Handwerk Special Nr. 116 vom 5. Mai 2007 - page 11

Europa mit seinen Institutionen nimmt das Handwerk in den Blick
Nr. 116
5. Mai 2007
Handwerk in EU stärken
„Handwerk bestimmt
sich nicht durch Beschäf-
tigtenzahl oder Umsatz,
sondern durch moderne
Formen der Produktion
und Dienstleistungen.“
In seinem Impulsreferat bei der
„4. Europäischen Konferenz für
das Handwerk und Kleinunter-
nehmen“ in Stuttgart machte
HwK-Hauptgeschäftsführer Dr.
h. c. mult. Karl-Jürgen Wilbert
deutlich, dass Handwerk nahe
am Kunden ist. „Um dies für
heute und die Zukunft sicher-
zustellen, nimmt das Handwerk
moderne Technologien in die
Berufsbildung auf. Dadurch
erschließt es sich neue Mär-
kte.“ Die zweitägige prominent
besetzte Konferenz (s.u.) unter
dem Motto „Chancen und He-
rausforderungen für das Hand-
werk und Kleinunternehmen
im Europäischen Binnenmarkt“
diskutierte Maßnahmen, um
die Wettbewerbsfähigkeit von
Handwerk und kleinen und
mittleren Unternehmen (KMU)
zu verbessern.
„Europa stellt gerade für das
deutsche Handwerk eine große
Chance dar. Deutschland liegt
mitten in Europa, seine Märk­
te liegen vor der Haustür“, so
Wilbert. „Mittelstand heißt
nicht Mittelmaß – weder bei den
Produkten undDienstleistungen
noch bei der Aus- und Weiter-
bildung.“ Zentrale Aufgabe sei
„eine hochwertige und attraktive
berufliche Bildung, wie sie sich
in den Ländern findet, in denen
die berufliche Bildung in der
SelbstverwaltungderWirtschaft
liegt“. Veränderungen auf den
globalenMärkten,inEnergiever-
sorgung und Klimaschutz sowie
in der Bevölkerungsstruktur
HwK Koblenz setzt wichtige Akzente auf Handwerkskonferenz
Nachgefragt
bei HwK-Präsident Scherhag
Die 4. Europäische
Konferenz für das
Handwerk undKlein­
unternehmen, die
mit rund 1.000 Teil-
nehmern aus ganz
Europa in Stuttgart
stattfand, machte
deutlich: Handwerk
und Mittelstand sind
in den Mittelpunkt
der europäischen
Politik gerückt.
Handwerk Special
sprach mit HwK-
Präsident Karl-Heinz
Scherhag über die
Eindrücke, die er bei
der Konferenz ge-
wonnen hat.
Herr Scherhag, welche Botschaft geht
von Stuttgart aus?
Europa hat das Handwerk mit seinen klei-
nen und mittleren Betrieben als entschei-
denden Faktor für die Wettbewerbsfähig-
keit des europäischen Wirtschaftsraumes
entdeckt. EU-Kommission wie Bundesregierung betonen, dass
der Mittelstand für Innovation, Ausbildung und Beschäftigung
sorgt. Er ist der Konjunkturmotor für Deutschland und Europa.
In Stuttgart hat die Politik die Zusage gegeben, die erforder-
lichen Rahmenbedingungen zu schaffen. Dazu gehört die Re-
duzierung von Bürokratielasten, um ein grenzüberschreitendes
Engagement auch von kleineren Betrieben zu fördern.
Wo sehen Sie die besondere Stärke des Handwerks im euro-
päischen Binnenmarkt?
Die Stärke des deutschen Handwerks liegt in der Qualifikation,
die zur Innovation bei Produkten und Dienstleistungen befä-
higt. Unsere Duale Berufsausbildung eröffnet individuelle Kar-
rieren vom Lehrling über den Gesellen bis zum Meister. Der
berufliche Nachwuchs lernt in der alltäglichen Praxis. Ergänzt
durch überbetriebliche Ausbildung und Berufsschule vermittelt
die Betriebswirklichkeit nicht nur fachbezogene Kenntnisse
und Fertigkeiten. Sie führt hinein in das unternehmerische
Denken und Handeln sowie in den Umgang mit dem Kunden,
dem ich meine Handwerksleistung anbiete. Die Konferenz
hat deutlich gemacht, dass der Fokus über die schulische und
hochschulische Ausbildung hinaus stärker auf die betriebliche
Berufsbildung gelegt werden muss.
Was kann, was muss Europa vom deutschen Handwerk
lernen?
In der Diskussion um die Leistungsfähigkeit der europäischen
Wirtschaft muss sich Europa auf das Prinzip der Leistung be-
sinnen. Das Handwerk engagiert sich in der Förderung Benach-
teiligter, hat aber auch die Leistungswilligen und -fähigen im
Blick. So bringt es hoch qualifizierte Fachkräfte hervor. Wer
etwas aus seinen Fähigkeiten machen will, findet im Handwerk
den Einstieg in seine persönliche Karriere, die im Meisterbrief
gipfelt. Qualifikation führt zu Beschäftigung - auch im Ausbil-
dungsmarkt. Bei der wechselseitigen Anerkennung von Berufs-
abschlüssen und der Angleichung von Bildungsgängen in Eu-
ropa muss am qualitativ hohen Stand Maß genommen werden.
Hierbei lohnt für Europa der Blick auf das deutsche Handwerk.
Konferenz-Stimmen zur Bedeutung des Handwerks in der EU
„Das Handwerk ist der
Lebensnerv der euro-
päischen Wirtschaft. Es
steht bei der Schaffung
von Arbeitsplätzen an
ers­ter Stelle und trägt das
Wirtschaftswachstum.“
Der Vizepräsident der EU-
Kommission
Günter Ver-
heugen
bekannte sich zur
Bedeutung des Mittelstandes.
Die 50-jährige Erfolgsge-
schichte der EU stehe für
FriedenundChancengleichheit
der 500 Millionen Europäer.
Die Europäische Kommission
setze sich zum Ziel, Europa
zum wettbewerbsfähigsten und
innovativsten Wirtschaftsraum
auszubauen.
Bundeswirtschaftsminister
Mi-
chael Glos
verwies auf das
Ausbildungssys­tem des deut-
schen Handwerks und warb für
die europaweite Anerkennung
derMeisterqualifikation, die „ei-
nen höherenAnspruch stellt und
umfassendere Qualifikationen
vermittelt als mancher Hoch-
schulabschluss in Europa“.
Ministerpräsident
Günther
Oettinger
erinnerte daran,
dass sich „dasHandwerkdurch
Eigeninitiative undhoheMoti-
vation auszeichnet. DieSelbst-
HwK-Präsident Karl-Heinz
Scherhag (l.) im Gespräch mit
Vertretern der EU-Kommission.
HwK-Hauptgeschäftsführer
Karl-Jürgen Wilbert spricht
vor der Handwerkskonfe-
renz der EU.
bedeuteten neue Herausforde-
rungen, aber auch neue Chancen
für Handwerksbetriebe. Auf-
grund der demografischen Ent-
wicklung werde das Handwerk
mittelfristig in allen Ländern im
Wettbewerb umqualifizierte Ju-
gendliche stehen. Zur Sicherung
von Fach- und Führungskräften
sei es erforderlich, das gesamte
Bildungspotenzial Europas
für die Handwerksbetriebe zu
erschließen. Berufliche Bil-
dung in der Verantwortung des
Handwerks habe auch in den
Ländern Mittel- und Südosteu-
ropas eine lange Tradition. In
ihren Partnerschaftsprojekten
konnte dieHwKauf demBalkan
den Auf- und Ausbau hand-
werklicher Selbstverwaltung
und Berufsbildung begleiten.
Das Mittelstandsbüro Balkan
in Sofia biete sich mit seiner
weitreichenden Infrastruktur für
zukünftige Kooperationen, wie
sie etwaRheinland-Pfalz anstre-
be, als idealer Partner an.
„Handwerkliche Berufsbildung
muss neue Inhalte und Formen
aufnehmen. Dies gilt nicht
nur für Technologien, sondern
auch für den Ausbau von Part-
nerschaften mit Hochschulen
oder den Streitkräften“, machte
Wilbert deutlichundwies darauf
hin, „dass die allgemeinen und
beruflichenBildungssysteme zu
sehr nebeneinander existieren,
anstatt gleichwertigeÜbergänge
in beide Richtungen zu bieten“.
Berufsbildungssysteme sollten
durchModularisierung flexibili-
siert werden, ohne das Konzept
der beruflichen Handlungskom-
petenz als Qualifizierungsziel
aufzugeben. „Ein wichtiger
Markierungspunkt im europä-
ischen Raum beruflicher Quali-
fikationen ist die handwerkliche
Meisterqualifikation,dieals‘Ba-
chelor professional’ europäisch
gestärkt werden sollte.“
Die sachgerechteZuordnungder
beruflichen Bildung, insbeson-
derederMeisterqualifikation,sei
durch eine aktive Mitgestaltung
durchWirtschaftsorganisationen
wiedieKammernzugewährleis­
ten, führte Wilbert aus. Die
Stärkung der Berufsbildung,
der Handwerksbetriebe und
damit der Wirtschaft sei durch
eine fortschreitendeVernetzung
insbesondere auch mit Partnern
in den neuen Mitgliedsstaaten
voranzutreiben.
Ausführliche Infos im Internet:
meinsameZiel“seinmüsse.Ver-
gleichbarkeit und Abstufung in
der Qualifizierung dürften nicht
zu einerNivellierungnachunten
führen. Das Handwerk verfüge
über ein Bildungssystem, das
es ihm ermögliche, mit seinen
Produkten undDienstleistungen
europaweit zupunkten,wenndie
bürokratischenHürdenabgebaut
würden.
„Wir könnten in Europa ein
bis zwei Prozent mehr Wachs-
tum haben, wenn wir vieles
für die kleinen und mittleren
Unternehmen besser gestalten
würden“, bekannte auch die
amtierende EU-Ratspräsi-
dentin und Bundeskanzlerin
AngelaMerkel
zumAbschluss
der EU-Handwerkskonferenz
in Stuttgart.
verwaltung der Wirtschaft, das
Kammerwesen, derMeis­terbrief
garantieren weniger Bürokratie
und damit weniger Kosten als
ein System in staatlicher Ver-
antwortung.“
ZDH-Präsident
Otto Kentzler
appellierte an die europäischen
Institutionen, dass „der höchste
Level einer Ausbildung das ge-
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