Handwerk Special Nr. 77 vom 18. Oktober 2000 - page 13

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Globalisierung, Technisie-
rung, virtuelleWirtschafts-
zonen, neue Berufe, Pro-
dukte - Schlagworte einer
sich rasant verändernden
Ökonomie. Hinter alldem
steht der Mensch und seine
Arbeit. Doch wie verändert
sichArbeit, wenn sichWirt-
schaft ändert? Welche Rol-
le spielt Beschäftigung für
die Selbstverwirklichung
des Menschen, welche ge-
sellschaftliche Zuordnung
erfährt der Einzelne durch
seine Arbeit?
Themen der Diskussion
„Arbeitswerte - Wert der
Arbeit“ mit: Prof. Dr.
Heribert Niederschlag,
SAC (Rektor der Theolog.
Hochschule, Vallendar),
Prof. Dr. h.c. Josef Stingl
(Präsident a.D. der Bundes-
anstalt für Arbeit), Dr. Jo-
sef Siegers (Hauptge-
schäftsführer a.D. der Bun-
desvereinigung der Deut-
schen Arbeitgeberverbän-
de), Staatssekretär Dr. Ri-
chard Auernheimer (RLP-
Ministerium für Arbeit,
Soziales, Gesundheit).
Die sich verändernde Ar-
beitswelt, der Einfluss von
neuen Technologien ändert
die Beziehung zwischen
denMenschen und ihrerAr-
beit.Der Spezialist, der orts-
unabhängigmit einer hoch-
modernen Ausrüstung und
weltweiter An- und Einbin-
dung in Arbeitsabläufen
tätig ist, erfüllt dasKlischee
einer modernen Beschäf-
tigungswelt. Das schließt
Anonymität und Verlust
von Humanität mit ein.
Definiert sich dieArbeit der
Zukunft als Feld einer ge-
ringen Zahl hochqualifi-
Gesprächsabende mit prominenten Gästen zu aktuellen Themen im Kurfürstlichen Schloss zu Koblenz:
ImWandel begriffen: Arbeit - Politik - Medien - Handwerk
zierterWissenschaftler, die
ihre Leistungen meistbie-
tend verkaufen? Überein-
stimmende Antwort: Nein.
Denn so unterschiedlich
einzelne Bereiche Einfluss
auf das soziale und wirt-
schaftliche Dasein haben,
so verschieden definiert
sich die Arbeit in ihnen.
Beispiel Handwerk. Auch
im Hightech-Zeitalter, das
in den Unternehmen längst
Einzug gehalten hat, defi-
niert sich das Handwerk
über menschliche Werte.
Die durchschnittliche Mit-
arbeiterzahl liegt hier bei
10 bis 15, die direkte Kom-
munikation zwischen dem
Handwerksmeister alsChef
und dem Arbeitnehmer
schließt dieAnonymität des
Beschäftigten aus und inte-
griert ihn in den menschli-
chen Bezug zu Kollegen
und Vorgsetzten. Die Ar-
beitsleistung wird genau
beurteilt und anerkannt.
Auch darin waren sich die
Gesprächsteilnehmer einig:
Die Sozialpartnerschaft hat
mit diesen Strukturen Be-
stand. Also keine Angst vor
der Arbeit, vor der Arbeits-
welt der Zukunft.
Fazit: Der Begriff Arbeit
definiert sich auch in Zu-
kunft nicht an starren Sche-
men. Jeder Einzelne kann
und muss seine Arbeit in
einem gesellschaftlichen
und wirtschaftlichen Um-
feld mitprägen, ist aktiv bei
der Gestaltung des Be-
schäftigungsmodells. Un-
ternehmen sind auf kreati-
ve, selbständige und gut
qualifizierte Mitarbeiter
angewiesen - hier nähern
sich beide Perspektiven an.
Was ist unsere Arbeit wert?
Informationen zu den Veranstaltungen bei der HwK-Pressestelle, Tel.: 0261/398-161, Fax: -996, Email:
ternet:
Wird die Gesellschaft radikaler? Wer trägt die Verantwortung?
In der Diskussion über Arbeitswerte und den
Wert der Arbeit (v.l.): Prof. Dr. h.c. Josef
Stingl, Prof. Dr. Heribert Niederschlag, Dr. Ri-
chard Auernheimer, Dr. Josef Siegers.
Der eine leitet Partei und
Fraktion der CDU inRhein-
land-Pfalz, der andere ar-
beitet als Chefredakteur
Fernsehen beim Südwest-
rundfunk. Christoph Böhr
undBernhardNellessen tra-
fen sich zum HwK-Dialog
über „Verantwortung im21.
Jahrhundert“.
Böhr zeichnete das heutige
Empfinden nach als geprägt
von tiefgreifenden Verän-
derungen, die dieMenschen
verunsichern: „Politik gibt
Antworten imGefühl, nicht
wirklich Situation und Fra-
In der Diskussion über die Verantwortung von
Politik und Medien im 21. Jahrhundert: SWR-
Chefredakteur Bernhard Nellessen (l.) und
CDU-Vorsitzender Christoph Böhr.
gen zu treffen.“ Zu ihrer
grundlegendenVerantwor-
tung zähle, die Sorgen der
Bürger ernst zu nehmen,
gleichzeitig aber den not-
wendigen Wandel v.a. im
Sozialstaat voranzutreiben,
damit Arbeitsplätze im eu-
ropäischenWettbewerbund
darüber hinaus bestehen.
Die Politik gehe eine Grat-
wanderung zwischenRegu-
lierung und Freigabe, oft
gehemmt durch die Un-
kenntnis der Folgen einer
Entscheidung, wie etwa in
der Gentechnik. Die Sorge
für kommende Generatio-
nen lasse sich nicht anÖko-
logie und Umweltschutz
festmachen. Zukunftsver-
antwortung verwirkliche
sich darin, dass kommende
Generationen einen Ord-
nungsrahmen vorfinden, in
dem sie sich ihre Lebens-
grundlage in Schule und
Berufsbildung erarbeiten
könnten.
Die Soziale Marktwirt-
schaft müsse neu belebt
werden. Man brauche wie-
der ein Regelwerk, das den
Schwachen schütze, dem
Starken gleichzeitig aber
Gestaltungsraum lasse. Die
Verantwortung des Einzel-
nen und der Gesellschaft
ergebe sich daraus, dass der
Markt alsWechselspiel von
Angebot und Nachfrage
letztlich durch den Kunden
bestimmt werde. Was er-
laubt oder verboten werde,
gehe letztlich von diesem
Markt aus.
Bernhard Nellessen unter-
strich, dass die heute allge-
genwärtigen Medien selbst
ein vom Kundenverhalten
gesteuerter Wirtschafts-
faktor seien: „Was zählt
sind schnelle Bilder; Zu-
sammenhänge und Hinter-
gründe folgen, wenn über-
haupt, später.“ Gerade
durch die Kommerzialisie-
rungwachse dieVerantwor-
tung der Medien für Wahr-
haftigkeit, Sorgfalt undPer-
sönlichkeitsschutz.
Auf diesem Hintergrund
hob er die Bedeutung der
öffentlich-rechtlichen Me-
dien in ihrer Orientierungs-
funktion hervor. Unabhän-
gig von Quoten vermittel-
ten sie gesellschaftlich re-
levante Werte, die aller-
dings auch wieder dem
Marktgeschehen unterstellt
seien: Die Bürger regelten
als Kunden des Medien-
marktes durch ihre Nach-
frage den Anteil dieses An-
gebotes.
Die anschließende Diskus-
sion verstärkte nochmals,
dass Verantwortung jeden
Einzelnen in einem Staats-
gefüge betreffe. ObProdukt
oder Dienstleistung: Die
größte Macht in der Gesell-
schaft geht vom Bürger als
dem Verbraucher aus.
Was tun gegen Rechtsex-
tremismus? Diese Frage
bestimmt erneut die öffent-
liche Diskussion. Welche
Bedeutung kommt dabei
den pädagogischen Gegen-
strategien zu?Welche schu-
lischen und außerschuli-
schen Konzepte im Um-
gang mit Rechtsextremis-
mus gibt es?
Mit demThema: „Wird un-
sereGesellschaft immer ra-
dikaler?“ beschäftigten sich
unter Leitung von Martin
Lohmann, Chefredakteur
der Rhein-Zeitung: Ober-
staatsanwalt Volker Bewer-
nick, Koblenz,Michael von
Knobloch, Vorsitzender der
Landesarbeitsgemeinschaft
Jugendsozialarbeit, Mieke
Düker, Leiterin der Goe-
the-Hauptschule, Koblenz-
Lützel, Achim Wagner,
Bezirksvorsitzender der
Gewerkschaft Erziehung
und Wissenschaft, sowie
Lehrling Marek Williams
und Handwerksmeister
Thomas Heymann.
Besondere Bedeutung ma-
ßen dieDiskussionsteilneh-
mer der Prävention gegen
In der Diskussion über Gewalt und Radikalis-
mus in der Gesellschaft: RZ-Chefredakteur
Martin Lohmann (m.), Vertreter von Hand-
werk, Schule, Gewerkschaften und Justiz.
Rechtsextremismus bei.
Diesemüsse bereits imKin-
dergarten beginnen, wenn
Erzieher überzeugendWer-
te vorleben. Kinder erfah-
ren so: Jeder ist einzigartig,
ist wichtig, unabhängig von
Hautfarbe undNationalität.
Oberstaatsanwalt Bewer-
nick betonte, dass es sich
lohne, frühzeitig Präventi-
on zu machen, statt Justiz
und Polizei zu stärkerem
Durchgreifen aufzufordern.
Achim Wagner verwies
darauf, dass pädagogische
Ansätze auf gesellschaftli-
cheUnterstützungangewie-
sen sei: „Isoliert kann päd-
agogisches Handeln nur
wenig bewirken, als Be-
standteil gesamtgesell-
schaftlicher Bemühungen
gegen Extremismus ist es
jedoch unersetzbar.“
Die Podiumsteilnehmer
stimmten überein, dass so-
ziale Ungleichheiten abge-
baut werden müssen, um
den Nährboden für Rechts-
extremismus zurückzu-
drängen. Insbesondere un-
ter den Bedingungen einer
Konsum-, Leistungs- und
Konkurrenzgesellschaft
geratenKinder und Jugend-
liche schnell an den Rand
der Gesellschaft. Deshalb
sind für das Selbstwertge-
fühl von Jugendlichen rea-
le Chancen für angemesse-
neLebensperspektiven, ins-
besondere eine abgeschlos-
sene Berufsausbildung, be-
sonders wichtig.
Ilka Wilbert, Leiterin der
Pädagogischen Anlaufstel-
le der HwK, betonte in der
Diskussion, dass Gewalt
immer dann auftritt, wenn
Versagensängste da sind.
Seit über 20 Jahren widme-
te sich die PA der berufli-
chen und sozialen Integra-
tion Benachteiligter. Über
350 Jugendliche aus sozia-
lenBrennpunkten besuchen
in den HwK-Berufsbil-
dungszentrenMaßnahmen,
die die PA in Zusammenar-
beit mit der Arbeitsverwal-
tung anbietet.
Thomas Heymann machte
deutlich, dassAusländer im
Handwerk willkommen
sind: „Bei uns zählt der
kompetente Kollege, der
Mensch nicht der Fremde.“
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