Previous Page  10 / 24 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 10 / 24 Next Page
Page Background

Meister-Jubilare im Porträt

10

Nr. 205

3. Dezember 2016

www.handwerk-special.de

Immer ein Glücksbringer

„Der Ruß hat mich fit

gehalten“, lacht Schorn-

steinfegermeister Walter

Theisen aus Polch. Der

88-Jährige gehört zu den

15 Handwerkssenioren,

die von der Handwerks-

kammer (HwK) Koblenz

für 65 Jahre Meisterschaft

im Handwerk mit dem

Eisernen Meisterbrief ge-

ehrt wurden.

„Tradition ist mir wichtig, und

die Uniform ist mit unserem

Berufsstand untrennbar verbun-

den“, soder Jubilar, der zur Feier

des Tages in seiner Berufsklei-

dung erschienen war. Obwohl

er sie seit seiner Pensionierung

1993 nicht mehr braucht, hält er

sie in Ehren und trägt sie stolz

zubesonderenAnlässen. Famili-

enfeiernoder andereFestivitäten

zählendazu.Auch für dasPorträt

in Handwerk Special zieht er sie

an und bittet um ein Foto vor

seinem Elternhaus.

„Der Schornsteinfeger ist der

einzige Beruf, bei dessen An-

blick sichalleMenschen spontan

freuen. Die Historie sagt, dass

ungereinigte Kamine in den

damalsnochstrohdachgedeckten

Häusern oft zu Bränden führten.

Diejenigen Hausbesitzer, deren

Häuser nicht abbrannten, hatten

Glück,weil derSchornsteinfeger

da war und die Kamine gekehrt

hatte“, erzählt er. Und der „ei-

serne Handwerksmeister“ sagt,

dass er „stolz darauf ist, sein Le-

ben lang auch als Glücksbringer

fungiert zu haben“.

WalterTheisenhat die spontanen

Berührungen von unbekannten

Menschen nicht gezählt. Er hat

ihnen aber immer gerndenGlau-

ben, dass dies Glück bringt und

ihre Freude gelassen. So konnte

er auf besondere Weise auch die

Wichtigkeit des Schornstein-

fegerhandwerks herausstellen.

Gelernt hat er seinen Beruf in

denKriegsjahren. SeinLehrherr,

ein Nazi, hat ihn „ausgebeutet“,

sagt er. „Die 60 Stunden Woche

war keine Ausnahme. Ich durfte

nach der Arbeit überall sauber

machen und zig Paar Schuhe

von ihm putzen. Abends musste

ich noch Plakate austragen. Das

war keine schöne Lehrzeit.“

Nach der Gesellenzeit folgten

dieMeisterprüfungundJahreder

Anstellung bei einem Bezirks-

schornsteinfeger. 1965 bekam

er seinen eigenen Kehrbezirk

Schornsteinfegermeister Theisen trägt stolz seine Uniform

Ermachte zwei Lehren. „Eigent-

lich wollte ich immer Architekt

werden und meine Leidenschaft

fürs Malen und Gestalten ein-

bringen. Eine praktische hand-

werkliche Ausbildung erschien

mir dafür die beste Basis“, kom-

mentiert er diese Entscheidung.

Vom Krieg, in dem er sechsmal

verwundet wurde, möchte er

nicht viel erzählen. Er erwähnt

kurz die Schlacht bei Kursk

1943, die eine rigorose Wende

im Krieg bedeutet hat. „Das ist

ein eigenes Kapitel.“

Zwei Meisterprüfungen

und ein Architekturstudium

Nach Meisterprüfungen im

Maurer- und Zimmerhandwerk

sowieeinemArchitekturstudium

an der Höheren Technischen

Lehranstalt in Mainz und an

der Technischen Hochschule

in Danzig gründete Jäckel nach

1945 ein Bauunternehmen mit

Architekturbüro.

1948 heiratete er Ehefrau Irm-

gard. „Für einen selbstständigen

Handwerksmeister ist eine

Frau, die mit ihm in die gleiche

Richtung schaut, unverzichtbar.

Und überhaupt, meine Irmgard

ist eine ganz Liebe.“ Er sagt

es und streichelt die Hand der

92-Jährigen. Herbert Jäckel hat

drei Söhne, alle beruflich im

Baubereich tätig, zwei Töchter

und „leider“ „nur vier Enkel“

aber zwei Urenkel.

Einer hat bei der HwK Koblenz

die Meisterprüfung im Mau-

rerhandwerk abgelegt. An sie

und die über 60 Maurer- und 20

Zimmererlehrlinge, die durch

seine Schule gegangen sind, hat

er sein Werteverständnis wei-

tergegeben. „Immer bereit sein

zur Leistung und zum Dialog.

Goldenen Boden zumAusruhen

gibt es im Handwerk nicht.“

Arbeiten und Sporteinla-

gen halten fit

Irgendwie passt es da, dass der

rüstige Handwerksmeister nicht

darandenkt, sichzurRuhe zuset-

zen. Nach getaner Arbeit hält er

sich mit Fitnessübungen fit. Bis

vor drei Jahren zählte tägliches

Reiten dazu. „Wenn es zu Ende

ist, dann ist es so“, sagt er ganz

pragmatisch. Und: „Freue dich

stets an der Zeit, die du hast.

Jeden Tag, jede Stunde.“

Herbert Jäckel hat viele Talente: technische Zeich-

nungen gehören zu seinen Arbeiten wie auch ...

... handgemalte Gemälde.

Irmgard und Herbert Jäckel aus Oberwesel sind seit

1948 miteinander verheiratet.

in Mosbach, den er 28 Jahre

betreut hat. Er erinnert sich, dass

er viele große Schornsteine von

innen besteigen und denRußmit

dem Stilbesen abkehren musste.

„Da war man manchmal ein

Akrobat.“ Der rüstige Senior

demonstriert ohne körperliche

Probleme seine damalige Ar-

beitsweise. Die Fitness kommt

ihm heute bei der Gartenarbeit

zugute.

Die „Kaminkehrer-Gene“ hat

er zumindest an seinen ältesten

Sohn weitergegeben, der den

Beruf allerdings aus gesund-

Schornsteinfegermeister Walter-Josef Theisen nahm

die Ehrenurkunde zum 65. Meisterjubiläum in der

typischen Berufskluft aus Händen von HwK-Präsident

Kurt Krautscheid (links) entgegen.

heitlichen Gründen nicht mehr

ausübt. Die drei anderen Kinder

undsiebenEnkel habeneinenan-

deren beruflichenWeg gewählt.

„Jeder muss diese Entscheidung

selbst treffen. Mich hat der Be-

ruf erfüllt“, sagt er. Mit seiner

LebensgefährtinhatWalterThe-

isen, der seit 28 Jahren Witwer

ist, auch persönlich noch einmal

ein neues Glück gefunden. „Ich

wollte schon immer mal einen

Schornsteinfeger küssen“, lacht

diese. Und so schließt sich der

Kreis rund um den Beruf und

das Glück.

Das war

Walter-

Josef

Theisen

wichtig:

Fototermin

mit dem

Eisernen

Meister-

brief vor

seinem El-

ternhaus.

Foto: P!ELmedia