Handwerk Special Nr. 88 vom 31. August 2002 - page 11

Exklusiv-Interview mit Karl-Heinz Scherhag (MdB) und KfZ-Meister
31. August 2002
Nr. 88
Anpacken mit den Händen
und dem Kopf
Meinungen & Gedanken des Menschen, Unternehmers und Politikers Scherhag
Aus aktuellem Anlass: Das
Hochwasser in Deutschland
hat menschliches Leid und
materiellen Schaden hinterlas-
sen – aber auch eine Welle der
Solidarität und Hilfsbereit-
schaft ausgelöst. Auch die
HwK beteiligt sich. Sie wohnen
und arbeiten an der Mosel und
haben selbst Hochwasserkata-
strophen miterlebt. Welche
Gedanken haben Sie mit Blick
auf die momentane Situation
an der Elbe, was würden Sie
einem Betroffenen sagen?
Dawir imWinter 1993/94 selbst
in einer Art vom Hochwasser
überrascht wurden, die ich bis
dahin nicht erlebt habe, kann ich
mit den jetzt betroffenen Men-
schen mitfühlen. Ich habe da-
mals selbst Möbel, Betten, quasi
das halbe Haus zum Sperrmüll
gefahren–dasbetrübteinensehr.
Den Betroffenen würde ich sa-
gen, dass sie nicht aufgeben sol-
len, auch wenn die ersten Ein-
drücke wenigHoffnungmit sich
bringen. Schnellstens zupacken
und die Schäden beseitigen be-
deutet auch, nicht nur mit den
Händen die Folgen einer sol-
chen Katastrophe zu verarbei-
ten, sondern auchmit demKopf.
Wichtig ist auch, Konsequenzen
zu ziehen: Wie können Gemein-
den, wie können die Privathaus-
halte einer künftigen Katastro-
phe begegnen. 1994 haben wir
selbstMaßnahmen ergriffen, die
uns beim Hochwasser ein Jahr
später schon geholfen haben.
Wenn die Werkstatt des Hand-
werkers ein Raub der Fluten
wird, bedeutet das auch die
Frage nach der beruflichen
Existenz. Wie motiviert man
sich in einer solchen Situati-
on?
Ich war nicht nur privat betrof-
fen, auch der Betrieb stand unter
Wasser. Doch auch hier gilt, das
jede Katastrophe immer auch
eine Chance mit sich bringt. Für
Lothar Karl Dore und
Lehrling Daniel Feit
Tischlerei Dore aus Koblenz
Lothar Karl Dore, Tischlermei-
ster aus Koblenz, bildet seit 25
Jahren aus. „Ich führe unser
Familienunternehmen in der
zweiten Generation. Wir haben
immer Wert darauf gelegt,
Fachkräfte selbst auszubilden“, so Dore. Bei seinem Lehrling
achtet er auf „korrektes Auftreten und gepflegtes Äußere.“ Akzep-
table Schulnoten, vor allem in Mathematik sind dem Tischlermei-
ster wichtig und ein Praktikum. Lehrling Daniel Feit erfüllt alle
Erwartungen seines Meisters. „Ich arbeite gern praktisch und der
Werkstoff Holz spricht mich mehr an als beispielsweise Metall“,
begründet der 16-jährige Hauptschüler seine Wahl.
Ich bilde aus, weil...
Am 22. September sind Bundestagswahlen. Der Blick der Öffent-
lichkeit richtet sich gerade im Vorfeld verstärkt auf die Politik, auf
ihre Parteien und die Menschen, die hinter deren Zielen stehen.
Einer dieser Menschen ist Karl-Heinz Scherhag. Der Koblenzer hat
acht Jahre als Bundestagsabgeordneter die Region, die Interessen
der Menschen hier in Bonn und Berlin erfolgreich vertreten. Als
selbstständiger Handwerksmeister hat er dabei auch Möglichkeiten
genutzt, die Rolle des Handwerks in Politik und Gesellschaft zu
stärken. Doch auf dem Wahlzettel der kommenden Bundestagswahl
wird sein Name fehlen. Frühzeitig gab er seinen Abschied aus der
Bundespolitik bekannt, deren Gründe er u.a. im Interview nennt.
Wenn man ihn erlebt, mit ihm über die aktuelle politische Großwet-
terlage diskutiert, dann weiß man, dass Politik auch in seinem künf-
tigen Leben eine wichtige Rolle spielen wird – wenn auch aus ande-
rer Perspektive. Meinungen und Gedanken des Menschen, Unter-
nehmers und Politikers Scherhag – nicht nur zur Politik...
Karl-Heinz Scherhag: Wenn
man mit ihm über seine
Erfolge als MdB spricht ,
weiß man, dass Politik auch
künftig für ihn eine Rolle
spielen wird.
diebetroffenenGebieteimOsten
Deutschlands geht es an den
Wiederaufbau, den der Staat zu
bewältigen hat und woran wir
uns alle beteiligen wollen. Es ist
unser Land. Das bedeutet auch
Neuaufträge und unternehmeri-
sche Perspektive für das Hand-
werk. Ein deutlicheresMotiv für
den Blick nach vorn kann es
glaube ich nicht geben.
Längst wird die Frage der
Finanzierung eines milliar-
denschweren Programms zur
Beseitigung der Hochwasser-
schäden gestellt. Die Vor-
schläge unterscheiden sich.
Welche Lösung sehen Sie?
In der Verschiebung der Steuer-
reform sehe ich die schlechteste
Lösung. Das geht insbesondere
aufKostendermittelständischen
Betriebe, auf Kosten der Arbeit-
nehmer mit mittlerem Einkom-
men, die weiter belastet werden
und jeden Euro zigmal umdre-
hen, bevor sie ihn ausgeben.
DochgenaudieseZurückhaltung
behindert ein Erstarken der
Wirtschaftskraft. Ein Land wie
Deutschland muss in der Lage
sein, solche Katastrophen zu
überstehen, ohne immer wieder
den Leuten – selbst den Betrof-
fenen – unnötig das Geld aus
demPortemonaizunehmen.Hier
muss der Staatshaushalt so ge-
plant undverwaltetwerden, dass
in einer solchen Notsituation
Rücklagen in ausreichender Hö-
he vorhanden sind.
Wäre die Herausnahme des
Mittelstandes aus der Ver-
schiebung der Steuerreform
ein Ansatz?
Nein.Werden Pakete geschnürt,
und die Steuerreform ist ein sehr
komplexes Paket, und anschlie-
ßend wieder aufgemacht, um
Teile herauszunehmen, war dies
nie eineguteLösung. JederWirt-
schaftsbereich kann sich nur in
einem positiven Gesamtumfeld
weiterentwickeln.DieWirtschaft
als Ganzes muss in Deutschland
wieder zum Laufen kommen.
Und da hilft auch nur begrenzt
das Hartz-Papier.
Stichwort Hartz-Kommission:
Finden sich die Interessen des
Handwerks darin so wieder,
wie Sie es sich als Bundestags-
abgeordneter und Unterneh-
mer wünschen?
Nur schwer. Ich sehe nicht die
Vorteile für das Handwerk und
seinenInteressen. Problemewer-
den umgeschichtet, aber nicht
gelöst.Wie sollenAgenturenAr-
beitskräfte schneller vermitteln,
wenn sie nichts zu vermitteln
haben undBetriebe nachwie vor
eher über Entlassungen als über
Einstellungen nachdenken? Die
ganze Republikwird eine Agen-
tur?Was ist mit der Kürzung des
Arbeitslosengeldes, was mit der
breiten Rückkehr zum ehemali-
gen „630-Mark-Gesetz“? Wir
haben ein Wirtschaftsproblem,
aus dem ein Arbeitsmarktpro-
blem resultiert. Dieser Zusam-
menhangschreibtdochaberauch
dieReihenfolgebeiderProblem-
lösung vor. Wir brauchen einen
Wirtschaftsaufschwung, der erst
einmal bessere Rahmenbedin-
gungen für die Betriebe durch
den Staat voraussetzt. Hier muss
die Regierungwas unternehmen
und dann gehen wir die Proble-
me am Arbeitsmarkt an.
Ein Blick zurück: Sie wurden
1994 in den Bundestag ge-
wählt, haben acht Jahre die
Interessen der Region wie
auch des Handwerks in Bonn
und Berlin vertreten. An wel-
che Erfolge und Erlebnisse
erinnert sich der Mensch und
der Politiker Scherhag gerne
zurück?
Zunächst einmal an die ersten
vier Jahre, in denen ich sehr viel
politisch durchsetzen konnte, in
denen entscheidende Gesetzes-
änderungen erarbeitet wurden,
in die ichmich einbringen konn-
te. Eine Zeit, in der ich auch sehr
viel Einfluss auf Entscheidun-
gen für den Mittelstand nehmen
konnte. Wir haben eine neue,
modernere Handwerksordnung
erarbeitet und verabschiedet.
Doch auch die vier Jahre in der
Opposition waren erfolgreich.
Persönlich waren es spannende
acht Jahre in denen ich auch sehr
viele positive menschliche Sei-
tenderPolitikkennen-undschät-
zengelernthabe.DasMandatwar
Herausforderung und Chance
zugleich, für unser Land etwas
zu bewegen. Wenn man dieser
Aufgabe mit Einsatz und Lei-
denschaft nachgeht, stellt einen
das auch persönlich sehr zufrie-
den.
Sie haben frühzeitig ihren
Rückzug aus Berlin beschlos-
sen – die Entscheidung also
gründlich überlegt. Welche
Motive hatten Sie, welche
Pläne für die Zukunft?
Die Entscheidung war sehr
gründlichüberlegt.DieBekannt-
gabe im letzten Jahr sollte Klar-
heit und Planungssicherheit
schaffen. Ein Grund ist sicher
derRegierungsumzugnachBer-
lin. Die ersten fünf Jahre inBonn
waren problemlos, auch in be-
zug auf die Wahrnehmung mei-
ner Aufgabe als Kammerpräsi-
dent. Die drei Jahre in Berlin
haben doch manche Schwierig-
keit bei der Terminplanung ge-
macht. Da ich es gewohnt bin,
jeder Verpflichtung gründlich
nachzugehen, halte ich die ge-
troffene Entscheidung auch aus
der Sicht des Kammerpräsiden-
ten für richtig wieder vor Ort
und hier für die Unternehmen da
zu sein.
In wenigen Tagen wählen wir
eine neue Regierung: Was ist
deren dringendste Aufgabe?
Ganz klar: Die Entlastung der
mittelständischenWirtschaft.Ich
bin selbst Unternehmer, habe
damit auch die Verantwortung
für Angestellte und Lehrlinge.
Eine gesellschaftliche Verant-
wortung,derichgernenachkom-
me,dieaberauchbeinhaltet, dass
dieGesellschaftmeineSituation
erkennt und mich unterstützt.
DieseAusgeglichenheitistinden
vergangenen vier Jahren in
Schräglage geraten - das sehe
nicht nur ich so. Die Regierung
hat Möglichkeiten, dies zu kom-
pensieren. Geht es den Wirt-
schaftsunternehmen gut, geht es
auchderenAngestelltengut,wird
die Konsumfreude zurückkeh-
ren und damit eine Konjunktur-
belebung. Seien wir ehrlich: die
wirtschaftliche Sicherheit spielt
im Leben jedes Einzelnen eine
wichtige Rolle. Mit meinem
Wunsch an die künftige Regie-
rung dürfte ich also nicht alleine
dastehen.
Danke für das Gespräch.
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