre später eine Bombe, mit
der deutsche Soldaten bei
Kriegsende den amerikanischen
Einmarsch zu stoppen suchten,
ein jähes Ende. Die Druckwelle
zerstörte nicht nur die Brücke
über denSaynbach, sondern ließ
auch Dächer und Wände des
Schlosses einstürzen; die her-
abfallenden gusseisernen Fens-
tergewände richteten aufgrund
ihres Gewichts zusätzlichen
Schaden an.
Als Gustav Alexander Prinz zu
Sayn-Wittgenstein, Vater des
jetzigen Fürsten, aus demKrieg
zurückkehrte, sah er sich außer-
stande, das Schloss wieder auf-
zubauen. Was einst Reisende
und Besucher als architektoni-
sches Kleinod gepriesen hatten,
verwandelte sich in wenigen
Jahrzehnten in eine Ruine, die
allenfalls noch Ratten zum Un-
terschlupf diente.
...heute: s. nächste Seite
Baustelle: Schloss der Fürsten zu Sayn-Wittgenstein.
Diese alte Scheune wurde von Teilnehmern der Überbetrieblichen Lehrlingsunterwei-
sung bei der HwK abgetragen und zu Lehrzwecken in Herrstein wieder errichtet.
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