Handwerk Special Nr. 75 vom 17. Mai 2000 - page 12

Frühjahr 1925: Ein neues Gebäude am Kaiser-Wilhelm-Ring.
Zu ihrem 25. Geburtstag
bezieht die Kammer ein
neues Gebäude am Kaiser-
Wilhelm-Ring (Friedrich-
Ebert-Ring). Die offizielle
Einweihung wird noch
verschoben, da nicht alle
Arbeiten fertiggestellt
sind. Auch die Festschrift
zum Jubiläum erscheint
angesichts der schwierigen
wirtschaftlichen und poli-
tischen Situation erst ein
Jahr später.
UnzähligeEdelsteine sinddurch
seine Hände gegangen - Rubine
und Saphire, Tansanite und
Smaragde, die kleinsten kleiner
als ein Millimeter und die größ-
tenmehrere 100 000Markwert.
Mit viel Fingerspitzengefühl hat
Max Loch, Juwelenfasser aus
Idar-Oberstein, sie an Ringen,
Armreifen, Broschen und Ket-
ten in vielen Jahren angebracht.
Eine besondere Spezialität des
Juwelenfassers sind Herren-
oder Siegelringe. Objekte, de-
ren Steine er gefasst hat, wer-
denunter anderembei Sotheby’s
in London versteigert. Eine be-
sondere Freude für den Fuß-
ballfan Max Loch war die An-
fertigung eines Ehrenringes für
den DFB, den Fritz Walter zu
seinem 75. Geburtstag über-
reicht bekam.
Alles begann nach dem 2.Welt-
krieg, als der damals 16-jährige
Max Loch in die Juwelen-
fasserlehre ging. 1949 legte er
dann die Gesellenprüfung ab
und machte schon 1952 seinen
Meister. Ein Jahr später eröff-
nete er seinen eigenen Hand-
werksbetrieb.
Der tiefe Glanz der Farbsteine
hat ihn bis heute nicht mehr
losgelassen. 54 Jahre ist er in
seinem Beruf tätig. Für Innung
und Handwerkskammer hat er
lange Zeit junge Lehrlinge aus-
gebildet, so auch den eigenen
Sohn, der den Betrieb heute
führt. Doch lässt es sich der
jetzige Rentner nicht nehmen,
immer noch regelmäßig in der
Werkstatt mitzuarbeiten, wenn
er auch den Enkeln häufig Vor-
rang einräumt.
Im März feierte Max Loch in
Idar-Oberstein seinen 70. Ge-
burtstag. Handwerk special gra-
tuliert ihm von Herzen.
Auch mit 70 Jahren im-
mer noch gerne an sei-
nem Arbeitsplatz: Max
Loch aus Idar-Oberstein.
Im Hintergrund sein
Sohn Max jun..
„Die Malerei und die Skulptur
sind jetzt frei, denn jedermann
darf heute allerlei Gebilde pro-
duzieren und nachher ausstel-
len. In der Architektur besteht
jedoch diese grundsätzliche
Freiheit, die als Bedingung je-
der Kunst anzusehen ist, noch
immer nicht, denn man muss
ein Diplom haben, um bauen
zu können. Warum? Jeder soll
bauen können...“
Das stellte anno 1958 der drei-
ßig Jahre zuvor inWien gebore-
ne Friedrich Stowasser alias
FriedensreichHundertwasser in
seinem „Verschimmelungs-
manifest gegen den Rationalis-
mus in der Architektur“ fest, die
Menschen ihr Quartier bezie-
hen lasse „wie Hendeln und die
Kaninchen ihren Stall“. Statt
Stahl- und Glasmoderne, statt
konstruktiver Geradlinigkeit
forderte Hundertwasser die or-
ganische, unendliche Linie und
kreative Freiheit für alle. Seine
Vorstellung von Bauen demon-
strierte er ab den 80er Jahren
weltweit mit phantasievollenr,
bunter, grüner Architektur.
Baukeramikder anderenArt
Hilfestellung bei der Realisie-
rung seiner architektonischen
Träume leistete dem imFebruar
dieses Jahres verstorbenen
Künstler ein Handwerksunter-
nehmen von der Lahn, Bau-
keramik Ebinger in Bad Ems -
nicht von ungefähr. Seit 1960,
seitdem sich die Firmengründer
Lies und Heinz Ebinger auf die
Baukeramik verlegten, war der
NameEbinger zumInbegriff un-
gewöhnlicher baukeramischer
Formen- und Farbenvielfalt ge-
worden.
„Deshalb ist Hundertwasser auf
uns aufmerksam geworden und
zu uns gekommen“, erklärt Paul
Driesch, einer der Enkel der Fir-
mengründer. Er ist in dem
Familienunternehmen für den
geschäftlichen Teil zuständig;
GroßmutterLies arbeitet alsEnt-
werferin nach wie
vor mit, die Mutter
ist Geschäftsführe-
rin, die Brüder sind
Keramiker. Als
Hundertwasser-An-
hängsel sehen sich
die Ebingers aber
keinesfalls, selbst
wennmanweiter für
Hund e r twa s s e r -
Projekte arbeitet.
Schnödes schön gemacht
So lieferte die ganz auf Handar-
beit setzende Werkstatt mit ih-
ren rund 30 Mitarbeitern („Un-
sere einzige Maschine ist die
zum Anrühren des Tons!“) die
Säulen für eines der gigan-
tischsten Objekte des „Regen-
tag“-Künstlers, eine Müllver-
brennungsanlage fürOsaka, von
Peter Pelikan, Leib- und Ma-
gen-Architekt Hundertwassers,
auf einer nahe dem Gelände für
die Olympischen Spiele 2006
aufgeschütteten Insel errichtet,
auf den Spuren des Fern-
wärmekraftwerks Spittelau, der
ersten Müllverbrennungsanla-
ge, bei der der Künstler Schnö-
des schön machte.
40 Container mit Säulenteilen
hat die Ebinger-Werkstatt per
Schiff oder Flugzeug nach Ja-
pan verschickt, erdbeben-
tauglich gemacht durch die fle-
xible Befestigung der einzelnen
Elemente.
Die einzelnen Teile der Säulen
werden klassisch von Hand
„aufgebaut“, geformt, aus recht
grobem, mit Schamotte versetz-
ten, deshalb doppelt stabilen
Westerwälder Ton. Erfahrung
und Fingerspitzengefühl sind
beim Ansetzen des „Tonteigs“
genauso wichtig wie beim For-
men und erst recht bei der Zu-
sammenstellung der leuchten-
den, farbintensiven, mit teilwei-
se kostbaren Oxiden zubereite-
ten Glasuren von unverwech-
selbarer Ebingerscher Farb-
intensität. 3500 Farbnuancen
werden angeboten, auch als
Bruchmosaik, bei demjedes ein-
zelne Stück nach dem Bruch
glasiert wird, „der echte Renner
bei Architekten und Kunden“,
wie es Driesch formuliert, vor-
züglich geeignet zur individu-
ellen Gestaltung außen und in-
nen, als i-Tüpfelchen beispiels-
weise, das müde Badezimmer
munter und erfrischend macht.
Munter gemacht wird nach den
Ideen Hundertwassers im Rah-
men der Expo sogar der wilhel-
minische Bahnhof von Uelzen.
Mehr dazu und zu den Ebingers
auch unter
Die Hundertwas-
ser-Projekte leben
von der Arbeit
des Kerami-
kerhandwerks.
Die Müllverbrennungsanlage im japanischen Osaka er-
hält eine Außenhaut aus Westerwälder Keramik.
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