Handwerk Special Nr. 61 vom 3. April 1998 - page 6

Baujuwel
„Es war Liebe auf den ersten
Blick, obwohl jedeSpur vonRo-
mantik fehlte. Bis ich kam, woll-
te keinMensch dieses Haus kau-
fen“, erzählt der Koblenzer Ar-
chitekt Volker Seufferle und hat
auchgleich,wie zurErläuterung,
ein „Vorher“- Fotobei derHand.
EszeigteinehemaligesVorstadt-
hotel in - pardon - vergammel-
tem Zustand, seelenlos auf 500
Quadratmetern mit Schuppen
undStallungenbebautemGrund-
stück. Immerhin: Die gute Lage
und der akzeptable Preis waren
für Seufferle Reiz genug, das
häßliche Entlein mit Fingerspit-
zengefühl in einen Schwan zu
verwandeln. „Hier konnte ich
auch meine Idee von Wohnen
und Arbeiten unter einem Dach
verwirklichen.VieleLeutescheu-
en sich davor, einen Altbau zu
erwerben, obwohl jedes Objekt
so umgebaut werden kann, daß
es den Bedürfnissen der Bewoh-
ner entspricht. Es ist oft kosten-
sparender, vorhandene Bausub-
stanz zu nutzen und trotzdem
moderneWohnqualität zu schaf-
fen, als Neuland zu betreten.
Auch das bebauteWohnumfeld,
das man bereits mit dem Kauf
erkunden kann, spricht für den
Altbau“, erklärt er.
Das100JahrealteHausimStadt-
teil Arenberg wurde, soweit sta-
tisch vertretbar, vom Keller bis
Ein altes Haus auf Kur geschickt: Umbau mit Pfiff
zum Dach entkernt. 1.100 Ku-
bikmeter umbauterRaummußte
abgerissen werden. „Man konn-
te die Luft, die sich aus dem
Freiraum ergab, förmlich spü-
ren“, soSeufferle.AußerMauer-
außenhülle, DachundTeilendes
Treppenhauses erinnert heute
nichts mehr an das stillgelegte
Hotel mit seinen vielen kleinen
Fremdenzimmern. Fenster und
Türen wurden fast ausnahmslos
erneuert. „Nichts macht das Ge-
sicht des Hauses unverwechsel-
barer als seine Fenster und Tü-
ren. Sie müssen zum Charakter
des Hauses passen. Bei Reno-
vierungen orientiert man sich
nach demOrginal, denn das paßt
am besten zum stilgerecht reno-
vierten Haus“, so Schreiner-
meister Wolfram Lehnen, Ge-
schäftsführer der Firma Meer-
bothe aus Koblenz-Lützel. Der
Dialog zwischen alt und neu
gelang. Die eingepaßten Kiefer-
holzsprossenfenster werten die
Fassade auf und erfüllen den
Wärme,-Schall-undWitterungs-
schutz. „Holzfenster sind Lang-
zeitinvestitionen.“ Und: „Me-
chanische Beschädigungen las-
sen sich problemlos beseitigen“,
so Lehnen. Eine Augenweide ist
die Eingangstür. Das Türblatt
aus Buchenholz wurde mit mo-
dernen Stahlelementen kombi-
niertundindenhistorischenRah-
menwie aus einemGuß integriert.
Großzügige Raumfolgen eröff-
neten neue Wohnperspektiven.
TraditionundModerne setzt sich
imInnenbereichdesHauses fort.
Mit alterWickeltechnik erreich-
te der Koblenzer Malermeister
Manfred Kilian die auffallende
Farbgestaltung an den Wänden.
„Die unregelmäßige Geometrie
sorgt für eine individuelle Ge-
staltung. Der erreichte ´Fenster-
ledereffekt´ bewirkt effektvolle
Schattierungen“, erklärt Kilian.
Elektromeister Toni Büsch aus
Koblenz installierte nur abge-
schirmteKabel. „Jeglicher Elek-
trosmog wird so abgewendet“,
erklärt Büsch. Er verweist dar-
auf, daß immer mehr Kunden,
vor allem imSchlafbereich, eine
solche Verlegung bevorzugen.
180 qm Wohnfläche, 200 qm
Büro und eine 100 qm große
Mietwohnung zeigen, wie man
alte verbaute Gebäude neu nut-
zen kann, ohne ihren Charme zu
zerstören.
Mit Stolz zeigt Bauherr Seufferle seine „Vorher-Nachher-Fotos“: Mit viel Arbeit,
guten Ideen und einem vertretbarem finanziellen Aufwand ist ein einmalig schönes
Haus entstanden, daß architektonische und handwerkliche Leistungen kombiniert.
Nachgefragt
bei Manfred Uhrmacher,
Obermeister der Bauge-
werks-Innung Mitteltrhein.
Wohin steuert das Bauhand-
werk?
Nicht nur unsere 77 Betriebe
am Mittelrhein müssen alle
Chancen nutzen, um den
gegenwärtigen Strukturwan-
del im Bauhandwerk auszu-
gleichen. Wichtig sind:
1. Kostensenkungsstrategien:
Erweiterung der produktiven
Arbeitszeit und mehr Flexi-
bilität.
2. Einsatz neuer Technologi-
en: Automatisierung, EDV-
gestützte Steuerung der
Baustelle und Koordination
der Zulieferer, verbesserte
Baumaschinen und Verfah-
ren.
3. Leistungsstrategien: Spe-
zialisierung auf hochtech-
nische Geschäftsfelder,
Einbindung von vor- und
nachgelagerten Dienstlei-
stungen, Erschließen von
Marktsegmenten wie Bau-
stoffrecycling, Sanierungen.
Auch im Innenbereich wurde das ehemalige Hotel in
große Kur geschickt. Wände wurden herausgenommen
- alles wirkt heute großzügig, hell und freundlich.
Baujuwel im Ko-
blenzer Stadtteil
Arenberg.
Informationen
Ein Haus mit Geschichte:
Das Gebäude wurde 1903
erbaut und als Hotel genutzt.
Zu dieser Zeit war Arenberg
ein Wallfahrtsort mit einer
Vielzahl von Cafés, Restau-
rants und Hotels. Damaliger
Besitzer war Johann Scher-
hag. Die Eigentümer haben
gewechselt, Anbauten und
Aufbauten im Erdgeschoß
veränderten das Straßenbild,
im Hofbereich wurde eine
Kegelbahn installiert. In den
90er Jahren war Schluß mit
dem Hotelgewerbe.
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