Handwerk Special Nr. 118 vom 1. September 2007 - page 10-11

Betriebe haben aus der Abteikirche ein Schmuckstück gemacht
Nr. 118
1. September 2007
Schön wie vor 800 Jahren
Generationen von Hand-
werkern arbeiteten in
ihr und jede Epoche
hinterließ eigene Spuren
in der 800 Jahre alten Ab-
teikirche von Marienstatt.
Der Preis der vielfachen
Umgestaltung: Der ur-
sprüngliche Charakter
ging mehr und mehr
verloren. Doch dann
begannen Handwerksbe-
triebe und Restauratoren
2001 damit, der Kirche ihr
früheres Erscheinungs-
bild zurückzugeben und
nun ist es so weit: Die
Basilika hat ihr mittelal-
terliches Antlitz wieder.
Marienstatt rüstet sich für den
Festakt:MiteinemPontifikalamt
und vielen Ehrengästen feiert
die bei Hachenburg gelegene
Abtei am 23. September den
erfolgreichen Abschluss der
Gesamtsanierung der im 13.
Handwerker gaben der Abteikirche von Marienstatt ihr mittelalterliches Antlitz zurück
Tischlermeister Weingarten baute eine Werkstatt für den kostbaren Ursula-Altar
Manche Kirchenschätze
sind so kostbar, dass
Handwerksbetriebe sich
hoch versichern, bevor
sie mit der Arbeit begin-
nen. Die Versicherung
von Tischlermeister Ralf
Weingarten hätte sogar
einen siebenstelligen
Betrag gezahlt, falls er
oder seine Mitarbeiter
den Marienstätter Ursula-
Altar beschädigt hätten.
So zügig die an der Restau-
rierung beteiligten Betriebe in
Marienstatt ihre Aufträge erle-
digten – die eine oder andere
„Zwangspause“ ließ sich nicht
vermeiden. „Das waren schon
besondere Umstände in Mari-
enstatt“, erinnert sich Tisch-
lermeister Weingarten aus
Enspel.GleichmehrmalsamTag
musstener undandereHandwer-
ker die Basilika verlassen, damit
rund 25 Zisterziensermönche
darin ungestört beten konnten.
Auch Sonntagsmessen und
Hochzeiten fanden weiterhin
statt, selbst Wallfahrten mit
vielen hundert Pilgern mün-
deten in einen Gottesdienst in
der Abteikirche.
Weingarten und seine Mit-
arbeiter verkleideten Altäre,
Grabmäler und Beichtstühle
Steckbrief: Schäfer & Schäfer, Dürrholz (NR)
Gegr.: 1999 | 20 Mitarbeiter (7 Lehrlinge) | Pflasterarbeiten, Stra-
ßenbau | Tel.: 02684/ 95648-0 |
Profis arbeiten jahrhundertealte Kostbarkeiten wieder auf
Nr. 118
1. September 2007
und 14. Jahrhundert errichteten
Klosterkirche. Insgesamt rund
zehn Millionen Euro investierte
das Land als Eigentümerin der
Kirche in das Projekt. „Dass wir
den Zeitplan einhalten konnten
und unterhalb der veranschlag-
tenKosten geblieben sind,
hängt wesentlichmit der
Kompetenz und hohen
Teamfähigkeit der be-
teiligten Handwerker
zusammen“, betont der
projektleitende Archi-
tektChristophSchiewek
von der Niederlassung
Diez des Landesbetriebes
Liegenschafts- und Baube-
treuung (LBB), der für dieSanie-
rung verantwortlich zeichnet.
Steine aus dem
Westerwald
Zwei Jahre der akribischen Pla-
nung gingen voraus, ehe 2001
dieerstenBetriebeanrücktenund
zunächst das baufällige Äußere
der Basilika auf Vordermann
brachten. Straßenbauermeister
Ralph Schäfer etwa, der mit
seinem Bruder den Straßenbau-
betrieb Schäfer & Schäfer aus
Dürrholz im Kreis Neuwied
führt, verlegte mit vier
Mitarbeiternvor und
neben der Basilika
auf 200 Quadrat-
metern ein neues
Blaubasalt-Pflaster.
HelleSteineundPlat-
ten aus Weidenhahner
Trachytverwendetensie
im Eingangsbereich und
beimBau einer Außentrep-
pe in einem Seitenschiff.
Sowohl im Inneren als auch
vor der Basilika waren Mau­
rermeister Joachim Kempf und
seineKollegenvonder „Fridolin
Kempf GmbH & Co. KG“ aus
Müschenbach tätig. „Wir haben
Bruchsteinmauern auf dem Au-
ßengelände hochgezogen und in
der KircheNischen zugemauert,
Steckbrief: Metallgestaltung Zydek, Lochum
Gegr.: 1983 | 3 Mitarbeiter (1 Meister, 1 Lehrling | Metallgestal-
tung, Restaurierung | Tel.: 02666/ 1797 |
Steckbrief: Schreinerei Löhr, Höchstenbach
Gegr.: 1850 | 14 Mitarbeiter (3 Meister, 3 Lehrlinge) | Ausbau, Türen,
Fenster | Tel.: 02680/ 8586 |
Steckbrief: F. Kempf GmbH, Müschenbach
Gegr.: 1929 | 9 Mitarbeiter | Hochbau, Erdarbeiten, Sanierungen,
Restaurierungen | Tel.: 02662/ 1732 |
Steckbrief: Ludwig Bonn eK, Hachenburg
Gegr.: 1925 | 8 Mitarbeiter (3 Meister) | Augenoptik, Reparatur
und Verkauf von Uhren und Schmuck | Tel.: 02662/ 7596
Steckbrief: Natursteine Hehl, Müschenbach
Gegr.: 1960 | 7 Mitarbeiter (2 Meister, 1 Lehrling) | Verarbeitung
von Natursteinen | Tel.: 02662/ 6179 |
Steckbrief: Schreinerei Weingarten, Enspel
Gegr.: 1999 | 3 Mitarbeiter | Innenausbau, Möbel- und Bauschrei-
nerei | Tel.: 02661/ 40226 |
Fliesenlegermeister Hilmar Nilges bessert die
Friedhofsmauer gegenüber der Basilika aus.
Ganz oben: Das Wappen Papst Benedikt XVI.
prangt über der Eingangspforte zur Abteikirche.
in denen Beichtstühle standen“,
erzählt Kempf. Eine der Haupt-
aufgaben des Unternehmens
waren Erdarbeiten, die der
Sanierung der Heizungsanlage
dienten. Häufig stießen sie dabei
auf Knochen von Verstorbenen,
die vor vielen Jahren imAltarbe-
reich beigesetzt worden waren.
„Etwas, das uns
lange überdauert.“
Ebenfalls im Altarraum hatten
auchMaurermeisterAlbertHehl
ausMüschenbachundseinSohn,
Steinmetzmeister Markus Hehl,
ihren Arbeitsplatz. Die auf die
Verarbeitung von Natursteinen
spezialisierten Unternehmer
verlegten dort Platten für die
neueAltarinsel. Rund100Quad­
ratmeterSteinplatten,angefertigt
aus in Selters hergestelltem
Trachyt, brachten die beiden im
Boden ein. Direkt über diesen
Plattenbefinden sich seit einigen
Tagen auch die neuen Kirchen-
bankpodeste,dieTischlermeister
Markus Löhr aus Höchstenbach
undseineMitarbeiterherstellten.
„HochwertigeDouglasie,diewir
gebeizt, lackiert und mit Hartöl-
wachs versiegelt haben“, sagt
Löhr. Auf den fertigen Podesten
stehennunwieder dieBänke und
auf diesen werden beim Festakt
vermutlich einige namhafte
Ehrengäste sitzen. „Das Beson-
dere an diesem Projekt war für
mich“, sagt Architekt Christoph
Schiewek, „dass wir mithelfen
durften, etwas zu schaffen, was
uns alle lange überdauert.“
Viel Licht gelangt in die nach mittelalterlichem Vorbild
restaurierte Basilika der Abtei Marienstatt.
Schätze vom Zahn der Zeit befreit
Besonders akribisch
gingen Stefan Zydek und
Karl Ludwig Bonn bei
ihrer Arbeit für die Abtei
Marienstatt vor. Metallge-
stalter Zydek restaurierte
reich verzierte Eisentor-
flügel, Uhrmachermeister
Bonn brachte eine große
und 250 Jahre alte Ba-
rockuhr wieder in Gang
Sachte schlägt Schlossermeister
StefanZydekmiteinemHammer
auf einen alten, gusseisernen
Torflügel ein. „Diesem Tor
merkte man an, dass sich schon
etliche Handwerker vor mir
daran versuchten“, erklärt der
Meister. Und
auch einige
b e g a b t e
„ R a n k -
s c hm i e d e “
seien darun-
Handwerker bringen barocke Wanduhr in Gang und arbeiten verwitterte Zäune auf
ter gewesen, diedieEisenstäbe
mitfiligranenMetallranken
verzierten. Ein Teil der
jahrhundertealtenOrnamente
verwitterten jedoch
mit der Zeit oder
wurden zerstört,
sodass Zydek
in seiner
W e r k -
statt in
Lochum
m i t t e l s
s e l b s t
e n t w o r -
flankierte Barockuhr von 1750,
die jahrzehntelang regungslos in
der Basilika hing.
„Wenn man mit Leidenschaft
Uhrmacher ist, dann tut es
einem fast weh, wenn so
eine herrliche alte Uhr
die ganze Zeit über
steht“, sagt Uhr-
macher- und Au-
genoptikermeister
KarlLudwigBonn
aus Hachenburg.
Dem 71-Jährigen,
derseinenBetriebanseinenSohn
Andreas übergebenhat, bereitete
die defekte Barockuhr schon als
jungem Mann Kummer. Aber
erst vor wenigenMonaten fasste
er sich einHerz undbot derAbtei
an, sie wieder zum Laufen zu
bringen. Mit der Unterstützung
zweier Helfer aus dem Kloster
tauschte Bonn das uraltemecha-
nische Uhrwerk aus und ersetzte
es durch ein funkgesteuertes.
DemherrlichenAnblick der Uhr
hat das nicht geschadet. „Der
Betrachter sieht nach wie vor
nur das historische Zifferblatt
mit den Zeigern“, betont Bonn.
„Die moderne Technik bleibt
ihm verborgen.“
mit Schutzhüllen, damit diese
bei der Sanierungnicht beschä-
digt werden konnten. „Allein
für die Hüllen haben wir neun
Kubikmeter Fichtenholz zu
Kanthölzern verarbeitet und
rund 600 Quadratmeter Span-
platten verbaut“, resümiert der
Meister.
Die heikelste Aufgabe der
Tischler: Der Bau einer höl-
zernen Werkstatt für das
kostbare „Ursularetabel“, einer
der bedeutendsten mittel-
alterlichen Flügelaltäre im
Rheinland. Eigens für dieses
Projekt schloss der Betrieb
eineVersicherungab.Wäreder
Altar bei der Restaurierung in
Mitleidenschaft gezogen oder
gar zerstört worden, wäre die
Gesellschaft im Extremfall
für Schäden in Millionenhöhe
aufgekommen. Doch weil die
Handwerker mit der nötigen
Sorgfalt zu Werke gingen, lief
alles glatt.
Oben: Marienstatts prächtige Barockuhr von 1750.
Links: Schlossermeister Stefan Zydek restauriert
ein altes Eisentor. Den kunstvoll verzierten Rah-
men (unten) hat er bereits aufgearbeitet.
Tischlermeister Ralf Weingarten baut die Restau-
ratorenwerkstatt für den kostbaren Ursula-Altar.
fener Vorlagen und
Schablonen neue
Ornamente gestaltet.
Bis 23. September
will er den rundum
erneuerten Torflügel
in der Basilika einge-
baut haben. Ein Fall
für einen erfahrenen
Experten aus dem
Handwerk war auch
die von zwei Löwen
Einladung
zum Tag des offenen Denkmals
Unter dem Schwerpunktthe-
ma „Stätten der Einkehr und
des Gebetes“ lädt die Gene-
raldirektion Kulturelles Erbe
Rheinland-Pfalz zum diesjäh-
rigen Tag des offenen Denk-
mals am 9. September ein.
Auch das HwK-
Zentrum für Res-
taurierung und
Denkmalpflege
in Herrstein be-
teiligt sich an die-
semeuropäischen
Aktionstag und
Oben: Straßenbauermeister Ralph Schäfer ver-
legte vor der Kirche ein Blaubasalt-Pflaster.
Unten: Neue Kirchenbankpodeste fertigten Mitar-
beiter der Schreinerei Löhr aus Höchstenbach an.
I
nfos
präsentiert von 10 bis 18 Uhr das „Haus Lind“ im Schlossweg 4. Das
um 1710 erbaute Fachwerkgebäude mit Innenhof und umlaufender Ga-
lerie ist in der Region ohne Parallele. Es wird derzeit als Lehrbaustelle
des benachbarten HwK-Zentrums genutzt (Führungen um 15 und 17
Uhr). Vom 8. September bis 12. Oktober ist in der Galerie Handwerk
in Herrstein die Ausstellung „Alles im Lot!“ mit historischen Senkloten
aus aller Welt zu sehen (mo-fr, 10-17 Uhr, sa, 12-17 Uhr).
im HwK-Zentrum Herrstein, Tel.: 06785/ 9731-761,
Fax: -769, E-Mail:
1,2,3,4,5,6,7,8,9 12,13,14,15,16,17,18,19,20
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