Handwerk Special Nr. 61 vom 3. April 1998 - page 21

Über´m Kopf der Himmel,
unter den Füßen die eigene Ar-
beit, neben sich einWetterhahn,
ein Kirchkreuz, die Dachkante
eines Hochhauses. Orte, die alle
20 JahreBesuchbekommen.Die
da an glatten Hauswänden in
den Himmel stürmen, kommen
aus einem eher seltenen Hand-
werk: Gerüstbau. Mit der No-
vellierung der Handwerksord-
nung haben die Gerüstbauer
auch in wirtschaftspolitischer
HinsichteinengewaltigenSprung
nach „oben“ gemacht. Seit An-
fang März ist das Gerüstbauer-
handwerk Vollhandwerk. „Ziel
Auf demWeg nach oben: Was macht ein Gerüstbauer?
erreicht“ sagen erfahrene Un-
ternehmer dieses Gewerks und
finden Bedeutung und Verant-
wortung ihrer Arbeit in der Ge-
setzesnovelle der Handwerks-
ordnung wieder.
Koblenz, Friedrich-Ebert-Ring.
Der Verkehr rollt, Fußgänger
marschieren Richtung Schloß
den Bürgersteig entlang. Einige
bemerken noch nicht einmal die
„Baustelle“ über ihren Köpfen,
die es am Vortag noch gar nicht
gab. In luftiger Höhe „stürmen“
die Männer des Bopparder Ge-
rüstbauunternehmensLöhrRich-
tung blauer Frühlingshimmel -
an der Dachkante in gut 15
Metern Höhe ist ihr Ziel erreicht.
Der nächste Gebäudeteil ver-
schwindet im Skelett von Roh-
ren, Kupplungen und Laufste-
gen. Mit ihrer Arbeit machen
sie den Weg zu Gebäudeteilen
für andere handwerkliche Ar-
beiten frei, die auf normalem
Weg unerreichbar wären. Und
sie leisten selbst solide Hand-
werksarbeit. Ihr Beruf ist eine
Mischung aus Statik, Kraft, Er-
fahrung, Zuverlässigkeit. „Kein
Mensch fährt über den Fried-
rich-Ebert-Ring oder geht auf
dem Bürgersteig entlang mit
demGedanken, das Gerüst kön-
ne umkippen“, redet Unterneh-
mer Frank Löhr über ein Szena-
rio, das katastrophale Folgen
hätte. Dieses Vertrauen spricht
für sein Handwerk. Auch daß in
seinem Unternehmen seit Be-
stehen niemand vomGerüst ab-
stürzte, die stählernen Kunst-
werke selbst haben auch immer
das gehalten, was sie verspra-
chen, spricht für ihn.
Ein enormer Aufwand steckt in
den himmlischen Laufstegen.
Hunderte von Stahlrohren wer-
den mit speziellen Kupplungen
verschraubt, rechteckige Rohr-
teile ineinandergesteckt und ge-
sichert. Für verschiedene An-
sprüche gibt es verschiedeneGe-
rüsttypen. Auch freistehende
Gerüste, die an historischen Bau-
substanzen oder teuren Fassa-
den mit keiner Schraube, mit
keinem Haken „hängen“, sind
für die Himmelsstürmer Alltag.
Täglich bewegt einGerüstbauer
bis zu zwei Tonnen Material
nach oben. Und das „Oben“
wächst: Von Minute zu Minute
wandert die Baustelle weiter,
wird der Weg länger. „Auch
wenn heute Lifte die Arbeit ver-
einfachen, vor Ort muß alles von
Handzusammengesetztwerden“
bescheinigt Egon Schwalb sei-
nen Mannen Herz, Talent und
Ausdauer. Vor 30 Jahren grün-
dete der gelernte Dachdecker
Informationen
aus Ransbach-Baumbach sein
Gerüstbauunternehmen, „mein
erster Mitarbeiter ist noch heute
dabei.“ Gute Leute, so Egon
Schwalb, sindgerade imGerüst-
bauerhandwerk wichtig. „Feh-
ler bedeuten Lebensgefahr - für
den Gerüstbauer, die Handwer-
ker, die auf ihnen arbeiten, für
Passanten.“ Den Wandelgang
zwischen Lasten und Kräften,
zwischen Wünschen am Reiß-
brett undpraktischerUmsetzung
in 50 Metern Höhe meistert das
Handwerk mit Erfahrung und
Gründlichkeit.
Fähigkeiten im Umgang mit
Holz, Metall und Bausubstan-
zen sind wichtig, „unser Beruf
lebt zudem von Teamarbeit. Er
ist anstrengend, aber abwechs-
lungsreich und gut bezahlt.“ Ei-
ne tolle Fernsicht gibt´s gratis.
Der Bau um den Bau ist eine Kunst für sich, in der das
Wechselspiel aus Lasten und Kräften, aus schnellem
Aufbau und absoluter Sicherheit kombiniert wird.
Gerüstbau aus Fami-
lientradition: Egon Schwalb
(rechts) mit Sohn Michael.
zum Gerüstbauerhandwerk:
Gerüste werden nicht nur
um Gebäude aufgestellt,
auch in Innenräumen - so in
Kirchen zur Restaurierung
von Decken oder hohen
Säulen - finden sie Einsatz.
Auch große Maschinen
werden für Reparaturarbei-
ten eingerüstet. Behelfs-
brücke, Fest- oder Messe-
zelt, Bühne für´s Theater,
überdachte Autobahnbau-
stelle, Traggerüst für Dek-
kenabstützung - alles kein
Problem. Und selbst wenn
der Untergrund steil abfällt,
stellen sie ihre Arbeit auf -
100 Prozent gerade, 100
Prozent sicher.
Infos zur Ausbildung gibt
die HwK Koblenz,
Tel. 0261/398-332,
Nachgefragt
bei Wolfgang Lammersdorf,
seit 1974 Gerüstbauer bei
Egon Schwalb:
Sind sie schwindelfrei?
Auf jeden Fall. Wer in 40
Metern Präzisionsarbeit lei-
stet, muß schwindelfrei sein.
Ihre höchste Baustelle?
Die war am Kirchturm Kurt-
scheid in 50 Metern Höhe.
25 Jahre in einer Firma -
was spricht dafür?
Die Arbeit macht Spaß, mit
den Kollegen und dem Chef
komme ich sehr gut aus, und
der Beruf wird gut bezahlt.
Gerüstbau
aufgewertet
Mit der Novellierung der
Handwerksordnung ist das
Gerüstbauerhandwerk jetzt
Vollhandwerk. Damit wurde
den anfallenden Arbeiten wie
auch den gesetzlichen Bestim-
mungen Rechenschaft getragen.
Mit der Novelle erhalten Gerüst-
bauer die Ausbildungsberech-
tigung - bundesweit entstehen
so ca. 4800 neue Lehrstellen.
Hoch hinaus
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