Handwerk Special Nr. 94 vom 12. Juni 2003 - page 22

Im Gründelbachtal von St.
Goar ist Romantik Realität.
Einmalig in der Landschaft
liegt hier ein voll funktionsfä-
higes Relikt aus früheren Ta-
gen. Die Philippsmühle - so
heißt sie seit 100 Jahren - ist
die einzige noch in Betrieb
befindliche Getreidemühle im
Rhein-Hunsrück-Kreis.
Müllermeister Josef Philipps
übernahm die Mühle 1979 von
seinem Vater und betreibt sie in
der vierten Generation. „Früher
gab es in den zahlreichen Bach-
tälern unseres Heimatgebietes
unzählige Mühlen. 14 sollen es
allein im Gründelbachtal gewe-
sen sein“, erzählt der Müller-
meister. Heute drehen sich die
verbliebenen Mühlräder der
Region nur noch als Kulisse.
Josef Philipps begründet das mit
Strukturveränderungen in der
Landwirtschaft und mit der
Schließung vieler kleiner Bä-
ckereien.
Fünf bis sieben Tonnen Getrei-
de pro Tag werden in der Mühle
gemahlen. Die Mehlausbeute
liegt bei 85 Prozent. „Das Ge-
treide wird nach der Ernte in
Silos gelagert. Gemahlen wird
nach Bedarf. Das Mehl, das un-
sere Mühle verlässt, ist höch-
stens 14 Tage alt“, betont Phil-
ipps. Den Arbeitsablauf erklärt
er so: Zunächst wird das Getrei-
de intensiv gereinigt. ImAspira-
teur (frz.: Gebläse) trennt sich
die Spreu vom Weizen. Stroh,
Sand, Staub und Unkraut wer-
den mittels Luftstrom herausge-
blasen. Dieser Reinigungsvor-
gang ist voll automatisiert.
In der Schälmaschine wird das
Getreide geschleudert und die
Schmutzpartikel entfernt. Es fol-
gen Bürstmaschine und Stein-
ausleser, diedie äußersteSchicht
des Korns bearbeiten. Siebe mit
unterschiedlicherMaschenweite
trennen schwere Steinchen vom
Getreide.Magnete ziehen etwai-
Josef Phillipps betreibt die einzige Getreidemühle des Rhein-Hunsrück-Kreis in St. Goar
Es klappert die Mühle am rauschenden Bach...
Alte Mühle als „Keimzelle einer modernen Bäckerei“
Garantiert vollwertig gemahlen
ge Metallteilchen heraus. Jetzt
erfolgt der eigentlicheMahlvor-
gang. Er umfasst zwei Prinzipi-
en, die sich bis zu 16mal wieder-
holen: Zerkleinern und Sieben.
Der Walzenstuhl verrichtet das
Mahlen. Bei Philipps wird der
Mehlkern in mehreren Arbeits-
gängen schonendvondenScha-
lenteilen gelöst. Nach je-
dem Mahlvorgang wer-
den die unterschiedlich
großen Kornteile im
Plansichter, einem hin-
undherschwingenden, gro-
ßen Kasten, durch mehrere
übereinanderliegende Siebe
nach Größe sortiert. Dabei
werden Mehl, grober und fei-
ner Grieß sowie Schalen ge-
trennt. Das fertige Mehl läuft
nun in die Mehlmischerei, wird
dort gemischt und abgefüllt.
Die Bäcker aus der näheren und
weiteren St. Goarer Umgebung
und zahlreiche Privatkunden
kaufen in der Philippsmühle das
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In der Mühlenbäckerei Rudolf Jung ist der Name
Programm. Die alte Mühle mit ihrem ausgeklügelten,
über vier Stockwerke reichenden Mechanismus ist
zwei- bis dreimal in der Woche im Einsatz.
Bei „Mühlenbäcker“ Rudolf
Jung in Westerburg gehört das
Klappern der Mühle zum alltäg-
lichenHandwerkmitdazu.Zwei-
bis dreimal pro Woche bewegt
das durch den Bach im Erdge-
schoss angetriebene Wasserrad
tatsächlich die über vier Stock-
werke sich erstreckende hölzer-
ne Mühle mit ihrer eindrucks-
vollen Mechanik aus Antriebs-
rädern, -stangen und -riemen,
setzen sichdie schweren steiner-
nen Mahlsteine rumpelnd und
kollernd in Gang und mahlen
das Getreide für die Schnitzer-
Vollwertbrote der Mühlen-
bäckerei.
„DieMühle ist bei unsweitmehr
als nur ein zugkräftiger Rekla-
me-Gag und Teil des Firmen-
logos“, betont Bäckermeister
Rudolf Jung. Schließlich arbei-
ten seine Vorfahren bereits seit
dem 16. Jahrhundert, versehen
mit dem Privileg der Grafen zu
Leiningen, im Westerwald als
Müller, und 1887 kaufte sein
Großvater die Mühle in Wester-
burg. Zwei Jahre später kameine
Bäckerei hinzu. Die Jungs be-
gannen, dasMehl aus ihrerMüh-
le in der eigenen Backstube zu
verarbeiten. Die liegt auch heute
noch gleich nebenan, allerdings
erheblich vergrößert, müssen
doch mittlerweile täglich von
hier aus die 18 im Westerwald
bzw. in dessen unmittelbarer
Nachbarschaft gelegenen Filia-
len mit frischen Backwaren ver-
sorgt werden.
Bei diesem Einzugsbereich sol-
lees,kommentiertMichaelRüth,
der den Betrieb zusammen mit
Rudolf Jung führt, imWesentli-
chen bleiben. „Rund eine Stun-
de Fahrzeit zu den Filialen, da-
bei kann man noch die Frische
und Qualität sicherstellen, die
Kunden an unseren Backwaren
schätzten.”
Rund 70 verschiedene Produkte
zählen zur Angebotspalette des
Mühlenbäckers; der Schwer-
punkt des insgesamt 150 Mitar-
beiter - darunter zehn Lehrlinge
- zählenden Unternehmens liegt
mit über 30 Sorten im Brot-
bereich, an dessen garantierter
Frische nicht zuletzt die gute
alte Mühle mit ihren wertvolle
Mineral- und Inhaltsstoffe scho-
nendenMahlsteinenerheblichen
Anteil hat. Wer sie sich einmal
anschauen möchte, hat am 8.
Juni Gelegenheit dazu. Dann
wird am rauschenden Bach wie-
der ein zünftigesMühlenfest ge-
feiert, zu dem die Öffentlichkeit
herzlicheingeladenist.SeinStar:
die klappernde Mühle.
Roggen- und Weizenmehl der
verschiedenen Typen. Ehefrau
Christel, gelernte Kauffrau, ist
die Chefin der Winzerschänke,
die derMühle angeschlossen ist.
Josef Phi-
lipps beim
Verladen. Er
kann elf Sorten Mehl liefern.
Vom Korn zum Mehl und zum frischen Brot
12. Juni 2003
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