Handwerk Special Nr. 116 vom 5. Mai 2007 - page 3

60 Jahre Rheinland-Pfalz: Meister der ersten Stunde erzählen
Nr. 116
5. Mai 2007
Handwerk bringt Leben in die Wüste
Das neue Plakat der „Morgen
Meister!“-Kampagne fällt ins Au-
ge: Wüste, schier endlose Weite,
ohne Konturen. Der Rahmen in
sattem Grün wirkt wie eine Oase
und sorgt für den Aha- und Wie-
dererkennungs-Effekt. Was wäre
unser Land ohne Handwerksmeis­
ter? Eine Wüste?
Neue Plakataktion zum 60. Geburtstag des Bundeslandes im Rahmen der „Morgen Meister!“-Kampagne
Betrieb muss laufen
„Im Krieg wurde ich schwer verwundet. Als ich zurück nach
Höhr-Grenzhausen kam, habe ich mich, kaum genesen,
um den Wiederaufbau meines Keramikbe-
triebes gekümmert. Da war wirklich
Wüste“, kommentiert Keramikermeis­
ter Kurt Kamp das Plakat.
Der 92-Jährige erzählt, dass es ihm immer
wichtigwar, dass derBetrieb „gut läuft und
auch die Mitarbeiter ihr Auskommen“
hatten. 56 Jahre hat er das Unterneh-
men in Höhr-Grenzhausen geführt
und bis zu 15 Gesellen beschäftigt.
ZahlreicheLehrlinge sinddurch seine
Schule gegangen. „Ausbildung lag
mir immer am Herzen!“, sagt der
Handwerksmeister. „Einige meiner
Lehrlinge haben später den Meister-
brief erworben. Ich denke, sie sind
ebenso stolz darauf wie ich.“ Kurt
Kamp verweist auf seinen Goldenen
Meisterbrief und sein Meisterstück,
eine 60 Zentimeter hohe Vase mit
ausgefallenemDekor, dienoch immer
einen Ehrenplatz in seiner Wohnung
einnehmen.
Kurt Kamp, 92 Jahre, Keramikermeister
Die aktuelle Aktion ist eine Initiative
derHandwerkskammern inRheinland-
Pfalz, des Landesministeriums für
Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft
undWeinbau und der Investitions- und
StrukturbankRheinland-Pfalz zum60.
Geburtstag des Landes.
Die provokante Frage stimmt nach-
denklich. Auf jeden Fall unterstreicht
sie die Rolle des Mittelstandes beim
Aufbau des Bundeslandes. Rhein-
land-Pfalz gehört nach Baden-Würt­
temberg und Bayern zu den Regionen
in Deutschland mit der niedrigsten
Arbeitslosenquote.
In der Wirtschaft dominieren die klei-
nen und mittelständischen Betriebe.
Laut Mittelstandsbericht von 2006/07
sind in Rheinland-Pfalz mehr als
172.000UnternehmendemMittelstand
zuzurechnen.
Das Handwerk bildet das Rückgrat der
Wirtschaft in Rheinland-Pfalz.
Männer und Frauen der
ersten Stunde erzählen
Sie erzählen vom Wiederaufbau nach
dem Krieg, von der Währungsreform
1948, vom Wirtschaftswunder, aber
auch von ihren Bemühungen um
Kunden und Aufträge. Sie sprechen
in Handwerk Special von ihrenMühen
und Hoffnungen, den Gesprächen in
der Familie, ihren Ängsten und ihrer
Zuversicht. Immer klingt Stolz mit,
Stolz auf die eigene Leistung, aber
auchdarauf, etwas für dasLandunddas
Allgemeinwohl geleistet zu haben.
Wir haben mit Handwerkssenioren,
die vor 60 Jahren ihre Meisterprüfung
abgelegt haben, gesprochen und ihnen
die Frage gestellt: „Was wäre Rhein-
land-Pfalz, das in diesem Jahr den
60. Jahrestag seiner Gründung feiert,
ohne Sie?“
Gut beH
Ü
TEt
Wer Ina Steiner-
Bell sieht, glaubt
es nicht, und wer
mit ihr spricht,
schon gleich gar
nicht: Die agile
und lebenslustige
Putzmachermeis­
terin, die noch
täglich in ihrem
Modegeschäft in
Mayen anzutref-
fen ist, wird 85
Jahre alt.
Mit 14 begann sie
ihre Lehre als Mo-
distin. „Das istmein
Beruf“, wusste sie
schon damals. ImKriegwurde sie dienstverpflichtet. Gemeinsammit anderen Frauen
aus Mayen besserte sie in einer Werkshalle im Nettetal Kleidung für Soldaten aus.
Als Mayen ausgebombt wurde, kam sie nach Polch. „Ich hatte Glück im Unglück
und fand eine Anstellung in einemHutladen. Hier habe ich aus alten Filzstiefeln Hüte
angefertigt und Herrenhüte zu Damenhüten umgeändert“, erinnert sie sich. „Als die
Amerikaner im März 45 in Polch einzogen, war der Krieg für mich zu Ende“, fügt
sie hinzu.
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Ina Steiner-Bell, 85 Jahre, Putzmachermeisterin
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