Handwerk Special Nr. 77 vom 18. Oktober 2000 - page 6

Das Handwerkergesetz
vom 18. Juli 1881 löst
nicht nur eine zweite
Innungsgründungswelle
aus, sondern gesteht den
Innungen auch entschei-
dend mehr Rechte zu. Sie
dürfen jetzt wieder Meis-
terprüfungen abnehmen
und ein eigenes Schieds-
gericht einsetzen. 1885 or-
ganisieren sich die Bäcker
als erste handwerkliche
Berufsgruppe in Koblenz
in einer Innung.
1881: Gewerbegesetzgebung verleiht Innungen mehr Rechte.
Schönistesumdie
WerkstattvonHol-
gerBoemannsaus
Müllenbachinder
Eifel: Hinter der
Hallemitihrerrie-
sigen, grün einge-
fassten Fenster-
front beginnt der
Wald. Vor der
Halle liegt ein rie-
siges Rasen- und
Teichareal. Ein
paar Stühle, ein
Tisch. Absolute Ruhe – hier
könnteaucheinverträumtesFe-
rienheim liegen...
Doch dann wird es laut, richtig
laut. Boemanns reitet wiedermit
500 PS durch die Eifel, mit fast
300 Sachen. 40.000 Kilometer
im Jahr, und kommt dabei nicht
vom Fleck. Auf demLeistungs-
prüfstand seiner Werkstatt wird
ein Auto „gequält“, jagt die
Tachonadel auf den Anschlag
zu, drehen sich die Räder wie
Turbinenschaufeln, könnteman
trotz der Geschwindigkeit in al-
ler Seelenruhe „zusteigen“. Es
ist einer der wenigen Prüfstände
für Allradfahrzeuge in Rhein-
land-Pfalz, die bis zu 1200 PS
„schlucken“ - und damit ganz
und gar nicht alltäglich. Aber
Alltag sucht man ohnehin in
BoemannsAuto-Mekka vergeb-
lich.
Holger Boemanns ist eine inter-
national anerkannteMotorsport-
Kapazität. Der 44jährige Kfz-
Handwerker ist zwischen Ab-
gaskrümmern und Carbonspoi-
lern „Zuhause“, spricht dieSpra-
che von Stößeln und Ventilen.
Ein Rennsportfachmann mit
Leib und Seele. Und mit Händ-
chen, denn was in seine Werk-
statt als frommes Wägelchen
reinrollt donnert als reinrassi-
Holger Boemanns und der beschauliche Alltag eines Rennsport-Enthusiasten
Der 40.000-Kilometer Vollgas-Ritt
ger Rennwagen ohne Schnick-
Schnack wieder raus. Das nut-
zen mehr als 2.200 Kunden,
weltweit. Und können die Lei-
stungen des Handwerkers und
seiner drei Mitarbeiter, der aus
dem Ruhrpott in die Eifel kam,
direkt vor der Werkstatt aus-
probieren. Einmal den Berg
raufgefahren, liegt derNürburg-
ring.
Momente einer Operation
Gelernt hat Holger Boemanns
sein Handwerk in der Essener
Tuning-Schmiede Alpina. Be-
reits während der Ausbildung
arbeitete er an europäischen
Rennstrecken als Mechaniker.
Zu dieser Zeit schalten die Am-
peln für seine künftige „Beru-
fung“ auf Grün. Holger Boe-
manns baut Rennwagen auf,
optimiert sie, baut sie um – ob
Motor, Getriebe oder Karosse-
rie (in Kooperation mit anderen
Handwerksunternehmen). Da
liefernAutomobilhersteller Roh-
karossen ihrer neuesten Model-
le an, ohne Klimaanlage, Sitze
oder Dachhimmel – einfach nur
nacktes Blech. Aus den Rohlin-
gen formen Boemanns und sei-
ne drei Mitarbeiter reinrassige
Sportwagen. Sequentielle Ge-
triebe aus Australien werden
eingebaut – eines kostet so viel
wie ein neuer Mittelklassewa-
gen – Spezialtanks verschwin-
den imHeck, pneumatischeWa-
genheber zum Aufbocken des
Fahrzeugs imRennbetrieb,meh-
rere Kilometer Spezialkabel-
und Leitungen werden verlegt.
OP-Saal-Stimmung kommt
dann aber beim Allerheiligsten
auf: Dem Motortuning. Die In-
strumente: Ein Rollwagen mit
mehr als 2000 Spezialwerk-
zeugen. Die Diagnosegeräte:
elektronische Testgeräte der
neuesten Generation. Der OP-
Tisch: Eine riesige Werkbank,
akribisch aufgeräumt, absolut
sauber.„Doktor“Boemannsope-
riert: Alles, bis zur kleinsten
Schraube, wird auseinanderge-
nommen, untersucht, gereinigt.
Fehler oder mangelhafte Bau-
teile haben keine Chance. OP
beendet, Patient läuft. Mit dem
„Alltagsmotor“ haben die Boe-
mannschen Triebwerke am En-
de der Motorkur dann nichts
mehr zu tun: Bauteile aus Titan
werden eingesetzt, Nockenwel-
len auf Rennsport getrimmt,
Kompressionen erhöht. Dreh-
zahlen bewegen sich in Berei-
chen, die auf normalen Dreh-
zalmessern fehlen.
1988 gründete er sein eigenes
Unternehmen und haucht im
Eifel-ÖrtchenMüllenbach („Im
Ruhrpott war mir alles zu hek-
tisch, hier kann man in aller
Ruhe arbeiten...“) müden Au-
tos wieder Leben für die Über-
holspur ein. Zu seinen Kunden
zählen große Autobauer, klei-
nere Rennställe bis zum Privat-
fahrer. „Geschraubt“ wird in
allen Motorsport-Klassen.
Zu den größeren Erfolgen von
Holger Boemanns, der selbst
Rennen fuhr, zählt der diesjäh-
rige Einsatz beim 24-Stunden-
Rennen auf derNordschleifemit
einem neuen 3-er BMWDiesel.
Was der Handwerker aus der
Eifel hier auf die Beine gestellt
hat, ist beeindruckend: der Die-
sel hatte satte 270 PS und ein
Drehmoment, dass jeden Ben-
ziner stehenlässt. Schluss mit
der Beschleunigung ist bei rund
270 km/h. Die beeindruckende
Schönheit einesHigh-Tech-Wa-
gens, der nur für einen Zweck in
handwerklicher Spitzenleistung
gebaut wurde: schnell soll er
sein, richtig schnell...
Tausend Schalter, Kabel und Schläuche: Auch das In-
nenleben eines modernen Rennwagens setzt auf High-
tech und handwerkliche Spitzenleistung.
Aus der Rohkarsosse, angeliefert ab Werk, baut Holger
Boemanns einen modernen Rennwagenauf und kombi-
niert Spitzentechnik verschiedener Hersteller.
Holger
Boemanns
baut seit fast
30 Jahren
Rennwagen
auf und macht
sie fit für den
Wettkampf.
Spitzentreff
der Touren-
wagen-Sport-
ler während
der 100-Jahr-
feier am Ko-
blenzer
Schloss:
Boemanns
BMW neben
Zakspeeds
Mercedes.
Cremetorte als
Prüfungsstück
EineCremetortemußteKondi-
torlehrling Ev Chimchang aus
Limburg als Prüfungsstück für
die Zwischenprüfung anferti-
gen. Sie sollte nicht nur kulina-
rischer Genuß, sondern auch
optisch gut anzusehen sein. Ev
Chimchang wurde in Thailand
geboren. Der 18jährige lebt be-
reits seit 15 Jahren in Deutsch-
land. Hier hat er die Schule
besucht und seine Freunde ge-
funden. Zur Zeit ist er im drit-
tenLehrjahr undwirdvonKon-
ditormeister Willi Thillmanns
in Neuwied ausgebildet. Ev
weiß, daß sein kreativer Beruf
vielfältige Aufstiegsmöglich-
keiten offen hält - und die
möchte er auch nutzen.
Infos zu freien Ausbildungs-
stellen im Handwerk gibt die
HwK Koblenz im Internet:
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