Handwerk Special Nr. 70 vom 29. September 1999 - page 24

Damals & heute:
Aus bescheidenenAnfängen entwickelten sich Handwerksbetriebe mit Bestand.
Sein Vater war Winzer in Gei-
senheim; den Sohn aber zog es
frühschonwenigerindenWein-
berg als zur Mechanik. Deshalb
machte sich Jakob Corvers auf
die Suche nach einer Lehrstelle
und fand sie in einer Firma, die
Druckmaschinen herstellte.
„Da haben wir noch eine acht-
stündige Aufnahmeprüfung ma-
chen müssen, theoretisch und
praktisch!“, erinnert er sich, als
wir ihn in seinem Haus in Wall-
ersheimbesuchen.Zunächstlern-
te er Schlosser, merkte dann aber
recht schnell, dass er eigentlich
lieber mit Maschinen arbeiten
wollte. Deshalb stieg er um auf
eineLehrealsDreher.„EinenGe-
sellenbrief habe ich aber nicht,
denn Gesellen gab’s unter Hitler
plötzlich nicht mehr, da waren
alle nur noch Facharbeiter.“
Wenige Jahre später wirbelte der
Krieg auch sein Leben und seine
beruflichen Pläne einigermaßen
durcheinander; Corvers arbeite-
te,mitseinenKenntnissenimFei-
len, Drehen, Schneiden, Schwei-
ßen geradezu prädestiniert dafür,
ineinerWaffenschmiede,besuch-
te fünf Monate die Schule für
Waffenschmiedemeister in Ber-
lin. Man merkt ihm beim Erzäh-
len an, dass er diese unruhigen
Zeiten auch fünfzig, sechzig Jah-
respäternocheinmalrichtignach-
erlebt, die Schwierigkeiten mit
den Vorgesetzten, in die er dop-
pelt leicht geriet, weil er sich po-
litisch immer eher zurückhielt.
„Mein Vater, der war streng ka-
tholisch und wollte schon des-
halb nicht, dass ich in die Hitler-
jugend eintrat!“
TÜFTLERTALENT
Als Soldat durch einen Lungen-
schuß schwer verwundet, landete
er bei Kriegsende nach mehrwö-
chiger Gefangenschaft auf der
Suche nach Arbeit in Koblenz.
Bei Hanko wurde er endlich fün-
dig. „Ich hatte zwar vorher noch
nie was mit Autos gemacht, aber
ich habe ich mich dann eben da-
mit beschäftigt.“ Das gilt nicht
nur fürAutos, sondern imPrinzip
für fast alles, was irgendwie mit
Maschinen und Mechanik zu tun
hatte. Sein ausgeprägtes Tüftler-
talent kam ihm in diesen schwie-
rigen Nachkriegszeiten ausge-
sprochen entgegen. Schließlich
gab es fast nichts, auch nicht Er-
satzteile fürMaschinen. Corvers,
der mittlerweile eine Neuen-
dorferin geheiratet hatte („Sie
wohnte gleich neben der Drehe-
rei, in der ich häufig arbeitete!“),
verhalfmitseinemGeschickman-
cher ansonsten zum Stillstand
verdammten Maschine wieder
zum Laufen, u. a. der Pudding-
maschine der Firma Hartkorn.
Solche Kontakte waren darüber
hinaus nützlich, brachten mal
wieder Essbares, zwei Säcke
Weißmehl in diesem Fall. „Man
durfte bei der Materialbeschaf-
fung nur nicht sagen, dass man
die Ersatzteile für eine Pudding-
maschine brauchte.“
Improvisationstalent war auf al-
len Ebenen gefragt. Musterbei-
spiel dafür ist die Drehbank, die
sich Corvers zusammenbastelte
und die noch immer in seinem
Hof steht, die er auch auf der
Messe am Rhein zeigte. „Das
musst du unbedingt erzählen,
woher du all die Teile dafür hat-
test,“ wirft Ehefrau Gertrud ins
Gespräch ein. Und Corvers zählt
auf, eine lange Liste, „das da
stammtvoneinemaltenOpel,das
ist ein Stück von einem amerika-
nischen Wagenheber, der Treib-
riemenwareinHosenträger.“Als
Antrieb lieh er sich den Motor
vom Filmvorführgerät beim Pa-
stor aus; vor einigen Jahren er-
setzte er ihn durch einen Wasch-
maschinenmotor.
WENIG MITTEL
Auch als sich Jakob Corvers ent-
schloss, die Meisterprüfung als
Mechaniker zu machen, ange-
sporntvonseinerBraut(„Ichhabe
ihm gesagt, dass ich ihn nur hei-
rate,wennerdenMeistermacht“),
waren Hartnäckigkeit, Einfalls-
reichtum und Organisations-
geschickunverzichtbar.„Damals
hatten wir noch nicht einmal ge-
nug Papier,“ meint er lachend
und holt die Skizze für sein Mei-
sterstück, den Längs- und Quer-
Support für eine Drehbank, her-
vor, gezeichnet auf der Rückseite
einesWerbeplakats. Nachdem er
das Material für die Anfertigung
beisammen hatte, machte er sich
auf die Suche nach einer Werk-
statt, „schließlich war auch der
Strom rationiert, da konnte man
nicht einfach irgendwohin gehen
und sagen, ich will das machen.“
Lohn aller Mühe war ein „Sehr
gut“beiderPrüfung-undweitere
Aufträge. „Wenn die Leute ir-
gendwas zu reparieren hatten,
wenn ein Teil an einer Nähma-
schine fehlte, dannkamen siehalt
zu uns, weil sie wussten, Jakob
kann ihnenhelfen,“ amüsiert sich
Gertrud Corvers, beklagt sich al-
lerdings noch im nachhinein dar-
über, dass ihr Mann so oft kaum
zu hause war. 1949 erledigte er
einen besonders interessanten
Auftrag, fertigte Drehspitzen für
eine aus Nassau stammende, ge-
brauchte Rotationsmaschine, mit
der die Rhein-Zeitung ihren Be-
trieb nach demKrieg wieder auf-
genommenhatte,„dieDingerwa-
renkompliziertherzustellen,aber
ohne sie ging es nicht, denn die
hielten das Papier auf der Ma-
schine fest“.
Auch heute könnte sich Ehefrau
Gertruddarüberbeschweren,dass
ihr Mann, der bis zu seiner Pen-
sionierungbeimSeezeichen-Ver-
suchsfeld des Wasser- und
Schiffahrtsamtes in Koblenz ar-
beitete und dabei 24 Lehrlinge
ausbildete, trotz seiner fast 80
Jahre immer noch allzu häufig in
seiner Werkstatt verschwunden
oder unterwegs ist, zum Beispiel
bei Kindern und Enkeln, wenn
die Häuser bauen und renovie-
ren. Beim Handwerk ist es auch
bei etlichen von ihnen geblieben,
wenn nicht bei der Mechanik, so
doch bei der Schornsteinfegerei.
Ein Sohn und ein Enkel sind
Schornsteinfegermeister.
Der fast 80jährige hat sich in seinemHaus inWallersheim
eine Werkstatt eingerichtet, in der er z.B. spezielle Ge-
winde schneidet, die Tüftlertalent erfordern.
Das Meisterstück Jakob Corvers: ein Längs- und Quer-
support, Teil der von ihm selbst gebauten Drehbank.
Ein Muster-
beispiel für
Improvisa-
tion in
schwierigen
Zeiten: die
Drehbank,
die sich
Corvers un-
ter Verwen-
dung unter-
schiedlich-
ster Materia-
lien gleich
nach dem
Krieg baute.
Die HwK Koblenz führte im
September eine Befragung zu
den Auswirkungen der gesetz-
lichen Neuregelung der „630-
Mark-Jobs“ durch. Die Ände-
rung betrifft etwa 80 Prozent
der Betriebe, die vor dem 1.
April 1999 geringfügige Ar-
beitskräfte beschäftigten. Gut
zwei Drittel von ihnen mussten
nach Inkrafttreten der Neurege-
lung Kündigungen hinnehmen.
Jedes zweiteUnternehmen sieht
für sichdirekteNachteile durch.
Das eigentliche Ziel der Geset-
zesänderung, mehr Voll- und
Teilzeitarbeitsplätze zu schaf-
fen, wird von dieser Befragung
nicht bestätigt.
Nur etwa 8 Prozent der Unter-
nehmen geben an, dass sie nach
dem 1. April neue Teil- und
Vollzeitarbeitsplätzeeingerich-
tet haben. Die niedrige Quote
wird mit den hohen Kosten be-
gründet, die die Umwandlung
eines 630-Mark-Jobs verur-
sacht. Die personelle Lücke
wird überwiegend (72%) durch
Überstunden der Mitarbeiter
oder des Inhabers geschlossen.
Durch den erhöhten Anteil an
Überstunden entstehen den
Handwerksbetrieben höhere
Personalkosten. Da es in eini-
gen Branchen sehr schwierig
ist überhaupt qualifiziertes Per-
sonal zu finden, sind die Unter-
nehmen gezwungen, die entste-
hende Mehrbelastung selbst zu
tragen. Weiterer Nachteil: ein
erhöhter Organisationsauf-
wand. Durch die kurzfristige
Einführung der Neuregelung
und den herrschenden Wettbe-
werbsdruck gehen die Mehrko-
sten einseitig zu Lasten des
Unternehmensertrages.
Nachteile - aber keine Arbeitsplätze
durch Neuregelung der 630-Mark-Jobs
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