Handwerk Special Nr. 116 vom 5. Mai 2007 - page 5

60 Jahre Rheinland-Pfalz: Meister der ersten Stunde erzählen
Nr. 116
5. Mai 2007
Manchmal kribbelt’s noch
„Ich hatte ein erfülltes
Leben, einen Beruf, den
ich über alles liebe und
in dem ich mir immer
wieder Ziele gesetzt habe.
Und einen Partner, der
mich in meinem Schaffen
stets unterstützt hat“,
schätzt Töpfermeisterin
Klotilde Giefer-Bahn
aus Höhr-Grenzhausen
ein. „Manchmal kribbelt
es heute noch in den
Fingern“, gesteht die 83-
Jährige.
Die Tochter eines Koblenzer
Tischlermeisters kamschon früh
mit „schöngeistigen Dingen“ in
Berührung. „UnserVater hat uns
Kinder oft zu unterschiedlichen
Ausstellungen mitgenommen,
KunstspielteimmereineRollein
unserem Haushalt“, erinnert sie
sich. Sie erzählt, dass sie 1935
als Elfjährige mit dem Vater zu
Fuß, Geld für einVerkehrsmittel
war nicht da, von Koblenz nach
Höhr marschiert ist, als dort die
Keramikfachschule eröffnet
wurde. „Ich bin im Himmel“,
habe sie damals beim Anblick
der weiß gekleideten Menschen
an der Töpferscheibe gedacht.
DaseiihrBerufswunschgeboren
worden. „Etwas Schöneres, als
zu modellieren, gibt es nicht.“
Als 14-Jährige trat sie ihreLehre
bei der bekannten Keramiker-
meisterin Elfriede Balzar-Kopp
in Höhr-Grenzhausen an. Ihr
Gesellenstück, einenKrug, habe
sie später „verhamstert“.
Klotilde Giefer-Bahn, 83 Jahre, Töpfermeisterin
Meisterbrief zählt
„In uns Weitzens ist der Schuhmacherberuf zu Hause. Sieben
Generationen haben dieses Handwerk gelebt“, erzählt Josef
Weitz aus Roth/Oettershagen. Noch heute repariert der 85-
Jährige Schuhe.
„Ich kann ohne Arbeit nicht leben“, sagt der Altmeister. Er erzählt,
dass er die Meisterprüfung abgelegt hat, um sich selbstständig zu
machenundausderAnonymitätdesGesellenstandesherauszutreten.
„Selbstständigkeit ist mit einem Namen verbunden. Ein Meister-
brief steht für Meisterarbeit und man bürgt mit seinem Namen für
sein Produkt und seine Arbeit. Das ist so, damals wie heute“, ist er
überzeugt. „Vor der Meisterprüfung hieß es bei den Leuten: ‚Ach,
der kleine Schuster!’ und nach der Geschäftsgründung 1948: ‚Sieh
da, der Schuhmachermeister!’. Die Chancen bei den Frauen haben
sich ebenfalls erhöht“, fügt er lachend hinzu. Er schmunzelt, wenn
er erzählt, dass er sein Meisterstück, Schuhe für einen Bräutigam,
dann doch tragen konnte. „Ich habe sie 1947 für mich gemacht,
obwohl ich noch gar keine Braut hatte.“
Er berichtet, dass nach demKrieg in Roth neben ihm ein Schneider,
zwei Schreiner, zweiMaler, einFriseur und einRaumausstatter ihre
Geschäfte eröffnet hatten. „Wir, der Mittelstand mit den kleinen
Betrieben, haben imwahrsten Sinne desWortes die Ärmel hochge-
krempelt, für pulsierendes Leben gesorgt und den wirtschaftlichen
Aufbau des
Landes voran-
getrieben“, ist
er sicher. Er
erinnert sich,
dass er die
ihm nach dem
Kriegzugeteil-
ten Zigaretten
gegen Leisten
getauscht hat.
„Mir kam zu-
gute, dass ich
immer Nicht-
raucher war.
JosefWeitz, 85Jahre, Schuhmachermeister
Hermann Sipp: Erfinderisch und mit festem Willen
„Als ich aus dem Krieg
nach Hause kam, waren
unser Wohnhaus und die
Werkstatt zerstört. Es
galt, die Ärmel hochzu-
krempeln und aufzubau-
en“, so Tischlermeister
Hermann Sipp aus Weisel.
„DasLandkonnte keineWüste
bleiben!“, betont der rüstige
Senior, „Man brauchte festen
Willen und musste auch er-
finderisch sein in der Nach-
kriegszeit, um die Scherben
wieder zusammenzufügen.“Er
berichtet, dass er Wein gegen
Baubeschläge getauscht hat
und sehr weit fahren musste,
um eine Furnierpresse zu be-
schaffen. „Es war mir wichtig,
dass das von meinem Vater
1908gegründeteUnternehmen
wieder floriert.“
Nach dem frü-
hen Tod des
Vaters gab er
seinen Traum
vom Studium
auf und machte
den Meister,
um den Betrieb
weiterzuführen.
„Meinem Faible
für Innenarchi-
tektur bin ichdurchdieArbeit im
hochwertigen Innenausbau sehr
nah gekommen.“ Stolz erzählt
er von seinem ersten Auftrag,
der gleich ein ganz großer war:
der Wiederaufbau der Kirche in
DörscheidbeiKaubimgotischen
Stil. „Gute Arbeit hat sich schon
damals herumgesprochen. Die
Auftragsbücherwarenimmerge-
füllt. Nach demKrieg haben wir
von Fenstern über Türen bis zur
Möbelschreinerei alles gemacht.
Später war der Mes-
sebauinganzEuropa
ein wichtiges Stand-
bein.“
Bis zu seinem 72.
Lebensjahr stand
derheute86-Jährige,
der sich über Jahre
als stellvertretender
Obermeister der
Tischlerinnung Rhein-Lahn
engagiert hat, noch in seiner
Werkstatt. Andie 30Lehrlinge
hat er ausgebildet, „alle haben
beiderGesellenprüfunggutab-
geschnitten“. EhefrauElfriede,
mit der er 58 Jahre verheiratet
ist, war immer der „guteGeist“
an seiner Seite und eine „treue
und gewissenhafte Managerin
im Büro“. „Unsere Frauen ha-
ben ebenso Anteil am Aufbau
des Landes wie wir!“
Auf ein erfülltes Leben in Beruf und Ehrenamt
blickt Klotilde Giefer-Bahn zurück.
Unermüdlich
im Ehrenamt
KlotildeGiefer-Bahnerzähltvon
den Kriegszeiten, in denen sie
mit ihrem Vater über Land fuhr
und Keramiken gegen Butter
und Brot eintauschte. „Ich habe
gearbeitet, um zu leben.“ Sie
berichtet von ihrer Meisterprü-
fung 1947. „Meister sein heißt,
mit Hand und Kopf zu arbeiten,
eigene Grenzen auszuloten, das
höchst Machbare zu erreichen“,
philosophiert sie. Die Keramik,
speziell der Salzbrand, be-
stimmten fortan das Leben von
Klotilde Giefer-Bahn. In der
für den Westerwald typischen
Red- und Knibistechnik, einem
plastischen Verzierungsver-
fahren mit dem Red- und dem
Knibisholz, brachte sie es zu
anerkannter Meisterschaft.
Jahrzehnte arbeitete Klotilde
Giefer-Bahn im Meisterprü-
fungsausschuss der Handwerks-
kammerKoblenz.„Esbefriedigt,
wenn man sein Wissen an die
junge Generation weitergeben
kann“, sagt sie. Zahlreiche
Urkunden verweisen auf ihr
Engagement, bestätigen ihr pä-
dagogischesGeschick imBezug
auf dieArbeitmit jungenLeuten.
30 Lehrlinge hat sie während
ihrer aktiven Berufstätigkeit
ausgebildet. „Ein Ehrenamt ist
keine Last. Das, was man gibt,
bekommt man zurück“, ist sie
überzeugt.
Schuhma­
chermeis­
ter Josef
Weitz
greift in
seiner
Werkstatt
immer
noch zum
Leisten.
Ich brauchte dringend Material, um arbeiten zu können“, erklärt
er. Arbeit gab es genug. Allein die Bergleute, die im Walzwerk
Wissen beschäftigt waren, mussten mit Spezialschuhen aus sta-
bilem Leder versorgt werden. „Alles wurde von Hand genäht.
Gezahlt wurde immer zum 15. des Monats, wenn es Geld gab,
auf Sammelrechnung. Einen Acht-Stunden-Tag kenne ich nicht.
Die Leute hatten oft nur ein bis zwei Paar Schuhe. Da musste man
zügig reparieren“, so Weitz.
Doch der zunehmende Wohlstand der Menschen wirkte sich ne-
gativ auf die kleine Schusterwerkstatt aus. „Die Menschen gingen
seltener zu Fuß, fuhren mehr Bus oder Auto und die Schuhe gingen
dadurch weniger kaputt“, sagt Schuhmachermeister Weitz. Er ver-
schweigt nicht, dass er 1968 zusätzlich eineArbeit in einer Fabrik in
Hammannahm, dieBremsbeläge herstellte. „Mein handwerkliches
Geschick half mir dabei.“ Er berichtet, dass er aber immer auch
seinem Beruf treu geblieben ist. Stolz verweist er auf die Schuhe,
die er für seine Enkelkinder angefertigt hat.
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