Handwerk Special Nr. 74 vom 12. April 2000 - page 9

1706: Lahnsteiner Zunftordnung verbietet „blauen Montag“.
Die Reformation hatte die
Gesellen in protestanti-
schen Gegenden um man-
chen Feiertag gebracht.
Als Ausgleich gestanden
die Meister ihnen arbeits-
freie Zeiten wie den sog.
„blauen Montag“ (nach-
mittags) zu. 1706 legt die
Zunftordnung der Lahn-
steiner Bäcker fest, dass
sich kein Knecht „gelüsten
lassen sollte einen also ge-
nannten blauen Montag
zu machen“.
Wenn einer einen Betrieb gründet, dann kann
er was erzählen, ein Lied singen von Existenz-
gründers Freuden und Leiden. Wie beispiels-
weise Augenoptikermeister Rainer Zenzen
und Joachim Urban.
waren, immer für andre den
Kopf hin zu halten. „Ich habe
mich oft genug nur noch als
Prellbock oder Prügelknabe
zwischen Kunden und Ge-
schäftsführung gefühlt, ich be-
kam den Ärger, wenn die Kun-
den mit der Qualität der Arbeit
nicht zufrieden waren, die wir
ihnen verkaufen mussten“, er-
läutert Zenzen.
Deshalb entschied er sich mit
seinem Partner recht schnell für
das angebotene Ladenlokal in
Nentershausen, tat dies im Be-
wusstsein, dass das eigene Risi-
ko zumindest eine Zeitlang grö-
ßer sein würde als die in die
eigene Taschewandernden Ein-
nahmen, die zunächst eher um-
gekehrt proportional zum Ar-
beitsaufwand standen.
Erfahrungen und Lehren
Realistisch und offen erzählt er
aber auch, dass er, im Nachhin-
ein betrachtet, trotzdemetliches
anders machen, beispielsweise
nicht nur verstärkt Beratung
suchen, sondern indenVerhand-
lungen mit den Banken ent-
schlossener und umsichtiger
auftreten, sich noch mehr infor-
mieren würde. „Jeder, der vor-
hat, einen eigenen Betrieb zu
gründen, sollte sich möglichst
umfassend Kreditangebote be-
sorgen, umdie für ihn optimals-
te Lösung zu finden.“
Vor zwei Jahren starteten sie
ins Unternehmen „eigene Exi-
stenz“. „Wir kennen so ziem-
lich alle Höhen und Tiefen, die
man dabei durchlebt“, gesteht
Rainer Zenzen freimütig – und
würde es trotzdem ganz genau-
so wieder machen.
Gründers Freud und Leid
Ansonsten hätten die beiden,
angetreten unter dem ebenso
einfachen wie einprägsamen
Namen „Die Brille“, wahr-
scheinlichauchnicht schonnach
eineinhalb Jahren dem ersten
gleich den zweiten Streich fol-
gen lassen, nach der Eröffnung
ihres ersten Geschäfts in Nen-
tershausen den Mut besessen,
in Bendorf noch ein zweites zu
übernehmen. „Das hat sich uns
einfach so verlockend angebo-
ten, da mussten wir zugreifen“,
meint Joachim Urban, norma-
lerweise für das gute und gleich-
zeitig modische Sehen in Nen-
tershausen zuständig, lachend.
Dass nun jeder auch einen Be-
reich hat, für den er verantwort-
lich zeichnet, kommt als ange-
nehmer Nebeneffekt, der Rei-
bungen vermeiden hilft, dazu.
Bevor sie sich gemeinsam selb-
ständigmachten, arbeiteten bei-
de, der eine als Augenoptiker,
der andere als Kaufmann, in ei-
nem Filialbetrieb der Branche –
bis zu dem Tag, als sie es satt
Und dabei sicherheitshalber ein-
kalkulieren, dass sich Durst-
strecken höchstwahrscheinlich
nicht vermeiden lassen. „Das
haben wir in beiden Betrieben
gemerkt, in Nentershausen, wo
es nach drei, vier recht guten
Anfangsmonaten erst mal eine
Zeit lang stagnierte, biswirKun-
den auch aus einem größeren
Umfeld an uns ziehen konnten,
hier in Bendorf, wo wir noch
mit einer ganz anderen Hypo-
thek antreten, die Fehler und
die für die Kunden nicht immer
befriedigenden Leistungen des
Vorgängers ausbügeln muss-
ten“, erläutert Urban.
Service und Dienstleistung
Immerhin merkte so nun auch
die Kundschaft deutlich den an-
deren Wind, der in den Räumen
der Augenoptiker imBendorfer
Supermarkt weht. Qualität und
individueller Service stehen hier
wie dort in Nentershausen an
erster Stelle. „Jeder Kunde soll,
gleichgültig ob er hundert oder
tausend Mark für seine Brille
ausgeben möchte, für sein Geld
die optimale Lösung bekom-
men. Das Preis-Leistungsver-
hältnis muss stimmen, niemand
soll sich bei uns über den
Tisch gezogen fühlen.“
Hier das Land, dort die Stadt.
Zenzen und Urban können Vor-
und Nachteile beider Standorte
mustergültig miteinander ver-
gleichenund sindmit ihrerWahl
mittlerweile zufrieden. Ein Un-
terschied: „Hier in der Stadt ist
es ein bisschen hektischer, die
Leute nehmen sichweniger Zeit,
oben im Westerwald hat man
mehr Muße für ein kleines
Schwätzchen. Dafür kennt man
seine Kunden nach einiger Zeit
recht gut und kann sie desto
persönlicher beraten.“
Zukunftsaussichten? Die sehen
beide eher optimistisch.Wenn’s
gut läuft, wollen sie, zusätzlich
zu der Augenoptikermeisterin,
die für die Werkstatt in Nen-
tershausen zuständig ist, auch
ausbilden und werden dabei si-
cher nicht nur ihr handwerkli-
ches und kaufmännisches Wis-
sen, sondern auch ihre Erfah-
rungen alsExistenzgründerwei-
terreichen.
Der Traum vom eigenen Be-
trieb beschäftigt Jungmeister:
Eigene Ideen umsetzen, Kun-
den und Partner gewinnen,
selbständig arbeiten. Damit
der Unternehmensstart ge-
lingt, muss er gut überlegt und
geplant werden. Die HwK-
Betriebsberatung zeigt die not-
wendigen Schritte auf:
1. Idee zur Gründung oder
Gelegenheit, etwa zur
Übernahme.
2. Bestandsaufnahme der
persönlichenVerhältnisse,
v.a. der Finanzierung.
3. Relevante Informationen
müssen beschafft und aus-
gewertet werden.
4. Alternative zwischenNeu-
gründung undÜbernahme
entscheiden.
5. Angebote von Standorten
und Betriebsstätten son-
dieren.
6. Auflagen und gesetzliche
Vorschriften frühzeitig er-
fragen und klären.
7. Ermittlung des Kapitalbe-
darfs für Investitionen und
Warenausstattung.
8. Finanzierungskonzepte,
staatliche Hilfen und För-
derprogramme ausloten.
9. Analyse der Tragfähigkeit
und Liquiditätsplanung.
10. Entscheidung für oder wi-
der eine Firmengründung.
Weitere Infos
, Tel.: 0261/
398-241, Fax: -994, Email:
10 Schritte in die
Selbständigkeit
Stefan Knorr
aus Ürzig,
35 Jahre,
Tischlerhandwerk:
„Ich möchte gerne in
einem Behindertenheim
arbeiten und dort Ju-
gendliche und Behin-
derte ausbilden. Dafür
brauche ich meinen
Meistertitel.“
Haben den
Durchblick:
Rainer Zenzen (l.)
& Joachim Urban.
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