Handwerk Special Nr. 84 vom 21. November 2001 - page 11

Leisten beim Abschiednehmen wichtige Dienste: Die Bestatter
21. November 2001
Nr. 84
Begleiter
auf dem letzten Weg
Bestattungsinstitut Artur Wild und die Geschichte eines Handwerks
Handwerksordnung
Info-Tel.: 0261/ 398-261
Das Bestattungsgewerbe ge-
hört nach der Handwerksord-
nung zu den handwerksähn-
lichen Gewerben (Anlage B).
Im Kammerbezirk Koblenz
sind 178 Bestattungsinstitute
in der Handwerksrolle einge-
tragen. 53 von ihnen sind
gleichzeitig als Tischler-
betriebe (Vollhandwerk, An-
lage A) eingetragen.
Informationen:
Tel.: 0261/ 398-261
Fax: 0261/ 398-983
E-Mail: handwerksrolle
Im Detail
Seit mehr als 100 Jahren befindet sich das Bestattungs-
institut Wild in der Amtsstraße von Idar-Oberstein.
Zeitdokumente: Unternehmensgründer
Otto Wild I. vor dem Anwesen, das noch
heute Betriebssitz ist, und der Bestattungs-
wagen „Horch“ in den 30er Jahren.
ArturWildII.
Der Schreiner war es, der den
„Schrein“ - in manchen Ge-
genden ein anderes Wort für
den Sarg - herstellte. Und so
verwundert es nicht, dass der
Ursprung vieler Bestattungs-
institute im Schreinerhand-
werk liegt. Wie beimFamilien-
unternehmen Artur Wild in
Idar-Oberstein, das seit mehr
als 100 Jahren Menschen aus
dem Raum Idar-Oberstein auf
ihrem letzten Weg begleitet.
Der Großvater des heutigen Be-
triebsinhabers, OttoWild (1877-
1942), gründete zum Jahresan-
fang 1900 eineBau- undMöbel-
schreinerei, in der er auch Särge
herstellte. Zu seinen Aufgaben
gehörte der Besuch im Trauer-
haus, um an dem Verstorbenen
Maß zu nehmen und dann den
handwerklich gefertigten Sarg
zu liefern.
Weit über den
erstenWeltkrieg
hinaus, so erin-
nert sich Artur
Wild II. an Er-
zählungen, en-
dete damit die
Tätigkeit des
S c h r e i n e r s .
Das Waschen und Kleiden des
Toten übernahm die „Leichen-
frau“, die - vergleichbar mit ei-
ner Hebamme - eine Art Institu-
tion im Ort war. Beim Ein-
sargen halfen die Angehörigen
oderNachbarn, dieÜberführung
zum Friedhof erfolgte mit dem
von Pferden gezogenen Toten-
wagen der Gemeinde. Das Grab
richtete der Totengräber her,
Freunde oder Nachbarn trugen
den Sarg zum Grab.
Wurzeln im
Schreinerhandwerk
Zu Beginn der 20er Jahre war
die zweite Generation mit den
Söhnen Artur I. (1907-81) und
Otto II. (1902-35) im elterli-
chen Betrieb in die Schreiner-
lehre gegangen. In diese Zeit
fällt die Anschaffung des ersten
Bestattungs-Kraftwagens, der
lange der einzige zwischenSaar-
brücken und Mainz war und
bereits einen Wandel markier-
te. Die Zunahme an Feuerbe-
stattungen und die dadurch be-
dingten häufigen Fahrten in das
Mainzer Krematorium prägten
das Bestattungswesen in der
Schreinerei Wild immer stärker
aus. In den 30ern steht es gleich-
wertig neben dem Schreiner-
handwerk.
Bei der Anschaffung des zwei-
ten Bestattungswagens fiel die
Wahl auf ein Fahrzeug der da-
maligen Nobelmarke Horch.
Einerseitswar derWagenunein-
geschränkt für lange Strecken
tauglich: Einmal führte derWeg
sogar bis nach Prag, nachdem
ein Edelsteinhändler auf seiner
Geschäftsreise in Idar-Oberstein
verstorben war. Andererseits
drückten die Wilds mit dem
Horch auch ihren eigenen Stil
im Bestatterhandwerk aus, das
in den Jahren nach dem zweiten
Weltkrieg fast ausschließlich in
den Vordergrund trat.
Bereits in den 50er Jahren erle-
digte das Unternehmen die er-
forderlichen Formalitäten und
Behördengänge und erbrachte
sämtliche Bestattungsdienst-
leistungen. Pauline Wild, die
Mutter von Artur II., richtete
eine Vertretung für eine Sterbe-
versicherung ein und kümmerte
sich um den Bereich der Bestat-
tungsvorsorge. Die 70er brach-
ten eine Agentur für Seebestat-
tungen hervor. In der Anfangs-
phase wurde diese Bestat-
tungsart vor allem von ehemali-
gen Marinesoldaten gewählt,
aber auchHeimatvertriebene aus
den Ostgebieten wünschten die
Beisetzung in der Ostsee. - Be-
dingt durch die Krankheit des
Vaters übernahm Artur II. als
20-Jähriger denBetrieb und
führte ihn selbstständig weiter.
Handwerk
des Bestatters
Trotz der Verlagerung vom ur-
sprünglichen Handwerk zum
Bestattungsinstitut: Artur I. leg-
te 1949 seine Meisterprüfung
als Schreiner ab, sein Sohn Ar-
tur II. (geb. 1947) ging 1961 im
elterlichen Betrieb in die Lehre
und legte die Gesellenprüfung
ab. Wie auch später Andreas
Wild (geb. 1970), der 1985 mit
seinerzweiJahreälterenSchwes-
ter Christine, die eine kaufmän-
nische Ausbildung machte, in
den Familienbetrieb einstieg.
Auch der jüngste Sohn Thomas
erlernte das Schreinerhandwerk.
NacherfolgreicherGesellenprü-
fung machte er das Abitur und
studiert jetzt Architektur.
Den Wurzeln im Schreiner-
handwerk misst Artur Wild ei-
nen hohen Stellenwert bei:
„WemdasGeschick zueigen ist,
aus dem Naturstoff Holz ein
geschmackvolles Möbelstück
zu fertigen, der verfügt auch
über die Voraussetzungen für
die notwendige Sensibilität im
Umgang mit den Angehörigen
und über die Kreativität zur
würdevollen Ausgestaltung des
Rahmens für einen Trauerfall.“
Zudem ist es mitunter auch er-
forderlich, an den heute indus-
triell hergestellten Särgen An-
passungs- oder Ergänzungs-
arbeiten vorzunehmen.
Die Bereitschaft zur Weiterbil-
dung gehört natürlich dazu:
Artur Wild nahm die im Wan-
del der Zeit gegebenen Mög-
lichkeiten sich fortzubilden im-
mer wahr, und sein Sohn An-
dreas schloss dieQualifizierung
zum „Fachgeprüften Bestatter“
nach den Richtlinien des „Bun-
desverbandesDeutscher Bestat-
ter“ erfolgreich ab.
Unabhängig von Lehre und
Weiterbildung bleibt für Artur
Wild eine Voraussetzung die
erste und wichtigste im Beruf
des Bestatters: „Die unbedingte
Achtung vor demVerstorbenen
und vor denAngehörigen.“Wer
tagtäglich den Tod vor Augen
hat, rund um die Uhr in Ruf-
bereitschaft lebt, dessen Leben
wird zwangsläufig von Ernst-
haftigkeit geprägt. Dabei ist ihm
der Glaube an ein Leben nach
dem Tod für seine Arbeit wich-
tig. Zufriedenheit empfindet er
über die eigene Gesundheit und
die seiner Familie, freut sich
stolz als frischgebackener Opa,
entspannt beim Trompete spie-
len und geht dann wieder enga-
giert seinem Beruf nach als Be-
gleiter auf dem letzten Weg.
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