Handwerk Special Nr. 88 vom 31. August 2002 - page 9

Pisa-Studie in der Diskussion: Lehrlingswarte ziehen Bilanz
31. August 2002
Nr. 88
Pisa-Studie oder Kreativität: Wie beurteilen Lehrlingswarte die Ergebnisse?
Die OECD-weite Bildungs-
studie über „Basiskompe-
tenzen von 15-jährigen Schüle-
rinnen und Schülern“, besser
bekannt unter dem Namen
„PISA-Studie“, ist momentan
in aller Munde. Kaum ein Tag
vergeht, an dem in Medien und
Politik nicht diskutiert wird,
welche Konsequenzen aus
ihren Ergebnissen gezogen
werden müssen.
Kein Wunder, lagen doch die
Leistungen deutscher Schüler in
den untersuchten Bereichen
unter dem Durchschnitt der
Vergleichsgruppe der übrigen
OECD-Staaten. Gerade die Be-
reiche Lesekompetenz, Mathe-
matische und Naturwissen-
schaftliche Grundbildung sind
es, die neben anderen Begabun-
gen und Einstellungen junger
Menschen
im Handwerk von
denen abverlangt werden, die in
der Studie vergleichsweise
schlecht abgeschnitten haben:
Absolventen der Haupt- undRe-
alschulen. Handwerk special
fragte nach, wie die Vorsitzen-
den des Berufsbildungsaus-
schusses und Lehrlingswarte im
Kammerbezirk die Studie ein-
schätzen, welche Erfahrungen
sie gemacht haben, in welchen
Bereichen sie Handlungsbedarf
sehen.
„Eine rich-
tig gute Prü-
fung ist selten
geworden“,
so Christof
Kaul über
seine Erfah-
rungen als
Lehrlingswart der Innung Far-
be-Gestaltung-Bautenschutz
Mittelrhein.Dies liege zwar zum
Teil begründet in mangelnden
Kenntnissen etwa in Mathema-
tik, der Hauptgrund sei es aller-
dings nicht. „Schulleistungsver-
gleiche sind nicht alles. Auszu-
bildende sind Persönlichkeiten,
die man nicht über einen Kamm
scherendarf.JederhatseineStär-
ken und Schwächen und die
PISA-Studie sagt über Kreativi-
tät beispielsweise nichts aus.
Ohne Kreativität aber ist man
kein guter Handwerker.“ Diese
Meinung kann Rainer Ferger als
LehrlingswartderTextilreiniger-
Innung Koblenz-Trier bestäti-
gen. In seinem Gewerk komme
es besonders auf die praktischen
Fähigkeiten an.
AuchReiner Goebel, Vorsitzen-
der des Berufsbildungsaus-
schussesderHandwerkskammer
KoblenzundErsterBevollmäch-
tigter der IG Metall, gemahnt
zur Vorsicht: „Ich halte nichts
von pauschalen Dauerdebatten
um die Schwäche der heutigen
Schülergeneration.“Erweist auf
dasNiveauder Testaufgabenhin
und rät, jeder solle sich, wenn
möglich, einmal selbst an diesen
testen.
Joachim Doetsch,
Lehrlingswart der
Raumausstatter-
und Autosattler-
InnungMittelrhein,
schätzt die Situati-
on so ein: „Kreati-
vität und Team-
fähigkeit, soziale Kompetenz
und Persönlichkeit sind fürmich
wichtiger als Schulleistungen
und dementsprechend aus-
schlaggebend bei einer Bewer-
bung.“ Die Kooperation zwi-
schen Schule und Handwerk
möchte er in einem Ausbau der
Praktika umgesetzt sehen.
Tanja Stockschlaeder, Lehr-
lingswartin der Innung für Or-
thopädie-Schuhtechnik Mittel-
rhein-Pfalz beklagt den fehlen-
den Arbeitseifer vieler Lehrlin-
ge: „Zu den Defiziten im Be-
reichderSchulleistungenkommt
eine oftmals bedenkliche Ar-
beitseinstellung, die man sich
nicht nur in unserem Beruf ein-
fach nicht leisten kann.“ Ri-
chard Schorn, Installateur- und
HeizungsbauermeisterundLehr-
lingswart seiner Innung imKreis
Ahrweiler bestätigt dieEindrük-
ke. Dazu kommen seiner An-
sicht nach die Schwächen in der
Schulbildung. Die aufgezählten
Feldermüssen nachAnsicht von
Sie werden beauftragt, einen neuen Satz EURO-Münzen zu
entwerfen. Alle Münzen sollen rund sein, aber verschiedene
Durchmesser haben. Forscher haben herausgefunden, dass ein
idealer Satz von Münzen folgende Anforderungen erfüllt:
1. Der Durchmesser sollte nicht kleiner als 15 Millimeter und
nicht größer als 45 Millimeter sein. 2. Ausgehend von einer
Münze muss der Durchmesser der nächsten Münze mindestens
30 Prozent größer sein. 3. Die Prägemaschine kann nur Münzen
herstellen, deren Durchmesser in Millimeter ganzzahlig ist.
Frage: Entwerfen Sie einen Satz von Münzen, der die oben
genannten Anforderungen erfüllt und beginnen Sie mit einer 15-
Millimeter-Münze. Der Satz sollte so viele Münzen wie möglich
enthalten. Welchen Durchmesser besitzen die Münzen?
Wäre Einstein ein guter Lehrling?
Jürgen Günster, alternierender
Vorsitzender des Berufsbild-
ungsausschusses sowie Kreis-
handwerksmeister
und Friseur-
meister aus Bad Kreuznach,
ernst genommen werden. „Das
Handwerk beklagt sich schon
seit langem über mangelnde
Qualifikation der Auszubilden-
den. Die Berufsbildenden Schu-
len können diesen Mangel nicht
auffangen, die Förderung muss
früher einsetzen.“DieGanztags-
schulen sieht er als Chance hier-
für an und als Möglichkeit, das
Handwerk den Schülern bereits
dort näher zu bringen.
Kuno Fiedler,
Lehrlingswart
der Dachdecker-
Innung Koblenz,
überraschen die
Ergebnissenicht.
“Wir müssen un-
sere Schülerin-
nen und Schüler, gerade aus so-
zial schwachen Verhältnissen,
besser fördern, und zwar schon
in der Grundschule“, ist sein Fa-
zit. „Schule sollte Kreativität,
Verantwortungsbewusstseinund
Phantasie fördern.
Dem schließt sich auch Bärbel
Poppitz, Friseurmeisterin und
Lehrlingswartin der Bad Kreuz-
nacher Innung, an. Sie vermutet
, dass in den Schulen nicht genü-
gend auf schwache Schüler ein-
gegangen werden kann und er-
hofft sichvonderGanztagsschu-
le neue Fördermöglichkeiten.
Paten gesucht
Handwerksbetriebe, hand-
werkliches Ehrenamt und
Handwerkskammer wer-
den den Schülerinnen
und Schülern der Ganz-
tagsschule zukünftig mit
einer Patenschaft zur
Seite stehen.
„Das Handwerk im nördli-
chen Rheinland-Pfalz be-
grüßt die Ganztagsschule
der „neuen Form“, weil sie
mit ihren Nachmittagsan-
geboten den Veränderun-
gen in Arbeitswelt und Ge-
sellschaft Rechnung trägt.
Sie hilft den Schülern, eine
Brücke zwischen Schule
und Lebensumwelt zu bau-
en. Durch das Engagement
von Handwerksmeisterin-
nen und Handwerksmei-
stern wird die Verbindung
von Schule und Handwerk
vor Ort vertieft“, so Karl-
Heinz Scherhag,MdB, Prä-
sident der Handwerkskam-
mer Koblenz.
In diesem Zusammenhang
betont er, dass derVorstand
derHandwerkskammerKo-
blenz in seiner Sitzung sich
grundsätzlich für eine Pa-
tenschaftdesHandwerksfür
ausgesuchte handwerkliche
Projekte imgesamtenKam-
merbezirk ausgesprochen
hat. „Die Ganztagsschule
darf nicht zueinerVerwahr-
anstalt für die Schüler wer-
den, sondern muss den Un-
terricht sinnvoll ergänzen
und Freizeitangebote bie-
ten, ein Konsens zwischen
PflichtundKür.Dabeimuss
dasHandwerk für dieGanz-
tagsschule wichtiges Um-
feld sein. Ganztagsschüler
von heute sind Lehrlinge
von morgen und Fach- und
Führungskräfte für das
Handwerk der Zukunft“, so
Scherhag. Die HwK lädt
ihre Mitgliedsbetriebe ein,
die Schulangebote zum
Handwerk vor Ort mitzu-
gestalten, den jungen Men-
schen auf ihren wegen zu
LebenserkundungundAus-
bildung zur Seite zu stehen
und dies auch als „Schul-
paten“ deutlich zum Aus-
druck zu bringen.
Weitere Informationen
gibt die Pädagogische
Anlaufstelle der HwK
Koblenz, Tel.: 0261/398-
331, Fax: -989,
Seit vielen Jahren verbindet die Berufsbildungszentren der HwK Koblenz eine Partnerschaft
mit den Schulen, so auch in Bad Kreuznach. Dort wird seit zehn Jahren ein Kooperations-
projekt mit der Hauptschule Ringstraße gepflegt. Im Fach „Arbeitslehre“ nutzen die Schüler
der 7. Klasse eine Exkursion in das Zentrum für eine Betriebserkundung,. In der 8. Klasse
folgt eine praktische Arbeitserprobung zur Vorbereitung des Schulpraktikums.Insgesamt
haben sich zehn Schulklassenim ersten Halbjahr 2002 für eine Arbeitserprobung im HwK-
Zentrum Bad Kreuznach angemeldet . Informationen erteilt die Pädagogische Anlaufstelle
der HwK Koblenz unter
Tel.: 0261/398-331.
Pisa-Test: Hätten Sie es gewusst?
Die Lösung: 15, 20, 26, 34 und 45 mm.
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