Handwerk Special Nr. 77 vom 18. Oktober 2000 - page 18

Eine, die mit der Nadel malt
Besuch bei einer der letzten Stickermeisterinnen
Unter dem Vorsitz des Ko-
blenzer Kammerpräsiden-
ten August Römer grün-
den die rheinland-pfälzi-
schen Handwerkskam-
mern und verschiedene
Kreditinstitute am 1. Ja-
nuar die Kredit-Garantie-
gemeinschaft. Die Gesell-
schaft übernimmt Bürg-
schaften für Handwerker,
die nicht die bankübli-
chen Sicherheiten stellen
können.
Zum Schreiben und Malen
braucht sie keinen Stift, son-
dern - eine Nähmaschine. Mit
der schreibt Krystyna Rybicka-
Groh so fließend wie andere
mit dem Kugelschreiber, mit
der schafft sie phantasievolle
Ornamente undDekorewie ein
Maler mit Pinsel und Farbe.
Ein Röllchen Stickseide aufge-
setzt und eingefädelt, ein Stück
Leinen und schon schwingen in
schönster Eben- und Regelmä-
ßigkeit die Buchstaben des Na-
mens „Anna“ auf dem Stoff.
„Das ist doch keine Kunst, das
kann man mit ein bisschen
Übung lernen“, wehrt sie be-
scheiden Verblüffung ab.
Krystyna Rybicka-Groh ist Sti-
ckermeisterin, eine der letzten,
die es in diesemHandwerk gibt.
„Heute werden die Muster per
Computer entworfen und aus-
geführt, da braucht man jeman-
den wie mich nicht mehr.“ Es
klingt ein bisschen resignierend,
aber auch bedauernd, wenn sie
das sagt, bedauernd vor allem
deshalb, weil sie, wie sie er-
zählt, im Laufe ihres Lebens
immer und gerne Lehrlinge aus-
gebildet hat. „Aber wenn heute
jemand zu mir käme und wollte
Stickerinwerden, ichmüsste ihr
oder ihm ehrlicherweise abra-
ten, weil der Beruf wenig Chan-
cen für die Zukunft eröffnet.“
Aus schwerem Leinen
Die Stickermeisterin kommt aus
Polen, aus Lodz, „einer richti-
gen Textilstadt“, lebt seit 1987
aber in Mengerschied, ein paar
Kilometer von Gemünden ent-
fernt. Nur ein paar Schritte sind
es von der Dorfkirche bis zu
dem kleinen Laden, den sie sich
einrichtete, als sie ihremMann,
den sie bei einem Besuch in
Deutschland kennenlernte, in
den Hunsrück folgte, „damals,
als so ein Schritt noch richtig
schwierig und deshalb schon
gewagt war“. Aus Polen brach-
te sie sich die Nähmaschinen
und Werkzeuge für die Werk-
statt im ersten Stock ihres Hau-
ses mit, aus Polen bezieht sie
das schwere Leinen, auf das sie
stickt, das sie in Tischdecken
und Kissen verwandelt.
Eigene Entwürfe
Decken werden nicht nur aus-
gesprochen kunstvoll, sondern
maßgeschneidert für jedenTisch
gefertigt, auf jeden Kunden-
wunsch abgestimmt. „Ich kann
Ihnen beispielsweise eine Dek-
ke machen passend zumMuster
Ihres Geschirrs oder mit einer
bestimmten Blume als Dekor,
ganz wie Sie es wünschen.“
Die Vorzeichnung fertigt sie
selbst, dann fährt sie deren Li-
nien mit einem kleinen, raffi-
nierten Maschinchen („So et-
was kriegen Sie heute gar nicht
mehr!“) nach, das in Windesei-
le winzige Löcher hineinsticht.
Mit feinem Farbstaub kann so
die Vorzeichnung auf den Stoff
übertragen werden.
Zeichnet sie auch auf Papier?
Krystyna Rybicka-Groh lacht.
„Ich zeichne nur noch auf Stoff.“
Auf Papier, erzählt sie, habe sie
früher gezeichnet, in ihrem er-
sten Beruf als Vermessungsin-
genieurin, „das wollten halt
meine Eltern“. Ihr selber sei das
zu wenig kreativ gewesen.
Und kreativ ist sie als Sticker-
meisterin - auch beim Restau-
rieren alter Stickereien, auf
Messgewändern oder Fahnen:
Sie lässt auf dem Leinen, das
nach dem Besticken erst mehr-
fach gewaschen wird, bevor sie
die Arbeit fertigstellt, üppige
Blumenbuketts im Plattstich
erblühen, lockert filigrane Ran-
ken mit zierlicher Lochsticke-
rei auf, schafft durchbrochene
Gebilde in edler Richelieu-
stickerei, die fast an Spitze erin-
nert.
„Kleider“ für besondere Tafeln,
zum Genießen schön und zum
Vererben dauerhaft. Wer sei-
nem Tisch ein solches Kleid
maßschneidernund -sticken las-
sen will, kann dies nach telefo-
nischer Voranmeldung tun.
Die Telefonnummer von Krys-
tina Rybicka-Groh in Menger-
schied: 06765/7230.
Sticken war bereits im Altertum...
...eine geschätzte Kunst. Schon Assyrer und Babylonier kannten
neben gewirkten auch gestickte Wandbehänge, Griechen und
Römer hielten die Phrygier für die Erfinder der deshalb „opus
phrygium“ bezeichneten Stickkunst. Im Mittelalter pflegten sie
vor allem Klöster. Rheinische Stickwerkstätten fertigten im 14.
Jahrhundert nach Entwürfen der Malerschulen in Köln und Prag
wahre Meisterwerke mit Nadel und Faden.
Ab dem 16. Jahrhundert breitete sich zunehmend die Leinen-
stickerei aus. 1828 erfand Josua Heilmann im elsässischen
Mulhouse die erste Plattstichstickmaschine, einige Zeit später
kam die Kettenstichstickmaschine dazu; der Startschuss für die
Industrialisierung der Stickerei war damit gefallen.
Sticken wie „malen“ mit
der Nähmaschine.
Mit dieser Maschine überträgt Krystyna Rybicka-Groh
die Vorzeichnung auf den Stoff.
1955: Kredit-Garantiegemeinschaft gegründet.
Eine ausgefallene Inszenierung
zumThema „Handwerk hat gol-
denen Boden“ gelang dem Ko-
blenzer Goldschmiedemeister
Evert Hofacker. Er nahm den
100. HwK-Geburtstag zumAn-
lass und kreierte eine Kera-
mikschalemit goldenemBoden.
Die Keramiker Emil Heger und
Barbara Kaas, Mitglieder der
Werkstattgruppe Grenzhausen
aus Höhr-Grenzhausen fertig-
Handwerk hat goldenen Boden
Altes Thema zum HwK-Jubiläum ausgefallen inszieniert
ten sie in der limitierten Aufla-
ge von 100 Stück. Jede Schale
ist individuell gedreht und da-
her in ihren Farbschattierungen
auch einzigartig. EvertHofacker
versah den Innenboden an-
schließendmit einerGoldglasur.
Die Materialsymbiose gibt der
Schale ihren edlen und extrava-
ganten Touch.
Sie ist in zwei Größen erhältlich
und in der Galerie Handwerk,
Rizzastraße 24-26, käuflich zu
erwerben. Gelegenheit zum
Kauf gibt’s auch während der
Ausstellung „Miteinander: Le-
ben, Wohnen, Arbeiten“ im
Löhr-Center vom 16. bis 21.
Oktober und ab 11. November
in derWeihnachtsausstellung in
der Galerie Handwerk.
Infos
und Bestellung,
Tel.: 0261/398-277, Fax: -993,
Email:
1...,8,9,10,11,12,13,14,15,16,17 19,20,21,22,23,24
Powered by FlippingBook