Handwerk Special Nr. 73 vom 16. Februar 2000 - page 6

13./14. Jahrhundert: Aus Bruderschaften werden Zünfte
SeineBerufsbezeichnungistsel-
ten geworden. Hans Gessinger
ist „Schriftsetzermeister“. Die
Berufsbezeichnung gibt es seit
den 70er Jahren nicht mehr,
seit den Tagen, in denen der
Offsetdruck so schnell wie un-
aufhaltsam das Drucken revo-
lutionierteund rationalisiert, in
denen man Schrift nicht mehr
setzte, sondern filmte. Und so
hat sich denn auch das, womit
Gessingerheute seineBrötchen
verdient,entschiedenverändert.
Aus dem ehemaligen Schrift-
setzermeister, demjenigen, der
wirklich noch der „schwarzen“
Zunft zuzurechnen war, wurde
das Mitglied einer eher ausge-
sprochen farbigen Zunft, ein
Siebdrucker.
„Man hat mit dieser Siebdruck-
technik einfach erheblich mehr
Möglichkeiten“, erklärt Gessin-
ger pragmatisch seinen Sparten-
wechsel. Vor fünf Jahren zog er
mit seiner 1989 gegründeten ei-
genen Druckerei nach Brauns-
horn um, in ein kleines Dorf,
mitten auf dem platten Land, im
Hunsrück. „Die meisten Aufträ-
ge kommen bei uns eh per Tele-
fon oder Fax, da ist es imPrinzip
egal, wo wir sitzen, außerdem
sindwir hier sogar verkehrsgün-
stig gelegen, in der Nähe der Au-
tobahn, mitten zwischen Frank-
furt und Köln.“
Allesdrucker
Der Betrieb, mittlerweile auf 18
Beschäftigte angewachsen, flo-
riert. Bedruckt wirdmitmodern-
ster Technik fast alles, was sich
nur irgend bedrucken lässt: ob
Papier oder Plastik, Stoff oder
selbst Holz, ob Aufkleber oder
Deckenhänger, Prospekte oder
Plakate, Registermappe oder
Transparent, obKarte imMinia-
turformat odermehrereQuadrat-
meter großeWerbefläche - gren-
zenlose Vielfalt ist „normal“.
Seiten aus dem Setzkasten
„Mit Schrift allein hat das, was
wir heute machen, nur noch we-
nig zu tun“, erklärt Hans Ges-
singer denn auch im Gespräch,
aber man merkt ihm an, dass er
sich noch gut und gerne an die
60-er Jahre erinnert, als dies an-
ders war, als er bei einer großen
Druckerei in Zeltingen seine
LehrealsSchriftsetzerabsolvier-
te.
Der Vater betrieb an der Mosel,
wie so viele, Landwirtschaft und
Weinbau, die Tatsache, dass er
sichbeimSpritzen imWeinberg,
bei dem damals noch Arsen ein-
gesetzt wurde, eine ernsthafte
Vergiftungzugezogenhatte,ver-
lockte den Sprössling nur be-
dingt dazu, es ihm gleich zu tun.
Der Kontakt zur Druckerei er-
gab sich eher zufällig, „ich fuhr
immeraufdemTraktormit,wenn
es darum ging, dort neue Etiket-
ten fürWeinflaschen drucken zu
lassenoder abzuholen, vielleicht
fand ich das auch zunächst mal
wegen der Traktorfahrt so span-
nend“.
Jeden Tag strampelte Gessinger
auf dem Drahtesel von Ürzig
nach Zeltingen, lernte, noch vier
Jahre lang, das Drucken wirk-
lich von der Pike, pardon: von
der Letter auf, denHandsatz, bei
dem Wort für Wort, Zeile für
Zeile per Hand mit den Lettern
aus dem Setzkasten zusammen-
gebaut werden musste, „die
Großbuchstaben alphabetisch
geordnet, die kleinen nach ihrer
Häufigkeit inder Sprache“. 1500
Buchstaben in der Stunde habe
ein geübter Setzer geschafft,
mehr nicht, „das Drucken war
deshalb in jenen Jahren noch
eine fast gemütlicheAngelegen-
heit, weil auch die Maschinen,
die Tiegeldruck- oder Stopp-
zylinderpressen, erheblich lang-
samer arbeiteten“.
Leichter dank Linotype
Dauerhafte Beschleunigung des
Druckens um das Fünf- oder
Sechsfache, selbst wennman für
jede Schriftgröße und Schriftart
nocheineigenesMagazinbrauch-
te, brachten die Linotypes. „Da
musste man allerdings höllisch
aufpassen, dass es keine Blei-
spritzer gab“. Die Zwischenprü-
fungen legte der angehende
Schriftsetzer in der Druckerei
des „Trierischen Volksfreunds“
ab. In Zeiten des Desktop-Pub-
lishings lässt sich das „Schrift-
Setzen“ kaum noch nachvoll-
ziehen, auch nicht, dass sich das
hierarchischeGefügeeinerDruk-
kerei in jenen Tagen bereits an
denKittelnderBeschäftigtenab-
lesen ließ, knöchellang für die
Auszubildenden, kniekurz für
dieGesellen,mitbesonderenAp-
plikationen für die Meister.
„Rückfälle“ in der Schrift
Noch einmal verdoppelt wurde
die Druckgeschwindigkeit mit
dem Offset-Druck, anfänglich
von 2000 auf fast 5000 Bogen
proStunde.DieGrenzezwischen
dem handwerklichen und dem
industriellen Drucken geriet
schlagartig ins Fließen; als Ges-
singer Anfang der 80er Jahre
seinen Meister machte, tat er es
gleich doppelt, als Schriftsetzer-
und Industriedruckermeister.
Auch im heutigen PC-Zeitalter
reizt es ihn manchmal, nach gu-
ter alter Schriftsetzerart mit der
Schrift zu spielen, wenn es ein
Auftrag erlaubt - wenn es bei-
spielsweise statt dickleibiger Fo-
lianten nur um schlanke Speise-
karten geht, die schon fürs Auge
appetitanregend gestaltet wer-
den. Geschmackvolle Buchsta-
bensuppe à la Gessinger...
Schriftsetzermeister Hans Gessinger packt auch heute noch manchmal die Leiden-
schaft, „Schrift so zu setzen wie vor 100 Jahren“.
Scharfer Blick für präzise
Drucke: Hans Gessinger
(rechts) und Mitarbeiter.
Zusammenhalt macht stark.
Das erkennen auch die in
den Städten lebenden Hand-
werker und schließen sich zu
religiösen Bruderschaften,
späterzuZünftenzusammen.
Es besteht Zunftzwang, jeder
der selbständig ein Gewerbe
ausüben will, muss einer
Zunft beitreten.
„weil ich
mit
meinem
Bruder,
der sich
selbstän-
dig
gemacht
hat, später
zusam-
menarbei-
ten will -
deshalb
die zweite
Lehre.“
Lutz Materna,
32 Jahre,
Ausbildung
zum Stukkateur
eine gemeinsame Internet-In-
itiative von RZ-Online und der
Handwerkskammer Koblenz,
hat einen Bilderbuchstart hin-
gelegt. Mehr als 1.500 Betriebe
haben sich bisher für einen Platz
in der virtuellen Datenbank ent-
schieden. Sowerden imInternet
wichtige Daten zu den ange-
meldeten Unternehmen - Bran-
che undDienstleistungsangebot
sowie Adresse - kostenlos welt-
weit für Kunden undGeschäfts-
partner zugänglichgemacht. Die
Aktion läuft weiter! Informa-
tionen bei RZ-online, Tel.:
0261/392-1055, e-mail: sales
er bei derHwK
Koblenz, Tel.: 0261/398-165.
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