Handwerk Special Nr. 69 vom 18. August 1999 - page 22

Schnappschüsse
aus demAlltag eines Fotografen / freie Lehrstellen / Gestaltung imHandwerk
Eigentlich geht es „nur“ um eine Türklinke. Nichts Besonderes.
Denkt man. Aber richtig inszeniert, kann Besonderes daraus wer-
den. Ganz ohne Mühe geht das natürlich nicht, und so setzt Michael
Jarmusch, seines Zeichens Koblenzer Fotografenmeister, nicht al-
lein erheblichen technischen Aufwand ein, Tücher, reflektierende
Wände, Beleuchtung, um die Klinke per Foto richtig in Szene zu
setzen, sondern legt sich dafür auch sogar mal flach. Aus der
Froschperspektive betrachtet, wird aus der vermeintlichen Neben-
endgültig eine unübersehbare Hauptsache .
Ungewöhnliche Gestaltung von
Alltäglichem ist seine Speziali-
tät und Vorliebe zugleich. „Ich
Auf demWeg
zum fertigen
Bild, einem
Tür-Griff,
vergehen
einige Stun-
den: Lampen
mit verschie-
denen Farben
bin seit meiner Lehrzeit Freiheit
gewöhnt und nehme mir bei der
Arbeit viele Freiheiten heraus,
und glücklicherweise sind die
meisten Leute froh über Anre-
gungen. Selbst wenn ich mich
an den Kundenwünschen orien-
tiere, versuche ich, meine Hand-
schrift einzubringen.“
Seit März des vergangenen Jah-
res hat der 1959 in Ulm gebore-
ne Jarmusch, der seineFotolehre
„auf der anderen Seite der Do-
nau“, im bayrischen Neu-Ulm,
in einemFotostudio absolvierte,
eineigenesStudioinderKoblen-
zer Schloßstraße. Meist sieht er
es nicht allzu häufig. Fast 80 Pro-
zent seiner Aufträge spielen sich
draußen ab, sind Außenaufnah-
men.Dasmacheihmauchdurch-
aus Spaß so, selbst wenn diese
Arbeit weniger planbar sei als
drinnen, allein schon des Wet-
ters halber, das einem oft einen
Strich durch die Rechnung ma-
che.„DerOrganisationsaufwand
vor deneigentlichenAufnahmen
ist bei Außenaufnahmen erheb-
lich größer, und wenn man dann
vor Ort ist, fehlt doch immer
wieder nochwas.Das fängt beim
Stroman, der angeblich vorhan-
den, aber dann doch nicht in
Reichweite ist.“
Ohne Flexibilität geht das nicht
und auch nicht ohne ein rollen-
des Fotostudio, wie es sich Jar-
musch in einemVW-Bus einge-
richtet hat. „Der ist deshalb viel
besser ausgestattet als mein Stu-
dio hier.“ In dem einen Jahr sei-
ner Selbständigkeit habe sich
relativ schnell die Werbe- und
Industriefotografie alsHauptbe-
reich seiner Tätigkeit herauskri-
stallisiert. „Ich kann zwar auch
ganzandereSachenmachen,bei-
spielsweisePorträt-oderSchmuck-
fotografie, aber ich denke, so-
lange das andere so gut läuft,
muß man nicht auf allen Hoch-
zeiten gleichzeitig tanzen.“ Daß
er trotzdemdann und wann auch
Mode fotografiert oder Hoch-
zeitsbilder abseits vomÜblichen
macht, ist willkommene Ab-
wechslung und Anregung.
Perspektive mal anders
Michael Jarmusch holt eine gro-
ße Mappe herbei, zeigt auf ein-
zelne Fotos, die beweisen, wie
witzig und wirkungsvoll sich
selbst vergleichsweise Nüchter-
nes fotografieren läßt. Mal
weicht die Perspektive vom Ge-
wohnten ab, mal befremdet Ver-
trautes durch die Wahl des Aus-
schnitts,malwirdgezielt schein-
bar Unpassendes zusammenge-
bracht, Maschinen mit Schach-
spielen etwa, oder mit raffinier-
ten Mehrfachbelichtungen ge-
arbeitet. „Das kann man zwar
heute auch mit dem Computer
machen, aber ich habe das noch
richtig gelernt, und diese wei-
chenÜbergängekriegtman auch
nur per Hand so hin!“Überhaupt,
sagt er, eröffne die digitale Foto-
grafie sicher faszinierendeMög-
lichkeiten, „aber für die Arbeit
draußenbringt sie nicht viel.Mir
gehteswenigerumSchnelligkeit
als um das möglichst gute End-
ergebnis. Und nur fürs Studio
allein ist die Sache zu teuer.“
Ursprünglich hatte er, erzählt er,
in Köln studieren wollen, um
Fotoingenieur zu werden, „da-
mals, als das nochganzneuwar“.
Aber als er auf den Studienplatz
warten mußte, schnupperte er
schon mal in die praktische Fo-
tografie rein - und blieb dabei.
Nach der Lehre machte er, Ende
der 80er, „nicht, weil ich sie
unbedingtbrauchte,sondernweil
ich noch mehr lernen wollte,“
dieMeisterprüfunganderBayri-
schen Staatslehranstalt für Pho-
tographie inMünchen. „Ichhabe
mich ganz bewußt für die Mög-
lichkeitentschieden,diePrüfung
zumachen. Während dieser Zeit
habe ich viel gelernt, nicht zu-
letzt organisieren, wie man sich
aufderStraßeseineModelssucht
und sie anspricht. Genau dieses
Organisieren kommt mir jetzt
bei meiner Arbeit sehr zugute.“
werden
ausgerichtet,
Folien ge-
spannt,
Spiegel
gestellt , um
künstliche
Reflexionen
zu schaffen.
Der „Tür-Schuß“
wird vorbereitet
(v.l.), Fotografen-
meister Michael
Jarmusch fotogra-
fiert am Anfang
seiner Fotosession
mit Sofortbildkame-
ras, um sich einen
zweidimensionalen
Eindruck der
dreidimensionalen
Kulisse zu machen.
Organisationstalent gefragt
Freie Lehrstellen im Fotografenhandwerk: Foto-
Studio Greber (Idar-Oberstein) und Rüdiger
Bartz (Neuwied). Infos in der Lehrstellenbörse.
Wenn’s um Gestaltung im Handwerk geht, fallen den meisten
zunächst nur mal die Berufe ein, die man mehr oder minder
automatisch mit diesem Thema zusammenbringt, Fotografen, Ma-
ler und Lackierer, Goldschmiede, Keramiker, Steinmetzen bei-
spielsweise. Dabei hat Gestaltung nicht nur mit Ästhetischem zu
tun, sondern auch mit Funktionalem. Gestalten , mit einem originel-
len, individuellen Gesicht versehen läßt sich fast alles, was das
Handwerk produziert, ob Grabstein oder Treppengeländer, Frisur
oder Inneneinrichtung, Hausfassade oder Möbelstück. Nicht zuletzt
auch das Erscheinungsbild eines Betriebes, seine „Corporate Iden-
tity“, die ohne entsprechendes Corporate Design nicht funktioniert.
Das wiederum ist mittlerweile nahezu notwendiger Teil des kreativ-
handwerklich-wirtschaftlichen Gesamtkonzepts eines jeden erfolg-
reichen Unternehmens.
DemGestalten, der Gestaltung sind kaumGrenzen gesetzt. Wichtig
ist allein auch hier das Know how. Die Möglichkeit, sich dieses
anzueignen, bietet die Handwerkskammer Koblenz mit ihren Kur-
sen zum „Gestalter (bzw. zur Gestalterin) im Handwerk“. Der
Lehrgang setzt sich aus Modulen zusammen; sieben davon gibt es,
die in 16 Kurse à 40 Stunden gegliedert sind. In den ersten Modulen
geht es um das richtige Zeichnen und damit auch Sehen, Wahrneh-
men. Andere Module beschäftigen sich gezielt mit dem Thema
„Corporate Identity“ und „Corporate Design“, um das richtige
Marketing für design-orientierte Handwerker, mit Form und Farbe
als grundlegenden Elementen des Gestaltens, um teamorientiertes
Entwickeln und Gestalten.
Weitere Informationen, so zu Terminen und Kosten, gibt’s bei der
HwK-Weiterbildung unter Tel. 0261/398-226, Fax -282, e-mail:
ternet:
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