Handwerk Special Nr. 71 vom 24. November 1999 - page 27

Leidenschaft:
Mit demKnow-Howausder handwerklichenAusbildungdasHobbyzumBerufmachen.
Es ist eine echte
Zeremonie, bis
der Motor des
„Eil-Bulldog“
am Laufen ist.
Kfz-Techniker-
meister Michel
Schuth erhitzt
zunächst den
Zylinderkopf
bis zum Glü-
hen, dann kur-
belt er mit dem
amMotorblock
eingesteckten
Lenkrad die
schwere Ma-
schine an.
Sie ziehen die Blicke auf sich, auch die
Aufmerksamkeit der Ohren – und eine
lange Schlange hinter sich her, wenn sie
ausfahren: die schmucken Bulldogs in
leuchtenden Farben, frisch aufpoliert
inderWallmeroderWerkstatt vonFranz-
Josef Schuth und seinem Sohn Michel.
Allein das Anlassen der schweren Land-
maschinen, die Glühkopfmotoren mit 12
bis 55 PS und einem Zylinder vorantrei-
ben, ist ein Erlebnis, ja eine kleine Zere-
monie: Mit dem Bunsenbrenner den Zy-
linderkopf vorglühen ... und warten. Mit
dem Lenkrad, seitlich am Motorblock als
Schwungrad eingesetzt, die Maschine an-
kurbeln, immer auf der Hut, dass der Len-
ker nicht zurückschlägt ... bis der Kolben
gleichmäßig im Zylinder vor und zurück
schwingt.
Und dann ist er da, der Sound der 20er
Jahre, das harte und laute Motorenge-
räusch, das mit Blick auf den Bulldog fast
schon wieder schön und angenehmklingt.
Faszination pur, nur noch zu steigern,
wenn man aufsitzt und sich raus auf die
Straße wagt.
START MIT KFZ-LEHRE
Franz-Josef Schuth kam vor zehn Jahren
auf den Geschmack. Seine Lehre einge-
rechnet arbeitete er ein viertel Jahrhundert
‘ganz normal’ als Kfz-Mechaniker in ver-
schiedenen Betrieben. Dann kamder Tipp
eines Bekannten: Ein Spediteur ausWies-
baden hätte tolle historische Landmaschi-
nen und brauche jemanden, der sie ihm
flott mache. 1989 wechselte der heute
51jährige aus der Auto- in jene Hobby-
werkstatt und blieb acht Jahre als Restau-
rator für Landmaschinen am Rhein.
Wenn man ein kostspieliges Hobby pflegt
und das Geschäft dann schlechter läuft ...
die private Anstellung bot irgendwann
keine Perspektive mehr; Franz-Josef
Schuth zog zurück auf die Westerwald-
Höhen, nutzte die erworbenen Kenntnisse
und Fertigkeiten undmeldete 1997 bei der
VerbandsgemeindeseinGewerbe„Restau-
ration historischer Landmaschinen“ an:
„Wer nichts wagt, der nichts gewinnt!“
Er hatte sich einen Namen gemacht, vor
allem in der Spezialisierung auf den Typ
„Bulldog“ der Firma Lanz, die seit Mitte
des 19. Jahrhunderts bis zum Anfang der
1960er Jahre in Mannheim bestand und
mit der Übernahme durch einen amerika-
nischenKonzern langsamvomMarkt ver-
schwand. Eigene Fachzeitschriften und
regelmäßige Treffen mit Tauschbörse be-
wahren bis heute die Erinnerung an die
Ur-Traktoren.
INDIVIDUELLE HANDARBEIT
Hier findet Franz-Josef Schuth seineKun-
den und Bulldog-Patienten. Je nach Zu-
stand und Arbeitsaufwand kommen sie
für zwei Monate nach Wallmerod, um
sich aus einer Rostlaube zum echten Hin-
gucker zu entpuppen. „Bei unswirdHand-
werk wirklich noch groß geschrieben“,
versichert Schuth, denn die meisten Er-
satzteile muss er selber fertigen: Drehen,
Fräsen, Biegen, Schweißen, Lackieren ...
alles in individueller Handarbeit.
Da wird aus demSchlepper für die Feldar-
beit ein „Eilbulldog“, die Straßenversion
mit immerhin 30 km/h Spitzengeschwin-
digkeit. Die Farbgebung erfolgt auf Kun-
denwunsch und bleibt eigentlich nie beim
Einheitsgrau der Serie.
Seit Sommer unterstützt Michel Schuth,
Jahrgang 73, seinen Vater im Familienbe-
trieb als angestellter technischer Betriebs-
leiter. Mit der Meisterprüfung im Kfz-
Technikerhandwerk, die Michel 1995 ab-
legte, konnte jetzt auch die Eintragung in
die Handwerksrolle erfolgen: als „hand-
werklicher Nebenbetrieb“ im Kfz-Hand-
werk. Denn Vater und Sohn haben sich
eindeutig spezialisiert.
Auch wenn das ein gewisses Risiko birgt,
blicken die beidenWesterwälder gelassen
in die Zukunft: „Unsere Arbeit ist unsere
besteWerbung. Wir haben keine Konkur-
renz in Deutschland und darüber hinaus.
Die Leutemüssenwarten, biswir für ihren
Oldtimer Zeit haben“, versichert das Re-
stauratoren-Team und erläutert stolz die
erstklassige Arbeit an den Bulldogs, die
sich gerade in der Werkstatt befinden.
Blickfang am Ortseingang Wallmerod,
diesmal mit den beiden Schuths: Glän-
zend restaurierte Bulldogs.
Informationen
Mit heutigen Traktoren oder
Geräten für Feld und Wald be-
fasst sich der Landmaschinen-
mechaniker. Näheres zum
Beruf beim Bundesin-
nungsverband in Essen,
Tel.: 0201/89624-0.
Fragen zur Lehre?
HwK-Telefon:
0261/398-323!
Zur Meisterprüfung?
0261/398-400!
Der Kolben für den Ein-Zylinder
in den Händen von Kfz-Techniker
Franz-Josef Schuth.
Die „Vorher-Nachher-Show“:
Was in die Werkstatt der bei-
den Schuths gelangt, gleicht
manchmal einem Haufen
Schrott.
Derselbe Bulldog, hier die
Feldversion nach der „Kur“,
ist ein echter Hingucker - und
wieder voll einsatzfähig.
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