Handwerk Special Nr. 69 vom 18. August 1999 - page 21

Uhrmacher:
Ein „Handwerksklassiker“ auf demWeg in die Zukunft / freie Lehrstelle
Suchen Uhrmacherlehrlinge: die Meisen-
heimer „Zeitmeßtechnik“, Tel.: 06753/93 99-0
und Biko Uhren und Goldwaren aus Koblenz,
Tel.: 0261/34 31 9
Ein Bild von
Uhrmacher-
meister
Walter-
Friedrich
Schmidt, das
so ist, wie sein
Handwerk:
Aus etlichen
Einzelteilen
setzt sich ein
einheitliches
Ganzes
zusammen,
das am Ende
präzise Arbeit
leistet - rund
um die Uhr.
Ticke-tack, ticke-tack. Überall
im Haus tickt und schlägt es,
fein und leise, laut und gewal-
tig, drehen sich Zeiger und
Zahnräder rastlos im Kreis,
gehen Pendel emsig hin und
her. Uhren sind unüberseh-
und unüberhörbar die große
Leidenschaft des Goldschmie-
de- und Uhrmachermeisters
Walter-Friedrich Schmidt, und
das seit mehr als 50 Jahren.
Dabei war die Uhrmacherei gar
nicht unbedingt der Traumberuf
des heute 69jährigen. Eigentlich
hatte der gebürtige Neuwieder
Lehrer werden wollen, aber in
den Wirren der Nachkriegszeit
brachte ihn die Mutter zunächst
bei einem Bäcker unter, „da
konnte ich mitessen und auch
mal was mit nach Hause neh-
men“. Auf die Dauer mochte er
sichnichtaufBrötchenbeschrän-
ken und machte sich deshalb auf
die Suche nach einer Lehrstelle
als Uhrmacher. Nicht umsonst
hatte er sich schon immer für
alles Mechanische interessiert.
„Als Kind habe ich mir mein
Spielzeug selber gemacht, Au-
tos, Schiffe, Flugzeuge, alles im
Miniaturformat. Klein, kleiner,
amkleinsten,daskonntegarnicht
klein genug sein.“ 1946 fing er
allerdings erst mal eine Lehre
als Goldschmied an, gleich im
Anschluß begann er doch noch
eine Uhrmacherlehre in seiner
Heimatstadt. Als Gesellenstück
fertigte er eine Taschenuhr, auf
deren Rand in erhabenen Let-
tern ein gerade auch für einen
Uhrmacher bezeichnendesMot-
to zu lesen ist: „Nutze die Zeit!“
Engagiert als Ausbilder
Walter-Friedrich Schmidt be-
folgte (und befolgt) unermüd-
lich das Motto geradezu muster-
gültig, bereitete sich, während
er in Bad Neuenahr als Gold-
schmied und Uhrmacher arbei-
tete, auf die Meisterprüfung in
beiden Bereichen vor. 1956 er-
öffnete er in Andernach sein ei-
genes Geschäft, klein und be-
scheiden. Für den strebsamen
jungen Meister standen die Zei-
chen auf schnelles Wachstum,
so daß er schon wenige Jahre
später in größere Geschäfts- und
Werkstatträume in der Bahnhof-
straße umzog. Mit den Räum-
lichkeiten wuchs die Zahl der
Beschäftigten, Angestellten und
Lehrlinge. 26 Lehrlinge insge-
samt bildete er in den mehr als
40 Jahren, in denen er sein Ge-
schäft führte, als Goldschmiede
oder Uhrmacher aus, darunter,
wie er stolz erzählt, „zwei Lan-
dessieger“. Desto mehr betrübt
es ihn, daß er in seiner Innung
heute „ein Lehrlingswart ohne
Lehrlinge“ ist. Gegenwärtig ler-
nen in Rheinland-Pfalz nur noch
20 Auszubildende die Uhrma-
cherei. „Daß sich so wenige da-
für interessieren, hängt sicher
auchmit demGeredezusammen,
daß die Quarzuhren die Uhrma-
cher arbeitslosmachenwürden,“
soSchmidt,tadeltaberauchseine
Kollegen wegen ihrer geringen
Bereitschaft, auszubilden.
Dabei ist er selbst das beste Bei-
spiel dafür, daßUhrmacher noch
gebraucht werden und Zukunft
haben. Nach der Aufgabe seines
Betriebes („...leider wollten un-
sere Kinder das Geschäft nicht
weiterführen.“) richtete er sich
in seinem Haus eine Werkstatt
ein und arbeitet hier täglich „und
ganz offiziell in der Handwerks-
rolle eingetragen“ als Uhrma-
cher, geschätzt von Stammkun-
den und gefragt für die Restau-
rierung historischer Uhren.
Auf seinem Arbeitsplatz, den er
mit allemNotwendigen, das teil-
weise selbst entwickelt und kon-
zipiert ist wie seine u. a. aus
einer Käsedose und einem Salz-
streuer (!) gebaute „Uhren-Spül-
maschine“, versehen hat, steht
gerade eine wunderschöne klas-
sizistische „Pendule“, eine alte
französische Tischuhr, in ihre
Einzelteile zerlegt.AnderWand
hängt ein noch älteres, kostbares
Stück:eineGemeinschaftsarbeit
von David Roentgen und Peter
Kinzing,derenUhrwerkSchmidt
restauriert hat.
Mittlerweile hat er sich zu einem
regelrechten Kinzing-Experten
gemausert, geschätzt vonKunst-
historikernundSammlern.Durch
seine Hände ging beispielswei-
se auch die berühmte „Kathari-
nenuhr“, 1785, inderNeuwieder
Werkstatt, für Katharina II. von
Rußlandgefertigt.Umsierestau-
rieren zu können, reiste Schmidt
sogar nach Paris, wo er das im
Musée des Arts et Metiers be-
findliche Pendant untersuchte,
um dem Neuwieder „Koncert“
wieder zum richtigen Klang zu
verhelfen.
99.000 Uhren, alle in dickleibi-
gen Büchern „registriert“, wur-
den in über vier Jahrzehnten in
seiner Werkstatt „kuriert“ - „die
100.000sollennochvollwerden“.
Einst zählten sie zu den von
Königen und Fürsten beson-
dersgeschätztenHandwerkern,
jetzt sind sie auf dem Weg ins
Quarz- und gar Solarzeitalter:
Die Uhrmacher. Viel hat sich
geändert, aber gleich geblie-
ben ist, daß auch heute von
der- oder demjenigen, die/
der UhrmacherIn
werden will,
vor allem
einerhebli-
ches Maß
an Finger-
spitzengefühl
verlangt wird.
Denn das ist wich-
tig, gleichgültig, ob es
umtraditionelleWissensgebie-
te der Uhrmacherei wie Pen-
del, Unruh, Anker oder Zuk-
lyoidenverzahnung geht oder
um zukunftsreicheMikroelek-
tronik.
Dreht sich im ersten Lehrjahr
noch vieles um vergleichswei-
se „grobe“ Dinge, so um die
Herstellung von Teilen für
GroßuhrenwieWecker, Tisch-
oder Wanduhren, wird’s im
Verlauf der nächsten beiden
Lehrjahre zunehmend diffizi-
ler, müssen sich die angehen-
den Uhrmacher verstärkt mit
denProblemenauseinanderset-
zen, die sich durch die fort-
schreitende Miniaturisierung
mechanischer und voll-
elektronischerUhrwerke erge-
ben. Ohne Physik und Chemie
geht’s dabei nicht, vor allem
nicht bei den immer flacheren
Quarzuhrwerken, ohne dieBe-
schäftigung mit integrierten
Schaltkreisen oder mit der
FunktionsweiseeinerAtomuhr
bis hin zu der nächsten Uhren-
generation,diealsEnergiequel-
le die Sonne nutzen wird.
Entwicklungsmöglichkeiten
gibt es jedoch nicht nur im
Bereich der Zeitmesser, son-
dern auch für diejenigen, die
sich mit ihnen beschäftigen.
UhrmacherInnen, die ihre
Lehre erfolgreich
absolviert und
zusätzlich
dieMeister-
prüfung ab-
gelegt haben,
finden vielfäl-
tigeBetätigungs-
möglichkeiten in
Handwerk oder Indu-
strie, in der eigenen Werkstatt
oder im großen Unternehmen.
Qualifikation ist bei der Re-
staurierung beispielsweise al-
ter Uhren, die als Sammelob-
jekte immer begehrter werden,
genauso gefragt wie bei der
Reparatur hochwertiger Arm-
banduhren, die viele heute statt
billiger Wegwerfware wieder
bevorzugen.BereichewieFein-
mechanik, ElektrikundMikro-
elektronik,Rundfunk-undFein-
gerätebau bieten zusätzliche
Arbeitsfelder, so daß, bei ent-
sprechender beruflicher Mo-
bilität, die Uhrmacherei, so alt
und traditionsreich sie sein
mag, durchaus auch ein Hand-
werk mit Zukunft ist.
NähereInformationenüberden
Beruf gibt u. a. der Bundes-
innungsverband des Uhrma-
cherhandwerks, der Zentral-
verband für Uhren, Schmuck
und Zeitmeßtechnik in König-
stein im Taunus,
Tel.: 06174/4042, Fax: 06174/
22587.
Steht für Vielseitigkeit: das Logo des Zentralverban-
des für Uhren, Schmuck und Zeitmesstechnik stellt
ein Zeigerpaar, eine Brosche und einen Brillanten im
Querschnitt dar - alles vereint unter einem Dach.
1...,11,12,13,14,15,16,17,18,19,20 22,23,24,25,26,27,28,29,30,31,...32
Powered by FlippingBook