Handwerk Special Nr. 116 vom 5. Mai 2007 - page 4

60 Jahre Rheinland-Pfalz: Meister der ersten Stunde erzählen
Nr. 116
5. Mai 2007
Keramik gegen Ersatzteil
„Mit der Wüste verbinde ich keine guten Erinnerungen. Der Krieg hat
mich als 21-Jähriger mit der Instandhaltungstruppe der Luftwaffe
nach Libyen und Ägypten geführt. Dort habe ich die Sand- und Fels-
wüste erlebt“, kommentiert Kfz-Mechanikermeister Werner Adam
aus Montabaur das neue Plakat der „Morgen Meister!“-Kampagne.
Werner Adam, 85 Jahre, Kfz-Mechanikermeister
Fortsetzung:
Gut behütet ...
Putzmachermeis­
terin Ina Stei-
ner-Bell erzählt,
dass sie – nach
Kriegsende
von Polch nach
Mayen zurückge-
kehrt – zunächst
in der elterlichen
Wohnung Hüte an-
gefertigt hat, be-
vor sie dies in der
eigenen Wohnung
und später im
gemieteten Laden-
lokal fortsetzte.
Inzwischen hatte sie erfolgreich die Meisterprüfung abgelegt.
„Ich habe die Freiheit, mein eigener Chef zu sein, genossen.
Die Nachfrage war groß. Gerade in den harten Nachkriegsjah-
ren sehnten sich die Leute nach einem Hauch Luxus. Sonntags,
zur Messe, gingen die Damen immer behütet“, erinnert sie
sich. Sie weiß, dass sie Naturalien tauschte, um
die für die Anfertigung der Hüte notwendigen
Stumpen zu bekommen. „Oft war ich dafür Tage
unterwegs“, sagt sie. Von morgens bis abends
fertigte sie Hüte an. „Ich habe meinen Kunden ge-
zeigt, wie Hüte ein Outfit aufwerten können. Hüte
waren damals mehr als ein Kopfschutz.“
Ende der 1950er Jahre wechselte sie auf
hochwertige Damen­oberbekleidung. Ge-
meinsam mit ihrer Tochter führt sie bis heute
ihr Geschäft in Mayen. „Als ich irgendwann
meinen ers­ten VW-Käfer hatte und beim Ein-
steigen mit dem Hut gegen die Decke stieß,
wusste ich: Die Zeit der Hüte ist vorbei, aber
der Mode bleib ich treu.“ Trotzdem geht sie
auf Kundenwunsch gern ihrem gelernten Beruf
nach. Dass Hüte auf den Laufstegen der Welt wieder
eine Rolle spielen, erfreut die Putzmachermeisterin,
die noch lange nicht an den Ruhestand denkt: „Ich habe
Spaß an der Mode, solange ich lebe!“
Der 85-Jährige sagt es nach-
denklich und bekennt: „Klar,
in der Wüste muss man etwas
aufbauen, um leben zu können.
Und wir haben sozusagen
Rheinland-Pfalz aufgebaut.“
Adam erzählt von seiner
Lehrzeit beim Vater, der be-
reits 1920 einenKfz-Betrieb
eröffnet hat. „Nachdem
Krieg haben wir eine
völlig leere Werkstatt
vorgefunden. Wir ha-
ben damals mit nichts
angefangen“, sagt er. Er
weiß, dass Keramiken
von Freunden aus
Höhr-Grenzhausen
gegen Ersatzteile und
Werkzeugegetauscht
wurden. Er erinnert
sich auch, dass
beim Anfertigen
von Ersatzteilen
„vielimprovisiert
wurde“.
AlsBeispiel nennt er denBaudes
Stirnrads für die Nockenwelle
eines Motorrades. „Es war ur-
sprünglich aus Kunststoff gefer-
tigt, der nichtmehr lieferbarwar.
Eine Alugießerei hat das Rad
dann gegossen und wir haben
Zähne und Nute hineingefräst.
DasGanzeliefzwaretwasklapp-
rig, aber es lief“, berichtet er. Er
erinnert sich an die Karosserien
der DKW-Limousinen, die zum
Teil aus Holz waren. „Wenn
das faulte, musste der Schreiner
neue Hölzer anfertigen, die wir
mit Kunststoff überzogen und
montiert haben.“
Meisterehren erwarb Adam
1947. „Die Meisterprüfung ist
die Gewähr für anständige Ar-
beit. Ich wollte meinen Kunden
Kfz-Meister Werner Adam ist auch
mit 85 Jahren begeistert von sei-
nem Handwerk.
als Meister begegnen, wenn ich
einen Betrieb habe. Außerdem
ist die Ausbildung von Lehr-
lingen wichtig“, sagt er. Bis zur
Betriebsaufgabe mit 65 Jahren
hat er jungen Menschen sein
Wissen vermittelt. „Jedes Jahr
hatte ich einen Lehrling und alle
haben auf Anhieb die Gesellen-
prüfung geschafft“, erzählt er
stolz. Stolz ist er auch, „nieÄrger
mit Kunden gehabt zu haben“.
„Fachkompetenz, Höflichkeit,
Pünktlichkeit und Zuvorkom-
menheit sind alte Werte, die
mich mein Vater lehrte und die
ich gelebt habe“, ist er sicher.
Mit Liebe spricht er von seiner
Frau. „Balbina und ich sind 62
Jahre verheiratet. Sie hatte nie
Angst vor schmutzigen Händen,
hat immermit angefasst und drei
Kinder großgezogen. Sie war
der Finanzminister, rechnen und
sparenmusstenwir immer.“Den
Betrieb gibt es inzwischen nicht
mehr. „Leider“, bedauert Adam,
„meine drei Söhne hatten andere
Pläne und haben sich ihre Träu-
me erfüllt. Nur weil der Vater
im Beruf glücklich war, muss
dies der Sohnnicht zwangsweise
gleich tun.“
Hans Erwen: „Lack für eine Flasche Wein“
„In Koblenz war es nach dem
Krieg nicht möglich, Lack zu
bekommen, den gab es nur in
der britischen Zone bei Rema-
gen. Wir mussten zunächst
ohne Farben arbeiten“, erinnert
sich Hans Erwen aus Koblenz.
Der 85-jährige Malermeister er-
zählt, dass er die Naturalien, mit
denen ihn die Hunsrücker Bauern
bezahlten, dann bis Remagen schmug-
gelte, um das begehrte Arbeitsmaterial
zu erhalten. „Es gab ein Kilo Lack für
eine Flasche Wein“, weiß er.
Selbstständig machte er sich 1948,
nachdem er Erfahrungen in verschie-
denen Unternehmen gesammelt hatte.
„Mit der Währungsreform ging es
bergauf“, erzählt er. „Das Geld war
jetzt etwas wert und ich habe meine
Frau gefunden“, schmunzelt der Se-
nior. Erwen erwarb
sich bald einen guten
Namen in Koblenz
und Umgebung.
Er erinnert sich an
seine Arbeiten aus
den 50er Jahren,
die Autos, Wände,
Fenster, Werbetafeln
oder Leuchtschriften
zierten. Eben diese
Werbemedien sind es, die heute an die
Geschichte unseres Landes erinnern.
„Ich wollte immer gestalterisch arbei-
ten und konnte meinen Berufswunsch
verwirklichen“, sagt Erwen. So war es
auch nicht seine Sache, den eigenen
Kindern die Nachfolge zu diktieren.
„Nur wer sich in die Arbeit hineinkniet
und mit Leib und Seele dabei ist, meis­
tert schwierige Situationen“, weiß er
nur zu genau.
Waldemar Bur: „Ehefrau und Fachfrau“
„Ob Brot, ob Kuchen, stets
lenkt des Bäckers Hand und
hält die Menschen vom Hunger
frei, der edle Bäckerstand.“
„Seit meiner Jugend hat mich
dieser Spruch in der Backstube
begleitet. Ich bin stolz auf mein
Handwerk“, so Bäckermeister
Waldemar Bur aus Koblenz. Schon
als kleiner Junge hat er in den
Ferien in der Backstube des Onkels ge-
holfen. Die Lehre beendete der Krieg.
„Erst nach 1945 habe ich die Gesel-
lenprüfung gemacht. Auf Rat meiner
Mutter ging ich zunächst zum Onkel
nach Euskirchen. „Wir haben viel
improvisiert nach dem Krieg. Die Zeit
hat mich geprägt.“ Sein Traum von der
Selbstständigkeit erfüllte sich, als er,
als Meister in die Heimatstadt Koblenz
zurückgekehrt, seine Frau Therese, ei-
ne Bäckertochter, traf. „Vielleicht wur-
de an der Begegnung
von den Müttern ge-
dreht“, lacht der 84-
Jährige. „Sie brachte
mein Glück. Als Bä-
cker kann man sich
nur selbstständig
machen, wenn man
eine Fachfrau an der
Seite hat“, ist er heu-
te noch überzeugt.
In Resi hatte er 43 Jahre lang diese
Partnerin. 2003 kam krankheitsbedingt
das Aus für die Bäckerei, in der Wal-
demar Bur seinem Sohn noch bis zum
80. Lebensjahr zur Seite stand. „Mein
Enkel hatte beruflich andere Pläne.
Handwerker muss man mit dem Her-
zen sein, sonst gibt das nichts.“ Und er
sagt auch, dass nur ein solide geführter
Betrieb und ein frühzeitiges Denken an
die Vorsorge für Alter und Krankheit
ein späteres gutes Auskommen sichert.
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