Handwerk Special Nr. 71 vom 24. November 1999 - page 7

Im Gespräch:
Sie lernenbei derHwKKoblenz, umihrenHandwerksmeister zumachen. Erfahrungen.
JedenFreitagmorgen fährt der
StraßenbauerMauriceThirion
254 Kilometer von seiner fran-
zösischen Heimatstadt Sarre-
guemines zum Meistervor-
beitungskurs nach Koblenz,
Samstag abend fährt er zurück.
Die Strapazen nimmt er be-
wusst auf sich. Er schätzt den
deutschen Meisterbrief als d e
neuropäischenQualifikations-
nachweis schlechthin.
Bereits als Straßenbauergeselle
hat er Erfahrungen in unter-
schiedlichen deutschen Firmen
gesammelt und so ein großes
Spektrum an Tätigkeiten in sei-
nem Beruf kennengelernt. Le-
ben und arbeiten möchte er in
seiner Heimat .Als selbständi-
ger Straßenbauermeister denkt
er jedoch daran, später auch eine
Filiale inDeutschland eröffnen.
Maurice Thirion gehört zu den
Gästen, dieKarl-JürgenWilbert,
Hauptgeschäftsführer derHand-
werkskammer Koblenz, im
Spätherbst ’99 zu einem vor-
weihnachtlichen Gespräch ein-
geladen hat. Seit fast einemvier-
tel Jahrhundert trifft der Haupt-
geschäftsführer, immer zum
Jahresende, einige ausländische
Handwerker, die sich bei der
HwK auf ihre Meisterprüfung
vorbereiten. Er spricht dann mit
ihnen über ihr Leben und Ar-
beiten in Deutschland. Er fragt
nach ihren Erfahrungen, ihren
Zukunftsplänen,Wünschen und
Träumen. Er fragt sie auch,
welche Bedeutung Weihnach-
ten, wenn die wärmenden Lich-
ter angehen, für sie und ihre
Familien hat, vor allem dann,
wenn sie nicht aus einer christ-
lichen Kulturwelt kommen.
Weitere Gesprächspartner des
Hauptgeschäftsführers am fest-
lich gedecktemKaffeetisch sind
der aus der Türkei stammende
Installateur- und Heizungsbau-
er Ali Yeniyurt, der türkische
Maler- und Lackierer Ramazan
Ak, der Straßenbauer Raif
Pramenkovic aus Montenegro
und der türkische Elektrotech-
niker Aslan Özbas. Türken und
Franzosen, wie passt das zu-
sammen? Wilbert erinnert an
das europäischeHaus, das nicht
in Paris, Koblenz oder Wien
aufhört. Er berichtet von dem
Roman des Nobelpreisträgers
Ivo Andric, der von Franzosen
und Türken auf dem Balkan
handelt.
NEUE HEIMAT
Sie sind in Deutschland gebo-
ren oder leben schon viele Jahre
hier. Sie haben eine deutsche
Schule besucht und hier ihre
Handwerkslehre erfolgreich
beendet. In Deutschland haben
sie die für sie fremde Sprache
gelernt. Heute sprechen sie sie
fließend, teils besser als die
Sprache ihrer Heimat. Sie ha-
ben zu den Kollegen am Ar-
beitsplatz guten Kontakt, trei-
ben Sport und sind im Schüt-
zenverein, im Tauchclub oder
anderen Vereinen organisiert.
Alle fühlen sich wohl in
Deutschland. Die Frage des
Hauptgeschäftsführers, ob sei-
ne Gäste sich vorstellen kön-
nen, wieder in ihr Heimatland
zurückzukehren, verneinen die
Gesprächspartner nahezu ge-
schlossen. Sie sind verbunden
mit dem Land, das ihnen Hei-
mat wurde. Sie haben hier Wur-
zeln geschlagen. Nachts träu-
men sie auf deutsch. Es ist ein
Gleichklang wie kaum jemals
in den Gesprächen zuvor be-
merkt.
„Wie kommt man von Monte-
negro nachAltenkirchen?“ fragt
Karl-Jürgen Wilbert den Stra-
ßenbauer Raif Pramenkoic.
„Unsere Familie lebt seit Ende
der 60er Jahre hier. Mein Vater
ist auchStrassenbauer“, antwor-
tet der 24jährige und lobt die
duale Berufsausbildung. „In
Montenegro läuft alles sehr
theoretisch ab, es gibt nur ganz
kurze Prak-tikas“, sagt er. Mit
demErfolg seiner Hände Arbeit
in Deutschland ist der junge
Mann sehr zufrieden. Bereits
vor zwei Jahren gründete er ge-
meinsammit einemMeister eine
GmbH. Mittlerweile arbeiten
fünf Angestellte im Unterneh-
men. Heimweh habe er trotz-
dem hin und wieder, räumt er
ein. Zweimal im Jahr „zieht“ es
ihn deshalb in die Berge seines
kleinen, schönenHeimatlandes.
Er befürchtet, dass es wieder
Krieg geben könnte, wennMon-
tenegro sich von Serbien los-
sagt.
MEISTER SEIN
Aslan Özbas erzählt, dass Elek-
tromeister Winfried Vogt aus
Ransbach-Baumbach ihm be-
reits während der Lehre
Schlüsselqualifikationen wie
Aufrichtigkeit, Pünktlichkeit
und Toleranz vermittelt hat.
„Menschen haben Integrations-
probleme, wenn sie sich mental
nicht anpassen können. Und in
Deutschland kann ich mich den
Deutschen anpassen, ohne dass
ichmch dabei verankernmuss“,
sagt er. SeinMeisterwar es auch,
der ihn zumBesuch desMeister-
vorbereitungskurses motiviert
hat. „Wenn du Meister bist, bist
du unschlagbar.“
Ali Yeniyurt ist in Deutschland
aufgewachsen. Er erinnert sich
an den schwierigen Beginn, da
er als10jähriger ohne ein Wort
deutsch zu sprechen in die vier-
te Klasse eingeschult wurde.
Mittlerweile hat er ebenso viele
deutsche wie türkische Freun-
de. Seine Kinder sind in
Deutschland geboren undwach-
sen inzwischen zweisprachig
auf. Er räumt ein, dass es besser
wäre, wenn sie schon früher flie-
ßend Deutsch gelernt hätten.
NUR EIN PASS?
„Was halten Sie von der dop-
peltenStaatsbürgerschaft ? fragt
Karl-Jürgen Wilbert seine Ge-
sprächspartner. Die türkischen
Gäste undRaif Pramenkovic aus
Montenegro wünschen sich die
deutsche Staatsbürgerschaft.
„Es bringt nichts, wenn im Be-
reich der Staatsangehörigkeit zu
liberal verfahren wird. Man
muss sich für eine Richtung ent-
scheiden. Dazu zählt auch, dass
man sich zu dem Staat bekennt,
in dem man lebt.“, so die Mei-
nung. „Irgendwo muss jeder
zuhause sein“; sagt Ramazan
Ak. Er erzählt, dass er auch bei
Besuchen in der Türkei das
Gefühl hat, Ausländer zu sein.
An die ironische Bezeichnung
„Deutschländer“ in seiner Hei-
mat ist er gewöhnt. Sie macht
traurig.
„Weihnachten?WelcheGedan-
ken bewegen Sie?“ fragt der
Hauptgeschäftsführer zumEnde
des Gesprächs.
„Wer inDeutschland aufwächst,
weiß, welche Bedeutung das
Weihnachtsfest für die Deut-
schen hat“, antwortet Ali
Yeniyurt. Selbst messen die
Moslems dem Fest keine be-
sondere Bedeutung bei. „Ich
würde darüber nachdenken,
schon ihrer Kinder wegen. Sie
wachsen hier auf und könnten,
wenn sie sich mit ihren Alters-
gefährten unterhalten, etwas
vermissen“, empfiehlt Karl-Jür-
gen Wilbert. Ramazan Ak
stimmt zu. Er weiß, dass er als
Kind gelogen hat, wenn er nach
Weihnachtsgeschenken gefragt
wurde.
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