Handwerk Special Nr. 71 vom 24. November 1999 - page 25

Vom guten Ton:
Der Musikinstrumentenmacher ist der erste Konzertmeister - vor dem Künstler.
300 Jahre - das ganz genaue
Datum ist nach wie vor etwas
umstritten -, ist es her, da eilte
eines TagesBartolomeoCristo-
fori, seines Zeichens Instru-
mentenbauer aus Padua und
in dieser Funktion auch am
Hofe der Medicis in Florenz
tätig, frohgestimmt mit einer
freudigen Botschaft zu seinem
Fürsten Ferdinando.
Viel Gefühl für die Mechanik des Flügels und ein ausgezeichnetes Gehör benötigt der
Klavierbauer, damit der Musiker später sein Können erklingen lassen kann.
vember feierten Siegfried und
Ulrich Thilemann, die Groß-
neffenNathanaels, 75. Betriebs-
jubiläum.
Betreute Nathanael als Kla-
vierbauer u. a. einst das Bukare-
ster Konservatorium, die Kon-
zerte am dortigen Königshof, so
sorgt Piano Thilemann heute
nicht nur in Wohnzimmern pri-
marckstraße; aus Platzgründen
musste 1971 dieWerkstatt in ein
neu erworbenes Haus in der
Bahnhofstraßeverlagertwerden.
Die Söhne traten jetzt in den
Betrieb ein, Siegfried, der beim
Klavierbauer Eckhard in Neu-
magen das Handwerk erlernt
(„Da ging es wirklich noch um
Klavierbau, mein Meister fer-
tigte zwei bis drei Instrumente
pro Jahr von A bis Z selbst!“)
und mit 25 Jahren die Meister-
prüfung abgelegt hatte, einige
Jahre später auch Bruder Ulrich,
gleichfalls ausgebildeter Kla-
vier- und Cembalobauer.
Verkauf von Instrumenten, Ser-
vice, Reparatur und Restaurie-
rung. Die Thilemanns begnüg-
ten sich bald nicht mehr damit,
sondern begannen engagiert und
erfolgreich mit musikpäda-
gogischen Aktivitäten. Den er-
sten Anstoß dazu gab Anfang
der 70er der Boom der neuen
elektronischen Heimorgeln, „da
stieg die Nachfrage nach Unter-
richt so stark an, dass wir dem
mit der Einrichtung unserer
OrgelschuleRechnung getragen
haben,“ kommentiert Siegfried
Thilemann. Die Qualität der
1982 umfassender gegründeten
MusikschulewurdemitdemPrä-
dikat „staatlich anerkannt“ be-
lohnt. Zu ihrem Programm zäh-
len beispielsweise im Bundes-
gebiet anderweitig rare Fortbil-
dungsseminare für Lehrer und
Erzieher.
MUSIK IM KAMMERSAAL
Ganz uneigennützig sind diese
pädagogischen Aktivitäten, wie
Siegfried Thilemann freimütig
zugesteht, natürlich nicht, „si-
cher trägt das alles zur Populari-
sierung des Musizierens bei und
das uns auch geschäftlich zugu-
te“. Im Prinzip gilt dies auch für
den 1979 eröffneten Kammer-
musiksaal, dessen 20. Geburts-
tag gleich mit dem Firmen-
jubiläumgefeiert wurde – natür-
lichmiteinemKonzert,umrahmt
von einer ganzen Schar von Flü-
geln und Klavieren, vom preis-
günstigen Fernost-Import bis
zumhoch-klassigenKonzertflü-
gel. Hier konzertierten schon
vorzügliche Pianisten - jüngst
zum Jubiläum beispielsweise
Chris Jarrett. Er hatte das seltene
Vergnügen, auf einer Replik des
161 Jahre alten Steinway Nr. 1
zu spielen. Schließlich gehört
Piano Thilemann zum illustren,
da vor einiger Zeit erheblich re-
duzierten Kreis deutscher Stein-
way-Repräsentanten.
Auch das spreche für die Quali-
tät des Unternehmens, das 1990
nachKoblenzexpandierte,meint
Siegfried Thilemann, ganz ne-
benbei ehrenamtlich ausgespro-
chen aktiv, alsMitglied von Prü-
fungsausschüssen, vereidigter
Sachverständiger, Vorstands-
mitglied in etlichenFachverbän-
den, Innungsobermeister der
Musikinstrumentenmacherin-
nungMittelrhein (seit 1986) und
seit letztem Jahr auch stellver-
tretender Bundesinnungsmeis-
ter. „Ohne meinen Bruder als
Rückendeckung im Betrieb gin-
ge das nicht!“
Cristofori hatte allen Grund zur
Freude, denn er hatte einMusik-
instrument, genauer: einTasten-
instrument entwickelt, das es
endlich erlaubte, mit der An-
schlag- auch die Tonstärke zu
beeinflussen, laut und leise zu
spielen. Ein „Arpi-cembalo ...
che fà il piano e il forte“, ein
Instrument, bei dem die Saiten
nicht mehr, wie bei Cembablo
oder Clavichord, mit Vogel-
kielen angezupft, sondern von
Hämmerchenangeschlagenwur-
den. Die Ge-burtsstunde des
Hammerklaviers, des modernen
Pianos hatte geschlagen.
KÖNIGLICHE KLAVIERE
225 Jahre später, 1924 begann
inRumänieneinVolksdeutscher
als Klavierbauer zu arbeiten, der
schon bald zur Nr. 1 seiner Zunft
in diesem Land avancierte:
Nathanael Thilemann, der erste
der Thilemanns, die von nun an
alles daransetzten, dieErfindung
BartolomeoCristoforis unter die
Leute zu bringen. Am 1. No-
vater Liebhaber, sondern auch
auf überregionalen Konzert-
podien und in Konzertsälen für
den richtigen Flügelwohlklang.
Seitdem das Unternehmen auch
im Internet auftaucht, erzählt
Siegfried Thilemann, habe sich
der Tätigkeitsbereich noch aus-
gedehnt, „in letzter Zeit haben
wir Flügel sogar nach Japan und
Madeira verkauft“. Zusammen
mit seinem Bruder Ulrich führt
er den Betrieb, den sein Vater,
Alfred Thilemann, mit seiner
Frau Gerda ab 1951 in Neuwied
aufzubauenbegonnenhatte.Ein-
fach war der Start nicht, denn
Alfred Thilemann musste vom
Nullpunkt aus anfangen. Dafür
aber konnte er mit bestem hand-
werklichen Können aufwarten,
erlernt in Leipzig in der Firma
Blüthner.
Das erste angemietete Ladenge-
schäft in der Neuwieder Pfarr-
straßewurde schonbaldzuklein,
1955 legte Vater Alfred deshalb
den Grundstein zum heutigen
Firmenhauptsitz in der Bis-
EinesdervielenFachwerkhäuserinBadMünster-
eifel. Drinnen im ‘Printenhaus’ von Konditor-
meister Günter Portz bollert ein wahres Höllen-
feuer im Steinbackofen aus der Werkstatt von
Hermann Heuft aus Bell, der für unser Titelbild
die Kulisse abgibt.
Drei relativ ‘frischgebacke’ Handwerksmeiste-
rinnen bzw. Betriebswirtinnen stehen als Model
vor der Linse von Fotografenmeister Michael
Jarmusch aus Koblenz bereit: Maschinenbau-
ingenieurin Helene Dax aus Cochem-Brauheck,
Tischlermeisterin Britta Müller und ihre Schwe-
ster Elke aus St. Sebastian.
Der Steinbackofen spielt eine Hauptrolle, groß
wie ein geräumiges Zimmer, 70 Tonnen schwer,
aus 300 Jahre alten Ziegelsteinen. Als Zubehör:
Printen. „Sie waren früher“, erläutert der Kondi-
tormeister, „eine Art Brot der armen Leute. Man
backte sie auf dem Blech aus einfachem Brot-
teig, dann wurden sie in Stücke gebrochen -
deshalb Bruchprinten. Gewürze und andere Zu-
taten konnten sich Bauern oder Kohlebergleute
hier in der Gegend nicht leisten.“
Helene Dax und die beiden Müllers dürfen auch
ungewohntes handwerkliches, nämlich Back-
talent beweisen: Natursauerteigbrote einritzen
und in den Backofen einschieben.
DieHauptdarsteller (v.l.): Günter Portz, Elke
Müller, Helene Dax, Britta Müller.
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