Handwerk Special Nr. 75 vom 17. Mai 2000 - page 10

1900/01: Vorwurf der „Lehrlingszüchterei“ gegen Schlossereien.
Die 335 Schlossereien im
Kammerbezirk bilden be-
reits 1900 mindestens 375
Lehrlinge aus und müssen
sich deshalb den Vorwurf
der „Lehrlingszüchterei“
gefallen lassen. In den an-
deren Gewerken sind die
Lehrlingszahlen allerdings
teilweise erschreckend
niedrig, denn nur etwa je-
der fünfte Betrieb bildet
aus.
Reliefs, Säulen, Ornamente an
Decken und Wänden, Kapitel-
le. Bereits in der Antike nutzte
man Gips und Kalk als Stoff
für die ebenso kunst- wie stil-
volle Ausgestaltung von Tem-
peln, Thermen und Villen.
EinfacheMittel, mit denen sich,
dank des Geschicks der ausfüh-
rendenHandwerker, verblüffen-
de Wirkungen erzielen, innen
wie außen unübersehbare archi-
tektonische Akzente setzen lie-
ßen. Was Ägyptern, Griechen
und Römern recht war, kann
heutigenBaufrauen und -herren
nur recht sein. Der Stuck feiert
fröhliche Renaissance; immer
mehr entdecken und nutzen ihn
wieder als reizvolle Möglich-
keit, Innenräumen oder Fassa-
den eine individuelle Note zu
verleihen.
Stukkateurmeister Werner
Schiess ist gerade dabei, die-
sem Trend zu mehr Individuali-
tät beim Bauen Rechnung zu
tragen, indem er gleich neben
seiner Werkstatt in Mülheim-
Kärlich einen großzügigenAus-
stellungsraum mit Musterbei-
spielendafür einrichtet,wasman
aus und mit Stuck alles machen
kann. „Wenn Kunden zu mir
kommen, möchte ich ihnen ein-
fach mehr zeigen können als
bloßAbbildungen imProspekt.“
Das, was er zeigen kann, ist
verblüffend und vielfältig ge-
nug, denn das sind nicht nur die
erwarteten Stuckornamente in
unterschiedlichsten Stilrich-
tungen von barock über klassi-
zistisch bis modern für Wand
undDecke, nicht nurGipssäulen
und Türbögen, sondern auch
Heizkörper- undTürverkleidun-
gen, Kaminumrahmungen und
Spiegelrahmen und sogar –
Schränke aus Gips.
Ornament per Katalog
Nicht alles ist mehr pure Hand-
arbeit, nicht jedes Gesims oder
jeder Stab sind per Hand ausge-
zogen, nicht jedes Ornament
vomStukkateur selber geformt.
Das geht, wie Schiess meint,
allein aus Kostengründen schon
nicht mehr. Stattdessen können
einzelne Elemente oder ganze
Umrahmungen vorgefertigt per
Katalog bestellt werden, die der
Fachmann dann haltbar befe-
stigt und den jeweiligen Erfor-
dernissen entsprechend maßge-
schneidert anpasst, umformt
und/oder ergänzt.
1970, schon mit 20, machte
Werner Schiess mit Hilfe einer
Ausnahmegenehmigung seinen
Meister als Stukkateur, über-
nahm zehn Jahre später den zu-
nächst in Koblenz ansässigen
väterlichenBetrieb („DieWerk-
statt an unseremursprünglichen
Standort war zu klein gewor-
den, deshalb bin ich hier in
Mülheim-Kärlich ins Gewerbe-
gebiet gezogen!“) und opferte
in den 80er Jahren dreieinhalb
Jahre lang seine Wochenenden,
um in Schloss Mauldach bei
Kaiserslautern den „Restaura-
tor im Stukkateurhandwerk“ zu
machen.
Stukkateur als Restaurator
Warum? „Das hat sich so erge-
ben, als Dr. Paul-Georg Custo-
dis, Bereichskonservator beim
Landesamt für Denkmalpflege,
mich darauf ansprach, ob ich
nicht auch an der Übernahme
von Restaurierungsarbeiten in-
teressiertwäre.“Schiesswar und
bereute nie seinen Entschluss.
„Das war damals der erste Kurs,
der überhaupt bundesweit für
Stukkateure als Restauratoren
angeboten wurde. Er hat viel
Spaß gemacht und wir haben in
dieser Zeit eineMenge über alte
Techniken und Materialien ge-
lernt.“
Selbst wenn Schiess als Restau-
rator kein fanatischer Purist ist
(„Man kann von uns ja auch
nicht erwarten, das wir mit dem
Pferdefuhrwerk zur Baustelle
kommen!“), plädiert er für die
Verwendung dem ursprüngli-
chen Zustand möglichst naher
Materialien. „Wenn ich an ei-
nem Fachwerkhaus das Lehm-
geflecht erneuere oder wenn ein
Naturstein imMauerwerk fehlt,
dann suche ich erst mal in der
näheren Umgebung nach alten
Lehmgruben oder Steinen, denn
auch früher hat man die be-
stimmt nicht über Hunderte von
Kilometern hergeholt.“
Arbeiten wie die Ahnen
Beim Stuck hat sich ohnehin,
bis heute wenig geändert. Bei
Gips und Kalk als wichtigsten
Stoffen ist es geblieben, für
Außendekorationen wird aller-
dings auch Zement verwendet.
Für seine Gussformen nimmt
der Stukkateur nicht mehr Leim
(„... löst sich nach ein paar Ab-
güssen wieder auf ...“), sondern
Zweikomponentenkautschuk.
Sonst geht er wie seine Ahnen
vor, gießt größere Teile und
Ornamente in seiner Werkstatt,
zieht mit Hilfe von Schablonen
Gesimse aus Mörtel, „versetzt“
das Vorgefertigte, befestigt es
amBestimmungsort. Nur selten
geht es um Antrag-Stuck, bei
dem die Dekoration gleich an
Ort und Stelle ausgeformt wird.
Eine besondere Spezialität ist
der „Stuckmarmor“, Marmor,
von handwerklichem Geschick
geschaffen. Eine aufwendige
Technik, für die man sich einen
regelrechten „Teig“ aus Gips,
Knochenleim und Pigmenten
zusammenknetet, der auf die
gemauerteGrundformaufgetra-
gen und mit einem Bimsstein
beschliffen wird. Gerade die
Restauration von Stuckmarmor
ist ausgesprochen knifflig, „um
den genauen Farbton des Origi-
nals zu treffen bedarf es viel
FingerspitzengefühlsundErfah-
rung“. War in früheren Jahr-
hunderten das Kunstprodukt
noch preiswerter als das natür-
liche Original, haben sich die
Verhältnisse heute umgekehrt.
Trotzdem: wer seinerWohnung
einen Hauch von Luxus verlei-
hen möchte, sollte sich beim
Stukkateur umschauen.
Theoretische Grundlagen der
handwerklichen Restaurie-
rung vermitteln fachüber-
greifende Seminarmodule.
Praktische Einheiten üben den
Umgang mit historischen Ma-
terialien, Werkzeugen und
Handwerkstechniken ein.
Die Fortbildung zum„Restau-
rator im Handwerk“ setzt den
Meistertitel voraus, die zur
„Restaurierungsfachkraft“
eine Gesellenprüfung. Den
Abschluss bildet eine staat-
lich anerkannte Prüfung.
Informationen
im HwK-
Zentrum für Restaurierung
und Denkmalpflege, Tel.:
06785/9731-760, Fax: -769
Restaurator
im Handwerk
Arbeit im Millimeterbereich, mit Winkeleisen oder
Freihand: Stukkateurmeister Werner Schiess zeigt in
seinem Handwerk Fingerspitzengefühl.
Endrik Kroy
aus Bad Breisig,
26 Jahre,
KFZ-Techniker-
handwerk:
„Für mich stand
schon immer fest,
dass ich meinen Mei-
ster machen werde.
Jetzt mit 26 ist für
mich der richtige
Zeitpunkt.“
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