Handwerk Special Nr. 86 vom 17. April 2002 - page 15

Handwerk und seine Traditionen: Mit Zimmerern auf der Walz
17. April 2002
Nr. 86
Angetanmit schwarzer Cordho-
se mit ausgestellten Hosenbei-
nen, schwarzer Cordweste, wei-
ßem Hemd und Schlapphut ge-
hen siewie imMittelalter zuFuß
los, um Land und Leute kennen
zulernen.Zimmerergesellenauf
„zünftiger Reise“, wie die Walz
heute heißt. Rückständigkeit im
Zeitalter von ICEs, Überschall-
flugzeugen und Schnellbooten?
Mitnichten.
Die Zimmerergesellen von heu-
te sind der Tradition verbunden
unddochNeuemgegenüber auf-
geschlossen. Das ist der Grund,
warumfürZimmerergesellendas
„zünftige Reisen“ aktuell ist wie
eh und je. Sie knüpfen Verbin-
dungen zu Betrieben in aller
Welt, schließen Freundschaften
und lernen handwerkliche Pra-
xis kennen.
Für sie gelten auch heute noch
die alten Regeln: Wenn sie auf
Wanderschaft gehen, dürfen sie
Wie ein Globetrotter
um die ganze Welt
Jahrhundertealte Tradition: Aus der Walz wurde die „Zünftige Reise“
Ein „Reisezeugnis“ mit Geschichte ist der Wanderpass
von Zimmerergeselle Michael Welling: Am 19. April
1844 begann seine Walz, die ihn quer durch Europa
führte, u.a. nach Basel und Breslau.
Geselle auf
der Walz bei
der HwK
Koblenz:
Auch heute
noch geben
Stempel
Auskunft
über die
„Route“ der
wandernden
Zimmerer.
Und weil
sich davon
nichts kaufen
lässt, geben
die Kam-
mern ein
„Taschen-
geld“ mit auf
den weiteren
Weg.
Traditionen haben
in vielen Hand-
werksberufen auch
heute noch einen
festen Platz, so
beim Zimmerer-
klatsch. Auch die
Walz - heute heißt
sie „zünftige
Reise“ - hat
Jahrhunderte bis
zum heutigen Tag
überlebt.
Zimmerer 6.9. Koblenz
Info-Tel.: 0261/398-400
Bei der HwK-Meisteraka-
demie beginnt am 6. Sep-
tember der nächste Meister-
vorbereitungskurs in Teil-
zeit für Zimmerer.
Infos und Anmeldung:
Tel.: 0261/398-400
E-Mail:
HwK-Meisterkurs
noch nicht verheiratet sein und
sollten das 30. Lebensjahr nicht
überschritten haben. Sie dürfen
während der
Wander-
zeitihrer
Heimat-
stadt
von seiner Heimatstadt Stuttgart
aus in ganz Europa unterwegs.
„Man lernt nicht nur Land und
LeutesowiehandwerklicheBräu-
che kennen, sondern profitiert
auch menschlich!“
„Fremde Luft tut gut“
Auch Franz-Josef Urwer, Ober-
meister der Zimmerer-Innung
Mittelrhein, rät Zimmerergesel-
len, „fremde Luft“ zu schnup-
pern. Viele bleiben während ih-
rer Reisezeit in europäischen
Ländern, andere kommen wie
Globetrotter um die ganzeWelt.
Wo sie in Kanada, Japan oder
Teneriffa einen Meister finden,
der sie aufnimmt, erfahren sie
aus Datenbanken im Internet.
Walz anno 1844
Zimmerergeselle Michael Wel-
ling aus Unterfell hatte diese
Möglichkeit noch nicht, als er
sich am 19. April 1844 auf die
Walz begab. Sein Wanderpass,
der dem Archiv der HwK Ko-
blenz zur Verfügung gestellt
wurde, ist jedoch Zeugnis einer
umfangreichen Wanderschaft.
Spannend zu lesen, dass neben
Name und Gewerbe auch das
Äußere des wandernden Gesel-
len beschrieben steht. So hat
Michael Welling eine „spitze
Nase und ein spitzes Kinn“ ge-
habt. Seine Gesichtsfarbe war
„blass“. „Gesehen“wurde er laut
Eintragung unter anderem in
Bern, Luzern, Basel, Breslau,
Berlin. Der letzte Eintrag datiert
vom Dezember 1846 in Mainz.
nicht näher als 50 Kilometer
kommenundmüssenmindestens
drei Jahre und einen Tag von ihr
fern bleiben. „Die ganze Habe
wird in ein 80 mal 80 Zentimeter
großes Tuch gerollt, Charlotten-
burger genannt“, erzählt Zim-
merermeister Nils-Peter Linde-
roth, Vorsitzender der „Vereini-
gung der rechtschaffenen frem-
den Zimmerer- und Schiefer-
deckergesellen Deutschlands“.
Er berichtet, dass derzeit 180
Gesellenvon seinerVereinigung
unterwegs sind.
Auch Zimmerermeister Heinz
Allmoslöchner gehört dieser äl-
testen Gesellenkooperation mit
Hauptsitz in Hamburg-Altona
an. Bis 1995 arbeitete er bei der
HwKKoblenz als Ausbildungs-
meister. Er schwärmt von seinen
Wanderjahren. Von 1955 bis
1960 war der damals 20-Jährige
Buch „100 Jahre HwK“
Info-Tel.: 0261/398-148
DieDokumentationderHwK
anlässlich ihres 100.Geburts-
tageswidmetdemaltenHand-
werk mehrere Kapitel. Darin
wird auch auf dieWanderjah-
re der Gesellen eingegangen.
Bestellung bei der HwK:
Tel.: 0261/398-148
E-Mail: nina.thom@
hwk-koblenz.de
Nachzulesen
Siegel und Stempel als „König-
liche“ Zeitzeugen im Wander-
buch aus dem Jahr 1844.
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