Handwerk Special Nr. 79 vom 7. Februar 2001 - page 14

MESSE AM RHEIN: Handwerksmesse Koblenz mit „Beratungszentrum
Die Zusammenarbeit zwischen Bundes-
wehr, Handwerk und HwK Koblenz hat
Tradition. Jüngster Ausweis dafür ist das
Beratungszentrum Bundeswehr-Hand-
werk
[s. unten]. Neue Berührungspunkte
gibt es durch die Partnerschaftsprojekte in
Bosnien-Herzegowina und im Kosovo, mit
denen die HwK den Aufbau wirtschaftli-
cher Selbstverwaltungsorganisationenund
Berufsbildungseinrichtungen fördert.
Während des Balkan-Kongresses derHwK
im September 2000 (s. HANDWERK
SPECIAL 77) referierte Generalleutnant
Rüdiger Drews, Befehlshaber Heeres-
führungskommando, über die Situation in
dieser Region:
Herr General, die Bundeswehr beteiligt
sich imRahmen vonUN-Friedenstruppen
an der „Festigung demokratischer Struk-
turen“ in Bosnien-Herzegowina und im
Kosovo. Wie beurteilen Sie die Lage?
Die vertraglichen Grundlagen für den Ein-
satz von Streitkräften in beiden Ländern
legen fest, dass wir den Aufbau von demo-
kratischen Strukturen unterstützen. Der
Hauptauftrag ist ein anderer - und glückli-
cherweise erfüllt. Wir haben in Bosnien-
Herzegowina eine stabile Sicherheits-
situation und im Kosovo eine Lage, die von
Tag zu Tag besser geworden ist. Wir waren
und sind vielseitig gefordert: Zerstrittene
Parteien auseinander halten, sie zu einem
Verhalten führen, das die Freiheit der Bewe-
gung genauso sicher stellt wie die Achtung
der Menschenwürde. Die praktische Arbeit
sah so aus, dass wir u.a. die Polizei in Bos-
nien-HerzegowinaüberwachenunddieUCK
imKosovo entwaffnenmussten.Wir sicher-
tendieGrenzen, verhindertenRacheaktionen
der Ethnien gegeneinander. Jetzt bleibt die
wichtige Aufgabe der Abschreckung durch
Präsenz. Durch unsere Anwesenheit wird
Sicherheit gewährleistet; wären wir nicht
da, würden die alten Zustände wieder aus-
brechen.
Wir nehmen natürlich auch am zivilen
Prozess, am Wiederaufbau der Länder teil.
Hier liegt der eigentliche Bedarf, denn De-
mokratie ist kein Selbstzweck. Die Men-
schen gehen nicht dorthin, wo Demokratie
versprochen wird, sondern wo ihre funda-
mentalen Grundbedürfnisse erfüllt werden.
Das einzige fundamentale Grundbedürfnis,
das bis jetzt im Kosovo erfüllt ist, ist das
nach relativer Sicherheit.
Braucht die Bundeswehr für diese Einsät-
ze Soldaten, die eher Handwerker oder
Sozialarbeiter sind als Militärs?
Wir brauchen beides. Der Hauptauftrag ist
und bleibt ein militärischer, nämlich ein
gesichertes Umfeld. Daraus ergeben sich
Berührungspunkte zu allen anderen Tätig-
keiten. Der militärische Apparat hat eine
unglaublicheOrganisationskraft, die nie völ-
lig ausgeschöpft wird, die aber für den Fall
einer großen Auseinandersetzung da sein
muss. Wir haben die Menschen, die Geräte
- und mit ihnen die Führungsorganisation.
Vor allem haben wir die individuell ausge-
prägten Fähigkeiten jedes Einzelnen, u.a.
aus seinem zivilen Beruf. Das Bildungs-
und Ausbildungsniveau unserer Soldaten
ist so hoch wie in keiner anderen Armee -
das ist der Vorteil einer Wehrpflichtigen-
Armee. Wir können alles abrufen, was an
Fähigkeiten in unserer zivilen Gesellschaft
vorhanden ist. Handwerker aus allen Spar-
ten: Maurer, Elektroniker, Kfz-Techniker,
Klempner... - undwir brauchen sie, auch für
uns selbst: Bei Sarajewo, in Prizren oder
Tetowo haben wir Ministädte aufgebaut mit
allen Infrastrukturen, mit den eigenen Kräf-
ten.
Dieses Know-how übertragen wir in andere
Bereiche, etwa bei der Vorbereitung der
zerstörten Häuser auf den Winter oder bei
der Wiedererrichtung von Schulen. Unsere
Soldaten initiierten hier zahlreiche Ein-
zelaktionen: Soldaten einer Patrouille bau-
en in ihrer Freizeit drei Familien ihreHäuser
auf, weil in dieser Kampfkompanie eben
sinnvoll und notwendig ist,
was er hier tut. Er weiß, dass
er von der überwiegenden
Mehrheit in Deutschland un-
terstützt wird. Der Deutsche
Bundestag steht fast einstim-
mig hinter diesem Auftrag.
Wie empfinden dieMenschen
vor Ort die Präsenz auslän-
discher Truppen?
Durchweg positiv. Die Men-
schen aller Ethnien wissen,
dass ihre nackte Existenz von
der Anwesenheit der Solda-
ten abhängt. ImFall derDeut-
schen kommt hinzu, dass wir
uns den Ruf erworben haben, effektiv und
zuverlässig zu sein. Selbst ich, der diese
Armee gut kennt, bin immer wieder positiv
überrascht von den Energien, die unsere
Soldaten hier freisetzen. Der Wille zu hel-
fen, die Möglichkeit, dem persönlichen Le-
ben einen deutlichen Sinn zu geben, ist ein
starker Motor für die Soldaten. Der Zusam-
menhang zwischen militärischem Auftrag,
auf denwir sie ausbilden, und verhältnismä-
ßig freier Entwicklung von Energien, an Ort
und Stelle zu helfen, begründet bis jetzt
wirklich eine Erfolgsgeschichte.
Gibt die zivile Dimension der militäri-
schen erst die Rechtfertigung, den tiefe-
ren Sinn?
„Bei uns werdet ihr nicht nur älter, so
Im Gespräch mit Generalleutnant Rüdiger Drews, Befehlshaber Heeresführungskomm
Zahlen, die für sich sprechen: Die erste
Jahresbilanz, seit das „
Beratungszentrum
Bundeswehr-Handwerk
“ bei der Hand-
werkskammer Koblenz als Pilotprojekt für
den Wehrbereich IV vorgestellt wurde,
übertrifft die positiven Erwartungen der
beteiligten zivilen und militärischen Part-
ner. Insgesamt qualifizieren und qualifi-
zierten sich im Berichtzeitraum von Au-
gust 1999 bis Ende Dezember 2000 in
Fachausbildungsmaßnahmen der HwK
200SoldatenmitUnterstützungdesBerufs-
förderungsdienstes der Bundeswehr
(BFD). Zusätzlich erwarben im ablaufen-
den Jahr 550 Soldaten in 46 Arbeitsge-
meinschaften - das sindKurse bei der HwK
nur für über den BFD geförderte Teilneh-
mer - Grundlagen für das spätere Zivil-
berufsleben.
2.000 Teilnehmer an etwa 100 Informati-
onsveranstaltungen bei der HwK oder am
jeweiligen Bundeswehrstandort wurden
100 Prozent Nutzen für alle Beteiligten
verzeichnet. 260 Soldaten auf Zeit sprachen
im Beratungszentrum bei der HwK vor, um
im persönlichen Gespräch ihr individuelles
Qualifizierungskonzept zu entwickeln.Mehr
als 2.300 Lehrlinge nahmen an den Veran-
staltungen der Wehrdienstberater in den
HwK-Berufsbildungszentren teil, bei denen
die Bundeswehr frühzeitig über spätere
Karrierechancen informiert, wenn sich Ge-
sellen als Soldaten auf Zeit verpflichten, um
nach vier bis zwölf Jahren als Handwerks-
meister und mit verschiedenen Fachkraft-
ausbildungen in die Wirtschaft zurück zu
kehren.
Bis Anfang Dezember schafften 69 Solda-
ten auf Zeit den Wiedereinstieg ins zivile
Erwerbsleben, nachdem sie an individuel-
len und maßgeschneiderten Fachausbil-
dungslehrgängen bei der HwKKoblenz teil-
genommen hatten. Acht von ihnen machten
sich als Handwerksmeister mit einem eige-
nen Betrieb selbständig.
HwKKoblenz undBundeswehr sehen ihre
Zielvorgabe erfüllt: Die Streitkräfte ka-
men ihrer Verpflichtung nach, ausschei-
dende Zeitsoldaten über den BFD zu qua-
lifizieren, und das Handwerk gewann im
Gegenzughochqualifizierte und -motivier-
te Fach- und Führungskräfte. 100 Prozent
Nutzen für die Träger des Beratungs-
zentrums, vor allem aber für die jungen
Menschen, die ihren Platz in der gewerbli-
chen Wirtschaft gefunden haben.
Nebender hohenErfolgsquote bei der zivil-
beruflichenWiedereingliederung von Sol-
daten auf Zeit besticht das „
Beratungs-
zentrumBundeswehr-Handwerk
“ durch
die Effizienz des Konzeptes, das mit ge-
ringstem Kostenaufwand einen maxima-
len Nutzen für Handwerk und Bundes-
wehr erreicht. Die Partner greifen auf vor-
handene Ressourcen zurück und verknüp-
fen sie zielgerichtet für den einzelnen Zeit-
soldat.
Generalleut-
nant Rüdiger
Drews: Offen
im Dialog,
bestimmt in
der Sache.
Maurer undZimmermann vorhan-
den sind.
Das spricht für eine hohe Moti-
vation. Wie bereiten Sie die
überwiegend jungen Menschen
auf ihren Einsatz vor?
Die Soldaten melden sich freiwil-
lig zu diesem Einsatz. Der eine,
weil es eine Zulage gibt, andere
aus Pflichtbewusstsein oder weil
sie Qualitäten eines Überzeu-
gungstäters entwickeln. DieMoti-
vation fällt uns leicht: Soldaten
sind immer dann besonders moti-
viert, wenn sie hart gefordert wer-
den. Und der Soldat sieht, dass
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