Handwerk Special Nr. 70 vom 29. September 1999 - page 10

Herausforderung:
Neue Entwicklungen verändern das Profil von Handwerkspraxis und -ausbildung.
Ach, wie war es doch vordem so schön
einfach. Da gab es denRadio- undFern-
sehtechniker, und der hatte ein relativ
fest umgrenztes Aufgabengebiet, war zu-
ständig für alles, was mit dem traditio-
nellen Angebot an Unterhaltungs-
elektronik (dieser Begriff ist in diesem
Zusammenhang eher anachronistisch)
zu tun hatte. Aber dann setzte ein ra-
scher Wandel ein, erweiterte sich das
Berufsfeld, gab es statt normaler Anten-
nen nun Satelliten-Anlagen in allen Va-
rianten, gesellten sich Telekom-
munikations-Einrichtungen und mo-
dernste Informationstechnik dazu.
Den Veränderungen wurde jetzt Rech-
nung getragen, u.a. mit der Umformu-
lierung des Berufsbildes und der dazuge-
hörigen Ausbildungsordnung. Christian
Schmitz, 17 Jahre alt, Realschulabsolvent
aus Andernach, ist einer derjenigen, die
nachder reformiertenOrdnung lernenwer-
den und das in einem kleinen Betrieb der
Branche. Gerade für diese kleinen Betrie-
be aber bringen die Veränderungen auch
einiges an Problemen mit sich.
AUSBILDUNGSPREMIERE
Sein Meister, Guido Luxem, der vor vier
Jahren „Radio Seiwert“ in Andernach von
seinemSchwiegervaterübernahm(imletz-
ten Jahr feierteman das 75jährige Firmen-
jubiläum), setzt sich mit diesen Proble-
men theoretisch und praktisch ebenso in-
tensiv wie engagiert auseinander, nicht
zuletzt als Ausbilder, der er jetzt ist. Chri-
stian Schmitz ist sein erster Lehrling, zu
demer sich, wie er offen zugibt, eigentlich
auch ein wenig aus der Not heraus ent-
schloss, nachdem im vergangenen Jahr
Versuche, einen Gesellen zu finden, trotz
eifrigen Bemühens scheiterten.
Er selber hatte zunächst Großhandels-
kaufmann gelernt, bevor er zum Hand-
werk kam. Um den Betrieb übernehmen
zu können, absolvierte er seine Lehre bei
einem größeren Unternehmen, deshalb
wohl auch ein gut Teil bewusster und
kritischer als jüngere ohne Berufserfah-
rung. „Die waren ganz erstaunt, dass da
ein Erwachsener unter den Auszubilden-
den war, der nicht gleich losrannte, um
Kaffee zu kochen oder die Werkstatt zu
fegen, wenn man ihn damit beauftragte.“
Das aber seien in manchen größeren Be-
triebe dieHauptbeschäftigungenvonLehr-
lingen: „Wenn die sich nicht selber bemü-
hen, kriegen sie fachlich sehr wenig mit.“
Bei ihm und seinem Lehrling ist das an-
ders, Christian Schmitz muss von Anfang
an so gut wie alles mitmachen, lernt das
meistewirklich von der Pike auf, ob Tech-
nik, Verkauf oder Umgang mit dem Kun-
den. Trotzdem keimen in Luxem Zweifel
auf, ob er die Anforderungen der neuen
Ausbildungsordnung vollständig erfüllen
kann, denn sie verlagert den Schwerpunkt
eindeutig in den informationstechnischen
Bereich, verlangt u.a. dem Lehrling das
„Bedienen und Administrieren von Da-
tenverarbeitungsanlagen,Datenschutzund
das Konzipieren von Informations- und
Kommunikationssystemen“beizubringen.
EINGEHEN AUF DIE KUNDEN
„Natürlich beschäftigen wir uns seit Jah-
ren mit der Installation von Telekommu-
nikations-, also von ISDN-Anlagen, das
ist ja mittlerweile das Normale“, meint
Luxem.Mit denSpezialisten auf demSek-
tor der Informationselektronik zu konkur-
rieren, sei dagegen kaum machbar. „Ein
kleiner Betrieb wäre schlicht überfordert,
wenn er einem Unternehmen eine kom-
plette Netzanlage inklusive aller nötigen
Hard- und Software verkaufen und instal-
lieren sollte. Dazu zerfällt der gesamte
Informationsbereich in zu viele Spezial-
gebiete, die teilweise auch gar nichtsmehr
mit dem Handwerk zu tun haben.“
Genauso klar aber sieht er das, was der
zum Informationstechniker bzw. -elek-
troniker avancierte Radio- und Fernseh-
techniker - über die genaue Berufsbe-
zeichnung gab es im Vorfeld der Refor-
men einige Diskussionen - im Rahmen
eines normalen Handwerksbetriebs bie-
ten könne. „Wir müssen uns auf den
Consumer-Bereich, auf die Privatkunden
konzentrieren, denendannallerdingswirk-
lich möglichst umfassende Angebote ma-
chen, ob sie nun wegen ihres Fernsehers,
ihrer Telefonanlage oder ihres Computers
zuuns kommen.“Konkret heißt das:Mög-
lichst umfassende Dienstleistungen und
persönlichen Service, Pflege der Stamm-
kundschaft, Image- statt Produktwerbung,
will man als kleinerer Handwerksbetrieb
in der Branche überleben.
CHANCEN FÜR DIE ZUKUNFT
Den Wandel des Berufs bejaht Guido
Luxem also durchaus, die Bemühungen,
wegzukommen vom Image, „dass wir nur
Fernseher reparieren“. Vielfalt macht ei-
nen Beruf erst richtig interessant, und
diese Vielfalt war es auch, die Christian
Schmitz nach einem Praktikum bei Radio
Seiwert auf den Geschmack und dazu
brachte, sich für diesen Beruf zu entschei-
den. „Ich denke auch, dass die Chancen
für die Zukunft nicht schlecht sind“, be-
gründet er seine Wahl. Gerade die Aus-
weitung bringt auch mehr Möglichkeiten
für die eigene berufliche Entwicklung.
Luxems Kritik gilt eher der Tatsache, dass
bei der Konzeption des neuen Berufsbil-
des, bei der Reform der Ausbildungsord-
nung die Bedürfnisse und Gegebenheiten
der Praxis zu wenig berücksichtigt wor-
den seien, dass man auch den entspre-
chenden Einwänden der Innungen nicht
die nötige Aufmerksamkeit geschenkt
habe. Aber gleichgültig, ob Informations-
techniker oder -elektroniker - in jedem
Fall werden alle diejenigen, die sich für
diesenBeruf entscheiden, dieBereitschaft
mitbringen müssen, ständig weiterzu-
lernen, um dem technischen Fortschritt
zumindest auf den Fersen zu bleiben. Wo
einst, in den Anfängen des Geschäfts in
der Andernacher Hochstraße, die guten
alten Dampfradios standen, stehen heute
die Fernseher der neuesten Generation.
Und die haben tatsächlich beides „im
Bauch“, sind Unterhaltungs- und Infor-
mationsmedium in einem Gerät.
Informationstechnikermeister Guido Luxem und sein Lehrling Christian
Schmitz messen eine Platine durch, um Fehlerursachen zu finden.
In Büro und
F r e i z e i t
werden die
Medien in
Z u k u n f t
immer stärker
vernetzt: Ob Video-
filme im PC oder Surfen
im Internet am Fern-
seher, fast alles ist
heute denkbar. Eine
breite Palette für den
Informationstechniker.
Aus Zwei mach Eins:
Handwerksberufe neu
Im April 1998 trat die Neufassung der
Handwerksordnung in Kraft, die ein-
zelne Berufsbilder im Handwerk be-
sonders an technische Entwicklungen
anpasst oder der Tatsache Rechnung
trägt, daß sich Art verwandte Gewerbe
immer weniger von einander trennen
lassen. Beispiele sind die Verbindung
von Kfz-Mechaniker und -Elektriker
zum Kfz-Techniker oder die Zusam-
menlegung von Gas- und Wasser-In-
stallateur sowie Zentralheizungs- und
Lüftungsbauer zum Installateur und
Heizungsbauer.
Auch die Berufe des Büroinforma-
tionselektronikers und des Radio- und
Fernsehtechnikers bilden jetzt einen
neuen: den Informationstechniker. Der
gemeinsame Ausbildungsberuf aller-
dings heißt Informationselektroniker.
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