Handwerk Special Nr. 88 vom 31. August 2002 - page 12

Nach der Jahrhundertflut fangen viele Handwerker wieder bei Null an / Mut zum Weitermachen
Anpacken und neu beginnen
Das Haus eines Nach-
barn von Ulf Förster,
der mit seinem Kfz-
Unternehmen (rechts
daneben) in Dohna zu
Hause ist. Die Auf-
räumarbeiten werden
noch Wochen dauern,
viele fangen jetzt
wieder bei Null an.
Das Hochwasser in Deutschland hat menschliches Leid und materiel-
len Schaden hinterlassen - aber auch eine Welle der Solidarität und
Hilfsbereitschaft ausgelöst. Nicht nur in den Medien ist das Hochwas-
ser im Osten Deutschlands ein Thema, auch in den Köpfen der Men-
schen dreht sich in diesen Tagen viel um das Schicksal der Betroffe-
nen. Gerade die Bewohner von Rhein, Mosel, Ahr oder Lahn wissen,
was es heisst, wenn die vertraute Umgebung ein Opfer der Wasser-
massen wird. Ein Grund mehr, jetzt zu helfen. Von Sachspenden über
finanzielle Hilfen bis zum persönlichen Einsatz vor Ort reicht die
Solidarität. Auch die HwK Koblenz beteiligt sich mit einer Geldspen-
de, die gezielt betroffenen Handwerkern zugute kommen soll, an der
Beseitigung der Schäden. In der nächsten Sendung von HwK-TV, die
am 31.8. und 1.9. sowie am 7. und 8.9. gesendet wird, berichten HwK
und der regionale Fernsehsender TVT1 über Handwerksbetriebe vor
Ort, die besonders stark vom Hochwasser betroffen sind. Für diese
Handwerksmeister und ihre Mitarbeiter geht es nicht nur um zerstör-
te Wohnhäuser, für viele steht die berufliche Existenz auf dem Spiel.
Dohna imMüglitztal: Das Hoch-
wasser in den Räumen des Auto-
hauses Förster erreicht seinen
Höchststandmit1,70m.DieStrö-
mung ist reißend, Werkstatt, La-
ger und Verkaufsraumversinken
in den braunen Fluten. Die Schä-
den sind groß: Auf rund eine hal-
be Million Euro schätzt Ge-
schäftsführer Ulf Förster den
Verlust. Durch einen Damm-
bruchimoberenTeildesMüglitz-
tales ausgelöst, überrollen die
Wassermassen in wenigen Stun-
dendengesamtenOrt.„DerFluss,
der amMorgennochknietiefwar,
tritt bereits gegenMittag über die
UferunderreichtamspätenNach-
mittagseinenHöchststand.Esgab
kaum Vorwarnzeit oder Progno-
sen, wie hoch dasWasser steigen
wird“, beschreibt Ulf Förster.
Möbel und andere Einrichtungs-
gegenständewerdenhochgestellt.
„Aberwitzig, wenn man jetzt
weiß, wie hoch das Wasser noch
steigen sollte. Wir haben Sachen
auf Tische gestellt. Später haben
wir die Tische irgendwo flußab-
wärts gefunden, von den hoch-
gestellten Dingen ist jede Spur
verloren gegangen.“
Die Umgebung des Unterneh-
mens gleicht einemSchlachtfeld:
Schlamm- und Müllhalden tür-
men sich überall auf. Die frisch-
sanierte Straße ist unterspült und
selbst zu einem Fluß geworden.
Bei einem der Nachbarn wurde
dieHälfte des Wohnhausesweg-
gerissen. „Vor unserer Werkstatt
stand eine tonnenschwere Stra-
ßenwalze, die stehenblieb. Sie
wurde zur Sammelstelle von Au-
tos, die quer durch den Ort ge-
spült wurden und an ihr hängen-
blieben.“ Aus S-Klasse, Trans-
porter und etlichen Kleinwagen
bildete sich ein Riesenblech-
knäuel. Gründlicher kann auch
eine Schrottpresse nicht arbei-
Um den in Not geratenen Handwerksbetrieben zu helfen, hat der
Zentralverband des Deutschen Handwerks ein zentrales Spendenkon-
to eingerichtet.
Landesbank Berlin
Kontonummer: 13327810
Bankleitzahl: 100 500 00
Stichwort Hochwasserhilfe: „Handwerk hilft Handwerkern“
Hilfe für betroffene Handwerker
ten. Mit Hilfe von freiwilligen
Helfern wird jetzt aufgeräumt:
„Sehr vieleMenschen boten frei-
willig ihre Hilfe an. Das hat uns
Mut gemacht.“ Und trotzdem
wird auf Wochen und Monate
hinaus kein normales Arbeiten
möglich sein. „Wir sind mit den
geretteten Fahrzeugen umgezo-
gen“. Und doch gibt es einen
erstenHoffnungsschimmer: „Ich
habe in dieserWochemein erstes
Auto nach der Flut verkauft.“
Anpacken und helfen
Das Hochwasser hat den Hand-
werksbetrieb von Malermeister
HelmutHoffmanninLeipzigzum
Glück verschont. Das Schicksal
der Betroffenen hat den Maler-
meister aber nicht kalt gelassen.
Anpacken und helfen, das ist sei-
ne Devise: Er hat sich entschlos-
sen, unentgeltlich Maler- und
Fußbodenverlegearbeiten im
Wert von 25.000 Euro auszufüh-
ren. Für den Handwerksbetrieb
mit zehnMitarbeitern ist dies ein
großesFinanzvolumen.ErsteKon-
takte hat der Meister bereits zum
Ortsbürgermeister der StadtRoß-
wein geknüpft. Dort überflutete
die Mulde u.a. einen Kindergar-
ten,denderMalermeistergemein-
sam mit dem Ortsbürgermeister
besichtigte. Mit den Arbeiten
wird in den nächsten Tagen be-
gonnen werden. „Man muss was
tun, auf direktemWegmit anpak-
ken und auch sehen, wo man
geholfen hat. Das ist meine Mo-
tivation“, erklärt Hoffmann.
Welle der Hilfsbereitschaft
Über eine „neue Welle“ - die der
Hilfe - berichtet auch Kornelia
Schneider, Pressereferentin der
HwK Dresden. Selbst als Fluß-
Anwohnerin vomWasser betrof-
fen, verbindet sie mit den vielfäl-
tigen Hilfsangeboten auch wie-
der ein Stück Hoffnung undMut,
weiterzumachen. „Unser größtes
Problem ist zur Zeit die Logistik:
Wie kommen Hilfe und Hilfesu-
chende schnell und einfach zu-
sammen.“ Und so kurios es er-
scheinen mag: Die Flut hat nicht
nur Wasser und Zerstörung ge-
bracht, materielle Schäden und
seelisches Leid, sie hatte auch
ihre „guten“ Seiten: „Ich habe
besonders viele Jugendliche ge-
sehen, die angepackt haben, ohne
Aufforderung und mit viel Ein-
satz. Es ist ein ganz neues Zu-
sammengehörigkeitsgefühl zwi-
schen den Leuten entstanden –
über die Grenzen von Dresden
hinaus.“
Bestandsaufnahme
Der neue Alltag, der auch die
Arbeit des Fleischers FranzWal-
ter und der Bäcker Werner Mat-
tulke und Bernd Holz aus Eilen-
burg an der Mulde in den näch-
sten Wochen bestimmen wird.
In die Fleischerei vonFranzWal-
ter strömte dasWasser gleichvon
zwei Seiten, von der Mulde auf
der einen und dem kleineren
Mühlgraben auf der anderen.Vor
dem Laden klafft in der Straße
ein großes Loch.Möbel,Maschi-
nen, Material - alles stand im
Wasser. „Wir mussten vier Ton-
nen Fleisch zum Entsorgen brin-
gen“, berichtet der Meister.
In der Filiale der Bäckerei Holz
zeichnet sich die Marke ab, die
die schmutzige Flut gesetzt hat,
etwa in zwei Metern Höhe. Fen-
sterscheibensindkaputtundwohl
das einzige, was die Versiche-
rung zahlt, denn eine Hochwas-
ser-Versicherung hat hier kaum
jemand, auch Inhaber Werner
Mattulke nicht. Er und Bäcker-
meisterBerndHolzstehensprach-
los hinter dem Tresen im inzwi-
schen ausgeräumten Verkaufs-
raum, die Dielenbretter quellen
raus, die Fliesen drückt es von
den Wänden. Der 71-jährige
Mattulke hatte die älteste noch
arbeitende Eilenburger Bäckerei
inzweiterGenerationgeführtund
seit 1994 den Verkaufsraum an
Bernd Holz vermietet. Das kost-
bare Mobiliar wurde nicht ver-
schont, auf einemgroßenHaufen
vor der Tür liegt es für den Sperr-
müll bereit. Es stammte noch aus
dem Jahre 1912, als die Bäckerei
gegründet wurde.
Nach der Flut: Es geht weiter
Auch inDöbeln legten die Fluten
derMulde das ganzeLeben lahm.
In der Bäckerei Körner stand das
Wasser bis zur Decke. Die Bäk-
kerei wird inzwischen in der 3.
GenerationvonFranziskaSeifert
geführt. Ihr Großvater hatte den
traditionsreichen Handwerksbe-
trieb seinerzeit gegründet. Um
die Familientradition aufrecht zu
erhalten, hat sie den Betrieb erst
vor wenigen Wochen von ihren
Eltern übernommen. Dann kam
die Flut. Die gesamte Innenein-
richtung ist zerstört, die schwe-
ren Maschinen beschädigt. „Ich
kann es nicht begreifen: Das
Wasser hat alle schweren Ma-
schinen in der Backstube wie
Spielzeug umhergewirbelt. Ich
hätte nie gedacht, dass die Natur
solche Gewalt haben kann“, be-
richtet die junge Meisterin. Sie
wird auf jeden Fall den Betrieb
wieder aufbauen und weiter ma-
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