Handwerk Special Nr. 175 vom 7. Dezember 2013 - page 12-13

Handwerk und die Trauerbegleitung
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Nr. 175
7. Dezember 2013
Erinnerung und Trost für Angehörige
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Nr. 175
7. Dezember 2013
Der totgeschwiegene Tod
Eigentlich passt Trauer
nicht mehr in unsere
schnelllebige Zeit: Mul-
timediale Netzwerke,
permanenter Zugriff auf
Nachrichten, Erreich-
barkeit rund um die Uhr
und an jedem Ort sorgen
für ein Dauerfeuer an
Informationen. Eine tief-
greifende, zeitintensive
Auseinandersetzung? Ein
wirkliches Verstehen, was
da gerade passiert ist?
Eine Reflexion des All-
täglichen über intensive
Gespräche?
„Eher Fehlanzeige“, resümiert
Dr. Martin Fuchs, der über um-
fangreiche Erfahrungen bei der
Trauerbegleitung verfügt. Der
Tod wird selbst totgeschwiegen
und oft genug nicht als Teil des
Lebens verstanden.
Erdbeben für
die Seele
Den Tod eines geliebten Men-
schen beschreibt Fuchs als
„Erdbeben im Gefühls- und
Seelendasein“. Alles scheint aus
den Fugen geraten und nichts ist
mehr wie es war. Die greifbare
Ohnmacht geht mit tiefer Trau-
er einher. Sie scheint der alles
bestimmende Zustand der/des
Hinterbliebenen und stellt eine
existenzielle Krise dar.
Und das Umfeld? „Man spricht
seinMitgefühl aus, klopft auf die
Schulter,spendetTrostunddenkt
odersagt:DasLebengehtweiter!
Nur geht es für Betroffene nicht
weiter wie bisher und niemand
kann von ihnen er-
warten, dass sie nach
ein, zwei Wochen
wieder zur Routine
zurückfinden. Darauf
gilt es Rücksicht zu
nehmen und auch zu
reagieren.“
Gerade in Sozialge-
meinschaftenwiedem
Arbeitsplatz kann das
zu Problemen führen.
„Denn in unserer heu-
tigen Zeit bedeutet
Arbeit in erster Linie
Ökonomie, hohe Qualität und
pünktliche Erledigung. In den
damit verbundenen Abläufen
ist schlicht kein Platz für Trau-
er, die Zeit und Energie bindet,
beispielsweiseüber ausführliche
persönliche Gespräche. Und es
gibt auch keine Rückzugsräume
Projekt „Trauerbegleitung am Arbeitsplatz“ geht neue Wege
für den Trauernden wie im Pri-
vatleben.“ In der Folge sind Stö-
rungen vonArbeitsabläufen und
Missstimmungen inTeams nicht
nurwahrscheinlich, sondern fast
zwangsläufig. Psychologische
Erkrankungen, denen auch die
Trauer zuzuordnen ist, machen
einen Produktionsverlust aus,
der für Deutschland mit jähr-
lichüber 13 Milliarden Euro
beziffert wird.
bilität genauso. Das bundesweit
einzigartige Projekt hat Neuland
beschritten und ist ausgerichtet
auf mittelständische Betriebe,
konnte in fast 20 Fällen helfen
–denTrauernden, ihremUmfeld
in den Unternehmen bis hin zum
Chef, der in solchen Situationen
vor dieHerausforderung gestellt
wird, betriebliche Abläufe und
das Wohl aller Mitarbeiter mit
dem unternehmerischen Erfolg
Arbeit, die Trost spendet
„Wir schaffen etwas
Bleibendes, das zudem
Trost spendet. Unsere
Grabmale stehen für
Individualität über das
Leben hinaus. Sie sind
stummes Zeugnis für die
Ewigkeit und leisten ein
Stück Trauerarbeit. Das
treibt uns immer wieder
an mit viel Herzblut und
Gefühl an die Aufgabe zu
gehen“, formulieren die
Koblenzer Steinmetzmeis­
ter Regina Schöppel und
Gerd Ahlborn ihren An-
spruch an die Arbeit.
Sie führen seit 1993 einen Be-
triebinKoblenz-Pfaffendorfund
haben sich auf die Gestaltung
von Grabmalen spezialisiert.
„Wir lernen die Verstorbenen
meist erst über die Hinterblie-
benen kennen und sehen doch
in ihnen ihre gegenwärtige
Persönlichkeit. Dieser auch im
Tod gerecht zu werden und
positive Erinnerungen bei den
Trauernden wach zu halten, ist
uns wichtig. Die Kraft, die man
den Angehörigen mit und über
den Stein gibt, kommt zurück“,
ist Regina Schöppel überzeugt.
Es entspricht ihrer Auffassung
vom Kreislauf des Lebens, der
sich mit der letzten Ruhestätte
schließt.
Grabmale haben
eine Seele
Sie erzählt von einer Dame, die
beim Aufräumen des Schreib-
tisches ihres verstorbenen
Mannes ein altes Foto mit
einem Obelisken gefunden hat.
Sie war sicher, dass einGrabmal
Steinmetzmeister-Duo schafft Grabmale mit Individualität
Nachgefragt
„Sterben ist Teil des Lebens!“
Ein Gespräch mit
Dr. Martin Fuchs
macht nachdenk-
lich und ist hoch-
interessant zu-
gleich, denn sei-
ne Erfahrungen
im Umgang mit
Trauer und Tod
beeindrucken. Einige Fra-
gen und Antworten aus
dem Gespräch:
Wie intensiv ist die
Auseinandersetzung
mit Tod und Trauer
heutzutage?
Dr. Fuchs: Wir scheuen
den Blick auf das ge-
samte Leben und dazu
gehört auch das Ster-
ben. Stichwort Anti-Aging:
Mit dem Begriff verbindet
sich quasi ein Verbot, über
das Altern nachzudenken.
Die Gesamtlebensumstände
leisten zusätzlich ihren Beitrag: Wir müssen deutlich über 40
Jahre alt werden, bevor wir das Sterben direkt erfahren. Uns be-
gleitet das Sterben nicht von Kindheit an. Das war früher anders.
Eine Familie vor 200 Jahren mit sieben, acht oder neun Kindern
musste sich aufgrund einer hohen Kindersterblichkeit mit Tod
und Trauer auseinandersetzen – was natürlich auch den Tod der
ältesten Generation einschloss, die mit unter einem Dach lebte.
Was sich seitdem auch verschoben hat: Wir bekommen aufgrund
gesellschaftlicher und sozialer StrukturendieVorbereitungsphase
auf das Sterben nicht intensiv mit. Wir haben zwar die Situation,
dass über 60 Prozent der Pflegebedürftigen im Familienverband
versorgt werden, aber es übernimmt nicht die gesamte Familie die
Verantwortung, sondern in der Regel eine Person. Die anderen
kommen alle paar Wochen vorbei – das ist keine Begleitkultur
zum Sterben hin.
Wie gut sind wir auf Trauer vorbereitet?
Von der Quelle aus haben wir wunderbareMöglichkeiten, aus der
christlich-abendländischen Philosophie unser Selbstverständnis
zu gewinnen. Es ist nur die Frage, inwieweit wir das wirklich
reflektieren, und das hat etwas mit Individualität zu tun. Eine
Kernerfahrung meiner Tätigkeit in den letzten Jahren ist die
Frage der Schuld: Trage ich eine Schuld am Tod des anderen?
Habe ich etwas mit der Tumorentwicklung zu tun? Damit, dass
er Beschwerden hat? Diese Schuldfrage ist sehr belastend und
hält häufig sehr lange an.
DasProjekt „TrauerbegleitungamArbeitsplatz“gibt es seit fünf
Jahren. Haben Sie eine Zielsetzung, die Sie erreichen wollen?
Wir sammeln Erfahrungen und helfen dabei, entwickeln das Pro-
jekt inhaltlich dadurch weiter. Aber eine Zielsetzung, die besagt,
wenn wir da und da angekommen sind, haben wir unseren Zweck
erfüllt, gibt es nicht. Wir erlösen die Menschen ja nicht wie eine
Fee mit dem Zauberstab und sie gehen nach Hause und alles ist
in Ordnung. Wichtig ist das Verständnis im Umgang mit Trauer,
die keine Krankheit ist. Trauer ist die Auseinandersetzung mit
demVerlust eines liebgewonnenenMenschen und jeder erlebt sie
anders. Insofern gibt es kein Patentrezept oder ein Muster. Wir
arbeiten uns als Team in jeden einzelnen Fall hinein und nehmen
dessen Individualität ernst.
Einige Handwerksberufe haben einen engen Kontakt mit dem
Thema Tod. Wie hat sich dieses Verhältnis entwickelt und wo
steht es heute?
Beispielsweise die Bestatter: Sie haben heute eine ganz andere
Kultur als früher.Das fängt schonmit demKontakt zumMenschen
an, der sich auf seinen Tod vorbereitet und man spricht darüber,
wie der Sarg oder das Grab aussehen sollen, wie die Aufbahrung.
Das hat es früher nicht gegeben. Und das wird weiter zunehmen.
Der Augenblick des Todes ist für die Angehörigen ein sehr
intensiver Augenblick: Jedes Wort, jede Gestik, jede Handlung
wird in den Köpfen der Hinterbliebenen fest gespeichert und sie
könnennochJahrespäterwörtlichwiedergeben,wasgesagtwurde.
Das schließt auch eine hohe Verantwortung für den Handwerker
bei seinem Kontakt mit den Hinterbliebenen ein, der man sich
bewusst sein muss. Deshalb sind uns als Projektverantwortlichen
Zusammenkünfte und der Austausch mit diesen Handwerkern
wichtig und wir möchten ihn intensivieren.
Bundesweit einzigartiges
Projekt
Menschliches Leid und wirt-
schaftlicher Schaden – auch
das verbindet sich mit Trauer,
wenn sie über Mitarbeiter in
die Betriebe kommt. Mit dem
Projekt „Trauerbegleitung am
Arbeitsplatz“ haben
Handwerkskammer
(HwK) Koblenz und
Bezirksärztekammer
Koblenz bereits vor
über fünf Jahren ein
Projekt ins Leben
gerufen, das Trau-
ernden und Betrieben
konkreteHilfestellung
anbietet. „Wobei wir
natürlichdieWünsche
respektieren, die an
uns herangetragen
werden“, so Dr. Mar-
tin Fuchs, über viele
JahreVorstandsvorsitzender der
Bezirksärztekammer Koblenz
und Präsident der Interdiszi-
plinären Gesellschaft für Pal-
liativmedizin Rheinland-Pfalz.
Datenschutz und Diskretion
gehören dazu, Einfühlungsver-
mögen und menschliche Sensi-
in Einklang bringen zu müssen.
„GerademittelständischeUnter-
nehmen mit ihrer Betriebsstruk-
tur sind hier klar im Vorteil“,
weiß Fuchs aus den gemachten
Erfahrungen. „Jeder kennt jeden
– nicht nur von den Handlungs-
abläufenimProduktionsprozess.
Man kennt die Familien, weiß,
was die Kinder machen oder
wer der Lieblingsfußballverein
ist und kann sich so am Montag
mitfreuenodermitärgern,jenach
Spielergebnis.
Aus diesem Zusammenhang
ergeben sich im Trauerfall
ganz andere Möglichkeiten und
Fähigkeiten der Empathie als in
großen Konzernen, die mit ihrer
Parzellierung nur eine gewisse
Durchlässigkeit für Informa-
tionen zwischenmenschlicher
Empfindungen ermöglichen“,
weiß Fuchs.
Team bietet individuelle
Unterstützung
Mit Erfolg, „denn unsere Hilfe-
stellung wird angenommen und
istmerklichangekommen,wobei
wir natürlich nicht wie eine Fee
miteinemZauberstabvonTrauer
befreien und Probleme lösen.
Viel Zeit und Erfahrung spielen
mit hinein und wir entwickeln
bei einem konkreten Trauer-
oder Krisenfall ein individuelles
Unterstützungspaket, das dem
Trauernden, aber auch den Kol-
legen im Umgang miteinander
hilft. ZuunseremBeratungsteam
gehörenerfahreneTrauerberater,
Ärzte, Psychologen, Sozialar-
beiter, Theologen, Arbeitsme-
diziner, Psychotherapeuten und
Betriebsberater“ – ein Team,
das koordiniert über die Hand-
werkskammer Koblenz „maß-
geschneiderte“ Hilfe anbietet,
denn „jeder trauert anders und
es gibt kein Muster oder Raster,
das Handlungsweisen vorgibt
und definiert“.
Auch wie lange eine Trauerbe-
wältigungdauert,istvonMensch
zuMensch unterschiedlich „und
man kann nicht pauschal sagen:
Nach zwei oder drei Jahren sind
dieseWundengeheilt.Alsomuss
das Umfeld Geduld haben und
Verständniszeigen,Signaleauch
langfristig erkennen und richtig
deuten“.
Fuchs stellt auch klar: Nicht Zu-
rückziehen, sondern eine aktive
Ansprache, das Nachfragen,
wie es geht, das Einbinden in
Aktivitäten zählen genauso zu
einer Trauerbegleitung, „wobei
man vor Fehlern im Umgang
mit Trauernden keine Angst
haben sollte. Das gehört dazu.
Und wer sich auch in diesen
schwierigen Lebensphasen
um den trauernden Kollegen
kümmert, wird sehr schnell ein
Gespür dafür entwickeln, was
für ihn und einen selbst gut ist.
Trauer – das ist keineKrankheit,
sonderndieAuseinandersetzung
mit dem Tod eines geliebten
Menschen, aus der sich sogar
Chancen entwickeln können.
Das Innehalten und bewusste
Er-Leben gehören auch dazu
und man lernt, Gefühle wieder
mehr an sich heran zu lassen“,
weiß Dr. Martin Fuchs.
Über die gemeinsame Trauer-
bewältigung können Menschen
sogar enger zusammenrücken,
ergeben sich vielleicht Freund-
schaften und rücken geliebte
Menschen ins persönliche Um-
feld nach – auch das ist möglich.
Von Betrieben der Steinmetz-Innung Mittelrhein gestaltete Grabmale auf der Bun-
desgartenschau 2011 in Koblenz (Festungsplateau), die sich zu einem Besucher-
magnet entwickelten und Akzente bei Gestaltung und Umgang mit Trauer setzten.
Dr. Martin Fuchs
Ein zehnköpfiges Expertenteam um Dr. Martin Fuchs
bringt sich ehrenamtlich in das Projekt „Trauerbeglei-
tung am Arbeitsplatz“ ein, darunter auch HwK-Perso-
nalleiterin Barbara Koch.
in Form eines Obelisken dem
Verstorbenengefallenwürde. So
entstand s e i n Grabmal. Ein
Mann,dervielinErdbebengebie-
ten als Einsatzhelfer unterwegs
war, bekam für seine letzte
Ruhestätte einen fein geschlif-
fenen vulkanischen Lavastein
mit natürlicher Basaltkruste.
„UnsereGrabmalesindeineHer-
zenssache und haben eine Seele.
Wermit ihnenRücksprache hält,
bekommt zwar nicht immer eine
Antwort über die Persönlichkeit
und den Charakter des Verstor-
benen. Immer findet man aber
eineSpur, die dieser hinterlassen
hat“, so die Steinmetzmeister.
Beide fandenüber einenUmweg
zu ihrer Berufung. Bei Regina
Schöppel war dies ein Archi-
tekturstudium. Gerd Ahlborn
studierte einst Kunstgeschichte,
bevor er sich für den praktischen
Wegentschied.DenMeisterbrief
in ihremHandwerk zu erwerben
war für sie eine Selbstverständ-
lichkeit.DasBehauen,Schleifen,
Polieren und Modellieren des
harten Steins übt für die Stein-
metzmeister eine besondere
Faszination aus. „Wichtig ist es,
sichmit denSteinen auseinander
zu setzenund ihrenKlangzuver-
stehen.Wer das nicht kann, kann
sieauchnichtbearbeiten“,betont
der stellvertretendeObermeister
derSteinmetz-undSteinbildhau-
er-Innung Mittelrhein. Das gilt
für die Gestaltung einer schlich-
tenGrabplatte ebensowie für ein
kunstvolles Grabmal. „Gemein-
sammitdemAngehörigenfinden
wir für jeden Trauerfall eine
Lösung,dienatürlichauchdasfi-
nanzielleBudget berücksichtigt.
Unsere jahrelangenErfahrungen
erlauben es, sehr behutsam auf
dieindividuellenAnforderungen
einzugehen und ein Denkmal zu
erarbeiten, das gegenüber dem
Verstorbenen und dem Leben
Respekt zollt“, sagt er.
WährendderBundesgartenschau
in Koblenz waren die beiden
Meister im Ausstellungsbereich
„Grabgestaltung und Denkmal“
auf demFestungsgeländeEhren-
breitstein mit zwei prämierten
Grabstein-Entwürfen vertreten.
„Nach der BUGA ergaben sich
für uns auch überregional zahl-
reiche Aufträge“, stellen Regina
Schöppel und Gerd Ahlborn
fest. Jedes Grabmal ist für sie
eine einzigartigeArbeit, die eine
Verbindung zwischen Tod und
Leben darstellt.
Steinmetzen Ahlborn und Schöppel, Koblenz
Gegr. 1993 | 2 Mitarbeiter | Grabmale, Steinarbeiten für Lebens- und
Wohnräume | Tel. 0261/ 76861 |
Die Steinmetzmeister Regina Schöppel und Gerd
Ahlborn drücken durch ihre Arbeit ihren Respekt vor
dem Verstorbenen und seinen Angehörigen aus.
Der „harten“ Steinbearbei-
tung folgt die Feinarbeit ...
Projektteam Trauerbegleitung
Tel. 0261/ 398-141
Fax 0261/ 398-937
hwk-koblenz.de/trauerbegleitung
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