Handwerk Special Nr. 157 vom 25. Februar 2012 - page 11

„Menschen mit Gehbehinderung möchten auf modische
Schuhe nicht verzichten. Sie wünschen, dass man es optisch
nicht direkt sieht, dass sie mit orthopädischen Hilfsmitteln
ausgestattet sind. Ein Laie sollte nicht sofort erkennen,
dass es sich um einen orthopädischen Schuh handelt“, sagt
Schuhmachermeister Lutz Dittrich
aus Bad Kreuznach.
Altes Schuhmacherhandwerk für modernste Beanspruchungen
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Nr. 157
25. Februar 2012
Junge Leute geben den Takt vor: „(e)motion!“ startet mit Pauken und Trompeten in die vierte Runde
Sägespäne fliegen durch
die Luft, es herrscht Lärm
und doch arbeiten die
15 jungen Leute in der
Lehrwerkstatt der HwK
Koblenz konzentriert an
ihren Hobelbänken. Unter
Anleitung der HwK-Aus-
bilder stellen sie Schlag-
werkinstrumente her.
Die Jugendlichen sindTeilneh-
mer an „(e)motion!“, einem
Gemeinschaftsprojekt der
HwK mit dem Jobcenter
Mayen-Koblenz und dem
Staatsorchester Rheinische
Philharmonie. „(e)motion!“
findet bereits zum vierten Mal
statt. Ziel in diesem Jahr ist
die öffentliche Aufführung
einer Schlagwerkperformance
auf selbstgeschreinerten Ins­
trumenten. Unterstützt werden
die jungen Leute dabei durch
Musiker der Philharmonie.
SeitOktobervergangenenJahres
wird hierfür gefeilt, gedreht,
Philharmonie unter dem Diri-
gat von Daniel Raiskin.
Gefördert durch den Euro-
päischen Sozialfond und das
Land Rheinland-Pfalz stellt
„(e)motion!“ eine besondere
Form der beruflichen Quali-
fizierung für Jugendliche dar.
Neben der Suche nach einem
Ausbildungs-oderArbeitsplatz
stehenauchschulischeThemen
undWerkstatterprobungen auf
dem Stundenplan. Das Projekt
ermöglicht den Jugendlichen,
ihre Persönlichkeit, ihr Durch-
stehvermögen und ihre Team-
fähigkeit zu stärken.
Infos im Internet unter
Allseits auf gutem Fuß
Der 58-Jährige hat mit den
Endverbrauchern zwar
keinen direkten Kontakt,
weiß aber um ihre Vor-
stellungen vom Schuh-
werk. Die Kunden des
Handwerksmeisters sind
Orthopädieschuhmacher
aus der Region und dem
Rhein-Main-Gebiet. Für sie
fertigt er orthopädische Maß-
schäfte an.
Das Schuhmacherhandwerk
hat in der Familie Dittrich Tra-
dition. Schon sein Großvater
und sein Vater waren Schuh-
machermeister. Vater Lothar
erwarb 1960 in Bad Kreuznach
eine Schuhmacherwerkstatt
mit Einzelhandelsgeschäft. So
lernte LutzDittrich nicht nur das
Schuhmacherhandwerk von sei-
nemVater, sondern schloss auch
eine Lehre zum Einzelhandels-
kaufmann ab. In beiden Berufen
sah er die perfekte Symbiose
aus Handwerk, individueller
Beratung und Verkauf. Er qua-
lifizierte sich noch vor Erwerb
des Schuhmachermeisterbriefs
bei der Handwerkskammer
Koblenz zum Betriebswirt des
Modisch: Orthopädische Schuhe von Meister Dittrich
Steckbrief: Schuh Dittrich, Bad Kreuznach
Gegr. 1960 | 1 Meister, 1Aushilfe | orthopädische Maßschäfte |
Tel.: 0671/ 27724 |
Handwerks. 1981 gehörte er
damit zuden erstenAbsolventen
der von der HwK entwickelten
undzwischenzeitlichbundesweit
durchgeführten Fortbildung.
Vom Leisten
bis zum Schuh
Das große Hochwasser in Bad
Kreuznach veranlasste die Fa-
milie 1994 den Einzelhandel
auf zu geben. „Im ländlichen
Raum ist es schwer, allein von
Schuhreparaturen zu leben. Für
handwerklich gefertigte Maß-
schuhe fehlte die Klientel. So
haben wir eine Nische gesucht
und diese in der Zuarbeit für
den Orthopädieschuhmacher
gefunden“, so Dittrich.
Zwölf bis 15 Arbeitsschritte
sind notwendig, bevor aus dem
Leisten ein fertiger Schuh wird.
Das geht vom Anfertigen einer
Leistenkopie und eines Papier-
modells, über den Zuschnitt von
Futter und Leder, bis
zumZusammennähen
der Einzelteile und
dem Anbringen
von Ösen und
Haken.„Natür-
lich führe ich
auch Schuhre-
paraturen aus.
Ich stehe mit
vielseitigenAufga-
ben auf gutem Fuß“,
schmunzelt er. Das
trifft ebenso auf sein
Engagement im Eh-
renamt zu.
Tradition in Beruf
und Ehrenamt
Seit2010isterstellver-
tretender Obermeister
der neuen Innung für
Raumausstatter- & Beklei-
dungshandwerke Rhein-Nahe-
Hunsrück. „Unsere Werkstoffe
und unsere Interessen verbinden
uns.Wir arbeitenallemit Stoffen
oder Leder“, begründet Dittrich
die Fusion von Schneider- und
Modisten-, Raumausstatter- und
Sattler- sowie Schuhmacher-In-
nung. Er war lange Obermeister
der Schuhmacher und in den
Jahren zuvor als Lehrlingswart
aktiv. Auch im Ehrenamt tritt er
in die Fußstapfen desVaters, der
sich über 25 Jahre in den Dienst
des Gemeinwohls imHandwerk
gestellt hat.
Schuhma-
chermeister
Lutz Dit-
trich fertigt
ausgehend
von der
Skizze den
Leisten (s.l.
im Text) ...
... schneidet dann Ober-
leder und Futter zu ...
... um anschließend die
Einzelteile auf verschie-
denen Maschinen zusam-
men zu nähen und mit
den erforderlichen Ösen
oder Haken zu versehen.
gehobelt, geklebt und gebohrt.
KlingengetrockneteErbsenoder
ReiskörnerimRegenmacherbes-
ser? Oder lassen sich abgenutzte
Sägeblätter zum Instrument um-
funktionieren?DieMädchenund
Jungen probieren es aus. Unter
Leitung vonMichael Zeller, Or-
chestermitglied der Philharmo-
nie,undNebojsaJovanZivkovic,
freischaffender Schlagzeuger,
wird in regelmäßigenAbständen
im Görreshaus geprobt, was das
Zeug hält. In den gemeinsamen
Übungsstunden in Rhythmus-
undSchlagwerktechnikkommen
die neu gefertigten Instrumente
direkt zum Einsatz.
Die Aufführung findet am 29.
Juni um 19.30 Uhr auf der Fes­
tung Ehrenbreitstein statt. Das
öffentliche Abschlusskonzert
bestehtausdreiProgrammteilen:
dem Auftritt der Jugendlichen
zusammen mit dem Orchester,
einemSolo-Auftritt vonNebojsa
Zivkovic sowie einem sinfo-
nischenBeitrag der Rheinischen
Probe mit Schlagzeuger Nebojsa Jovan Zivkovic
1...,2,3,4,5,6,7,8,9,10 12-13,14,15,16,17,18,19,20,21,22,...24
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