Handwerk Special Nr. 79 vom 7. Februar 2001 - page 11

„Da kann ich Zeit
und Raum
vergessen!“
Deshalb reizen Malermeister Reiner Paul
Restaurierungsarbeiten am meisten
Trompe l’oeil. Übersetzte man
den Begriff wörtlich, müsste es
„Betrug“ oder „Täuschung des
Auges“ heißen. Ursprünglich,
schon in der Antike, verstand
mandaruntereinebesondereArt
von so realistisch und echt ge-
malten Stilleben, dass man das
darin Dargestellte mit Händen
greifen zu können glaubte. Spä-
ter wurde daraus die Bezeich-
nung für eine Maltechnik, die
nicht auf illusionistische Stille-
ben festgelegt war, mit ihnen
aber die Lebensechtheit teilte -
eine gewollteVorspiegelung fal-
scher Tatsachen.
Säulen, die gemauert scheinen,
Landschaften, in die man wie
durch ein Fenster hinein schaut,
Stuck, der keiner ist, Vorhänge,
die niemals Stoff gesehen haben
und zu ihrer Existenz nichts als
Farbe brauchen.
Einer derjenigen, der dieseTech-
nik des schönen Scheins perfekt
beherrscht, ist der Braubacher
Malermeister Reiner Paul. Die
Liebe zu ihr, zu den traditionel-
lenTechnikenseinesHandwerks
überhaupt entdeckte der 38-Jäh-
rige, der 1999 seine Meisterprü-
fung ablegte und sich Anfang
des vergangenen Jahres selbst-
ständig machte, bei seiner Ar-
beitalsKirchenmaler.Dennnach
seiner Lehre suchte er sich als
Geselle immer wieder Maler-
betriebe aus, die vor allem bei
der Restaurierung beispielswei-
se von Kirchen arbeiteten, in
denen er Erfahrung sammeln
konnte bei Freilege- und Re-
tuschierarbeiten, bei Vergol-
dungs- und Marmorierungs-
techniken.Dabei helfen ein jahr-
hundertealtes Fresko, einWand-
oder Deckengemälde zu erhal-
ten, empfand er schon früh als
besonders reizvolle und lohnen-
de Herausforderung.
Farbige Entdeckungsreise
„Wennman einem solchen alten
Gemälde gegenübertritt, ist das
jedesmal eine Art von Entde-
ckungsreise, bei der man vor
Überraschungen nicht sicher ist,
auf die man reagieren muss“,
erklärt Rainer Paul diese Faszi-
nation. Das sei eine Arbeit, in
die man regelrecht eintauchen
könne und sogar müsse, etwas,
worüber er Zeit und Raum ver-
gesse. „Da kommt es nicht auf
die Quadratmeter an, die man an
einem Tag schafft, sondern auf
Einfühlungsvermögen, darauf,
sichindieHandschriftderKünst-
ler, die vielleicht vor drei und
mehr Jahrhunderten dieses Bild,
dieses Ornament geschaffen ha-
ben, hineinzusehen, hineinzu-
denken, sie nachzuempfinden.“
Akkuratesse statt Akkord
Akkuratesse statt Akkord - das
habe ihn, so Paul, an seinem
Handwerk schon immer erheb-
lich mehr interessiert. „Kann
sein, das andere schneller sind,
wenn es darum geht, eine Mus-
tertapete an dieWand zu kleben.
Ich möchte statt dessen lieber
zeigen, was ich kann, Qualität
statt Quantität produzieren.“
Qualität, wie er sie beispielswei-
se demonstrieren konnte bei der
GestaltungderOrnamente inder
Apsis der spätgotischen Kirche
von Gamlen in der Eifel, bei der
einer Jugendstilfassade in Leip-
zig oder bei einigen Restaurie-
rungsprojekten in Polen, darun-
ter der St. Wojciech-Kirche in
Warschau, wo er ein Deckenge-
mälde restaurierte.
In Warschau befindet sich auch
eines seiner Lieblingsobjekte,
wenn es umneue Gestaltungmit
alten Techniken geht, ein Jüdi-
sches Restaurant, bei dem er mit
einer befreundeten polnischen
Restauratorin und Malerin zu-
sammenarbeitete und dessen
Wändejetzt(natürlichtäuschend
echte) historische und aktuelle
Ansichtenvon Jerusalemzieren,
vermeintlichvonsteinernenSäu-
len und Rahmen eingefasst.
„Ich wäre schon froh, wenn ich
auch hier zu Lande vor allem in
der Restaurierung, bei der Kir-
chenausmalung oder der an-
spruchsvollen Gestaltung neuer
Objekte arbeiten könnte“, ge-
steht Reiner Paul, vorerst ein
Ein-Mann-Betrieb,fügtaberhin-
zu, dass es schwierig sei, sich
hier zu etablieren. Und hofft,
dass ihm seine Mitarbeit im Ar-
beitskreis für Restaurierung und
Denkmalpflege der HwK Ko-
blenz genauso dabei helfen wird
wie dieHomepage
de, auf der er vertreten ist, mit
einer Auswahl u. a. der Techni-
ken, die er anbieten kann, von
der Wickel-, Stupf- und Wisch-
technik bis hin zur veneziani-
schen Spachteltechnik. Mit et-
was Ausdauer dürfte da zumin-
dest der berufliche Erfolg für
Reiner Paul kein schöner Schein
bleiben.
Jede Restaurierung gleicht einer Entdeckungsreise: Reiner
Paul bei der Arbeit an einem Deckenfresko
Beim Essen in Warschau auf
das alte Jerusalem blicken -
Malermeister Paul aus
Braubach wirkte bei der
Restaurantgestaltung mit.
Neues, vielseitiges Kursangebot im HwK-Zentrum für Restaurierung
und Denkmalpflege Herrstein im Februar und März
Sanierung und Restaurierung
habenKonjunktur.Dasbeweist
die Entwicklung der Auftrags-
lage in den Ausbauhandwer-
ken, die ihre Situationmomen-
tan optimistischer einschätzen
als die Bauhandwerke. Mög-
lichst umfassende Fachkennt-
nisse imRestaurierungsbereich
sind deshalb gerade für Maler
undLackierer, für Tischler und
auch Maurer ein unschätzba-
res Kapital. Hilfestellung bei
ihrem Erwerb leistet das Zen-
trum für Restaurierung und
Denkmalpflege der Hand-
werkskammerKoblenzinHerr-
stein auch im ersten Quartal
des Jahres 2001 mit zahlrei-
chen Weiterbildungsangebo-
ten.
Fachübergreifend bietet sich
beispielsweise für Handwerks-
meister die Möglichkeit sich
berufsbegleitend zum „Restau-
rator im Handwerk“ fortzubil-
den. Mit der ständig wachsen-
denZahl erhaltenswerterGebäu-
de und Einrichtungsgegenstän-
dewächst der Bedarf an entspre-
chenden Spezialisten, die in der
Lage sind Historisches behut-
sam und fachmännisch zu res-
taurieren.
Gesellen imMaler- und Lackie-
rer-, im Tischler- und Maurer-
handwerk können sich in insge-
samt 320Unterrichtsstunden zur
„Restaurierungsfachkraft im
Handwerk“ qualifizieren. Bei
beidenFortbildungsmaßnahmen
stehen neben dem Erlernen alter
Handwerkstechniken auch mo-
derne Technologien und deren
Einsatzmöglichkeiten auf dem
Lehrplan. Da beide Lehrgänge
aus einzelnen Modulen aufge-
baut sind, können Interessierte
jederzeit einsteigen.
Einige der Angebote des Zen-
trums für Restaurierung und
Denkmalpflege bis März 2001:
Am 9./10. Februar findet ein
Seminar zum Thema „Oberflä-
chentechniken“ statt. Die Reini-
gung und Abnahme zerstörter
oder nicht historischer Überzü-
ge, das Auffrischen von Ölen,
Wachsen und Harzen, die Zube-
reitung von Beizen und Farben
werden dabei demonstriert.
HistorischenDekorationstechni-
ken im Malerhandwerk gelten
drei Seminare. Das erste findet
vom12. bis 16. Februar zuTech-
niken wie Wickeln, Stupfen,
Schablonieren oder Linieren
statt. Über Secco- und Fresco-
techniken nach verschiedenen
historischen Rezepturen infor-
miert ein Lehrgang vom 5. bis 9.
März, über traditionelle Imi-
tationstechniken,mit denenetwa
dieMaserung edlerHölzer nach-
empfunden wird, ein Kurs vom
19. bis 23. März.
Informationen und Anmeldung
bei der HwK Koblenz, Tel.:
06785/9731760, Fax: -761, e-
mail:
Internet:
Handwerk und Kunst des Gestaltens auf der MESSE AM RHEIN erleben
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