Handwerk Special Nr. 91 vom 29. Januar 2003 - page 11

Exklusiv-Interview mit Deutschlands jüngstem Diözesanbischof Prof. Dr. Reinhard Marx
29. Januar 2003
Nr. 91
Idee und Verantwortung: Karl-Jürgen Wilbert
Redaktion: Jörg Diester, Beate Holewa, Andrea Düpper, Markus Gaida
Layout:
Jörg Diester, Andrea Düpper, Markus Gaida
Mitarbeiter dieser Ausgabe: Nina Thom
Herausgeber:Handwerkskammer Koblenz
Friedrich-Ebert-Ring 33, 56063 Koblenz, Tel.: 0261/398-
160, E-Mail:
in Verbindung mit dem Mittelrhein-Verlag Koblenz
Fotos:
Focus Foto-Studio, G. Juraschek, odd Bad Kreuznach, HwK
Koblenz
Anzeigen: Hans Kary (verantw.), Informa RZ-Anzeigenservice
56070 Koblenz
Verkaufsleiter: Rudolf Speich, Tel.: 0261/ 892-115
Technische Herstellung: Druckhaus Koblenz
August-Horch-Str. 28, 56070 Koblenz
Impressum
Ins Kino gehen Sie auch?
Terminlich schwer, aber ich hät-
te kein Problem damit. Im Thea-
ter war ich vor kurzem bei den
Antikfestspielen und im Mund-
arttheater.
Gehen Sie als Bischof oder
Privatperson?
Ich gehe als Mensch dahin. Das
kannmannicht trennen. DieLeu-
te kennen mich. Mich belastet
das nicht, ich finde es schön. Ich
gehe nicht inkognito.
Wann tauschen Sie Ihre
Soutane auch mal gegen
Hose und Pullover?
Als Priester erkenntlich bin ich
eigentlichimmergekleidet.Wenn
ich aber auf derCouch einSchläf-
chen halte, sieht das anders aus.
Ich trage Freizeitkleidung im
Urlaub, bade im Mittelmeer in
der Badehose und gehe in zünfti-
ger Kleidung mit Jugendgrup-
pen wandern.
Was ist Ihre Schokoladen-
seite?
Das müssen andere beurteilen.
Was mögen Sie an sich gar
nicht?
Ich nehme mir oft zuviel vor und
spüre dann meine körperlichen
und geistigen Grenzen. Das ist
die eigene Unbescheidenheit, al-
les Mögliche machen zu wollen.
Ich kann schlecht nein sagen. Ich
würde auch gern 10Kiloweniger
haben.
Sie rauchen, hat ein Bi-
schof auch menschliche
Schwächen? Wie rechtferti-
gen Sie diese vor sich selbst
und anderen?
Menschen sind wie Autos, Las-
ter sind schwer zu bremsen. In
der Fastenzeit versuche ich, nicht
zu rauchen und schaffe es auch.
Aber sonst macht es mir Freude.
Aufgeregt hat sich darüber noch
niemand. Manch einer isst gern
Teilchen und bevorzugt die Tor-
tenschlacht, während ich die Zi-
garre bevorzuge.WelcheSchwä-
che ist nun größer? Ich bin keine
wandelnde Statue, sondern ein
Mensch wie jeder andere.
Welche Gedanken gehen
einem Bischof durch den
Kopf, wenn er einer schö-
nen Frau gegenüber sitzt?
Ich freue mich, dass Gott etwas
so Schönes geschaffen hat. Ich
empfinde keinen Mangel, dass
ich nicht verheiratet bin. Ich habe
aber deshalb kein gestörtes Ver-
hältnis zu Frauen. Ich bin 25 Jah-
re Priester und habe mich gut auf
das Amt vorbereitet. Ich übe kei-
nenVerzicht, ziehedieNäheGot-
tes nur einer anderen Partner-
schaftvor.Müssensichnichtauch
verheiratete Männer und Frauen
immer wieder an ihr Treue-
gelöbnis erinnern, wenn sie an-
deren, sie ansprechenden Part-
nern begegnen? Sonst wird die
Beziehung zerstört.
Ob in Politik, Wirtschaft
oder Büro - Klatsch ist Kult.
Klatscht der Klerus auch?
Oh ja, natürlich. Das hat nichts
mit demPriesteramt zu tun.Män-
ner klatschen genauso gern wie
Frauen. Nehmen wir zum Bei-
spiel die Männerstammtische.
Vielleicht sind die Themen ge-
schlechtsspezifisch unterschied-
lich. Im übrigen, Klatsch ist nur
schlecht, wenn er anderen scha-
det, sonst kann er durchaus ent-
lasten.
Schenken Sie uns zum
Abschluss eine Lebens-
weisheit.
Die Botschaft des Glaubens tut
dem Leben gut: Nicht über Gott,
sondern mit ihm reden. Das soll-
te jeder ausprobieren.
Herr Bischof, vielen Dank
für das Gespräch.
„schrecklicheWelt“ hinein, stößt
sie nicht von sich. In der Gestalt
Jesuhat er einenZuganggebahnt.
Keine Religion wie der christli-
che Glaube versucht so radikal
sich dieser Frage zu nähern.
Herr Bischof, bei den Leh-
rer-Info-Tagen der HwK
haben Sie zur Werteorien-
tierung gesprochen. Die
Menschen sind wohlhaben-
der und auf vielen Gebieten
freier als früher, aber weni-
ger zufrieden und glück-
lich. Wo sehen Sie Ursa-
chen dafür?
DieVorstellungenvomGlückwa-
ren vor 100 Jahren beschränkter.
Vielleicht waren die Menschen
deshalb zufriedener, weil sie gar
keine Wünsche haben konnten.
Heute sind die Wünsche unbe-
grenzt. Wir wissen mehr, wir se-
hen mehr, wir wollen mehr, so
dass die Enttäuschung darüber,
dasssichnichtalleserfüllenkann,
stärker ist als in vielen Genera-
tionen vorher. So war es für mei-
ne Eltern ein ungeheures Glück,
den Krieg überlebt zu haben und
später mit selbst gebrannten Zie-
geln ein Haus zu bauen. In der
Werteerziehungmüssenwir heu-
te immer wieder die Frage stel-
len: Ist es Glück viel an materiel-
len Dingen zu besitzen oder zu-
frieden in der Familie zu leben?
Welche Werte sind erstre-
benswert?
Zusammengefasst: Liebe deinen
Nächstenwie dich selbst.Was du
nicht willst, dass man dir tut, das
füg auch keinem andern zu.
Nimmandere so an, wie du ange-
nommen werden möchtest. Das
ist die Grundlage aller Werte,
daraus ergibt sich alles andere.
In Deutschland werden
immer mehr Moscheen
gebaut. Wie steht die katho-
lische Kirche dazu?
WirhabenReligionsfreiheit.Men-
schen anderen Glaubens, die bei
uns wohnen und arbeiten, kön-
nen ihren Glauben im Rahmen
der Gesetze öffentlich leben.Wir
erwarten allerdings auch, dass in
islamischen Ländern die Religi-
onsfreiheit ebenso gilt. Das ist
leider nicht der Fall. Unsere Ver-
fassung verlangt ein Verständnis
von Würde des Menschen, von
Toleranz, von Freiheit. Das müs-
sen wir auch vom Islam erwar-
ten.
Wie sieht ein bischöflicher
Arbeitstag aus?
Sehr unterschiedlich und wenig
spektakulär. Aber jeder Tag ist
anders. In der Regel ist morgens
um 7 Uhr die Heilige Messe.
Dann besuchen mich Menschen
mit unterschiedlichen Anliegen.
Es gibt Konferenzen undBespre-
chungen zu Verwaltungsfragen
und großen pastoralen Themen.
Ich besuche Einrichtungen und
Gemeinden, feiereGottesdienste.
Das zieht sich über den Tag.
Abends gegen halb elf versuche
ich die Tagesthemen zu sehen.
Manchmal bleibe ich auch an ei-
nem Tatort hängen.
Was treibt Sie an?
Ich will meine Arbeit gut ma-
chen. Ich möchte, dass die gro-
ßen Botschaften des Evangeli-
ums sich im Alltäglichen immer
wieder finden. Wirke, solange es
Tag ist, sagt Jesus, und der Heili-
ge Vater sagt, ausruhen können
wir uns im Himmel. Manches an
meinerArbeitwirdTagwerksein,
anderes wird vielleicht bleiben.
Wie begegnen Sie Stress,
wie und wo können Sie am
besten entspannen?
Stress ist eher Ärger, wenn man
merkt, beispielsweise nicht den
richtigen Ton getroffen zu haben
oder Streit an mich herangetra-
gen wird. Das ist Stress, nicht die
viele Arbeit. Natürlich stehe ich
auch manchmal zeitlich unter
Druck, dann spüre ich, jetzt wird
es knapp mit den Vorbereitun-
gen. Kraft schöpfe ich aus der
täglichenMesse, aus demGebet.
Diese spirituelleVerankerung ist
für mich ganz wichtig. Auch im
Auto, ich werde ja meist gefah-
ren, kann ich gut entspannen. Ich
kann mich ziemlich schnell wie-
der erholen, beispielsweisewenn
ich eine Stunde durch Trier gehe,
fühleichmichwiederrechtfrisch.
Trifft man Sie beim Bröt-
chen holen?
Eherunwahrscheinlich.Dasmacht
dieOrdensschwester, diemir den
Haushalt führt. Als Weihbischof
habe ich immer selbst eingekauft.
Das jemand meinen Haushalt
führt, ist neu für mich.
„Ob alter oder junger
Bischof - eine Frage
stellt sich allen gleich:
Wie können wir die
Augen und Herzen der
Menschen öffnen für
das Glück und die
Freude, die aus dem
Glauben an Jesus
Christus erwachsen?“
Bild links außen: Mit
großem Interesse
verfolgten die Teil-
nehmer der Lehrer-
Info-Tage die Ausfüh-
rungen von Bischof
Marx zu „Werte und
Wertorientierungen in
Bildung, Arbeitswelt
und Gesellschaft“.
Besuch im
Ausbildungs-
zentrum der
HwK Koblenz.
Bischof Marx
mit HwK-
Präsident
Scherhag,
Hauptge-
schäftsführer
Wilbert und
jungen Metall-
bauern im
Gespräch.
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