Handwerk Special Nr. 65 vom 25. November 1998 - page 29

Restauratoren bewahren dasWissen und Können vergangener Zeiten
Handwerk und Geschichte:
Buchbinder Kohlschmidt restauriert alte Schriften und Bücher
An manchem Buch, das in die
Werkstatt von Buchbinder-
meister und Restaurator Jost
Kohlschmidt gelangt, hat im
wahrsten Sinn des Wortes der
Zahn der Zeit genagt. Die
Kanten der einzelnen Seiten
sind ausgefranst, haben
Eselsohren, und manche sind
nur noch zur Hälfte vorhan-
den. Wenn das Buch die Mei-
sterwerkstatt wieder verläßt,
ist es zwar nicht neu, dafür
aber lesbar, der Einband fest
und originalgetreu verziert,
die Seiten lassen sich wieder
umblättern - und das alte
Werk kann getrost den näch-
sten hundert und mehr Jah-
ren entgegensehen.
„Mich fasziniert gerade in unse-
rer schnellebigen Zeit die Re-
staurierung von Büchern, die
manchmal ein halbes Jahrtau-
sendalt sind“, sagtKohlschmidt.
„Sie enthalten das Wissen und
Könnenvergangener Zeiten, das
ichfürdieZukunftbewahre.Und
dagegen: Was wird aus unserer
Zeit einmal bleiben?“
Vor fast 40 Jahren hat er seine
Lehre alsBuchbinder begonnen,
1962 schloß er die Gesellenprü-
fung als Kammer- und Landes-
sieger und 1970 die Meisterprü-
fung ab. Fünf Jahre spätermach-
te er sich in Mermuth/Hunsrück
selbständig und übernahm den
elterlichen Betrieb. An mehre-
ren Förderwettbewerben und
Preisen beteiligte er sich; fünf-
mal weilte er zu Studienaufent-
halten in der Mönchsrepublik
auf dem Berg Athos/Griechen-
land, die eine der bedeutendsten
alten Bibliotheken beherbergt.
Seit 1981 ist Kohlschmidt von
der HwK Koblenz bestellter,
vereidigter Sachverständiger für
das Buchbinderhandwerk.
Auch für den 54jährigen Bü-
cherwurmausLeidenschaft bau-
en die alten Schriften manchmal
ihre Hindernisse auf, denn man-
che Schrift ist heute schon nur
noch von der Großelterngene-
ration oder von Spezialisten in
den Archiven zu entziffern und
damit in ihrer Bedeutung zu er-
schließen. Deshalb ist ein erster
Schritt bei der Restaurierung ei-
nes Buches die vorsichtige
Seitennumerierung. Vor allem
ist Sorgfalt im Buchbinder-
Handwerk geboten, egal ob es
um das Reinigen der Seiten geht
- altes Papier samt Tinte ist
papierwaschmaschinenfest, so-
lange es nicht von Pilzen befal-
len ist. Oder das Einpacken aus-
gefranster Seiten in technisches
Japanpapier: in ein durchsichti-
-schließen in historischem Aus-
sehen. Geduld, Liebe zum De-
tail und eine ruhige Hand sind
für den Buchbinder und Restau-
rator unerläßlich.
Und dann weiß er auch so man-
che Anekdote zu erzählen: Jura-
und Theologiestudenten galten
schon vor 500 Jahren als beson-
ders diebisch; deshalb wurden
damals dieBücher in ihrenFach-
bibliotheken an die „Leine“ ge-
legt, und das ein oder andere
„Kettenbuch“ durchlief Jost
Kohlschmidt’s Werkstatt. Oder
der evangelischePfarrer imSüd-
deutschen, der sich ein Gebet-
buch als „Beutelbuch“ maßge-
schneidert und mit Ring für den
ges, Sauerstoff und Pilze aus-
sperrendes Spezialpapier, das
auchTintenfraß stoppt.Oder das
Anfasern mit einem Papierbrei,
wenn Seiten bis in den Text hin-
ein beschädigt sind, ganze Strei-
fen fehlen. Oder beim Anbrin-
gen von Metallbeschlägen oder
Huthaken an seiner Lieb-
lingsbank in der Kirche an-
fertigen ließ. Ursprünglich
wurden diese Bücher für die
Wanderschaft im Gürtel
kopfüber eingehängt und
konnten unter-
wegs zum
Gebetaufge-
griffen wer-
den. Eine
Spezies, mit der sich der Huns-
rücker besonders intensiv befaßt
hat. Mit all den Büchern, die durch
seine Handwerkerhände gegangen
sind, und den Geschichten, die sie
erzählen, ließen sich selbst wieder
ganze Bücher füllen ....
Beutelbuch, mit dem Knauf
unter den Gürtel geklemmt:
Lektüre für unterwegs.
Das 500 Jahre alte „Ketten-
buch“ hinderte Studenten
in den Bibliotheken an zu
langen Fingern.
Buchbindermeister
Jost Kohlschmidt
Von dieser ’Gesellenrolle’ um 1750
ist nur der Einband erhalten; mit den
100 J. alten Vergoldewerkzeugen (l.)
werden die Verzierungen gestaltet.
Stark beschädigte Buchseiten
werden in transparentes Japan-
papier „eingepackt“ (r.) oder
mit Papierbrei „angefasert“.
„Frankfurter Bibel“ von
1565, bei der einzelne
Seiten zu reparieren sind.
Nach Originalvor-
lagen angefertigte
Beschläge.
1...,19,20,21,22,23,24,25,26,27,28 30,31,32
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