Handwerk Special Nr. 129 vom 29. April 2009 - page 11

Handwerk mit Tradition – prägend für die regionale Wirtschaft
Nr. 129
29. April 2009
Nachruf
Aufrichtigkeit statt großem Pathos
Zum Tod der Keramikerin
Gisela Schmidt-Reuther
(1915 – 2009)
Auf 2 Rädern zum Erfolg
Dass am Anfang aller
einspurigen Zweiräder
die „Draisine“, das nach
seinem Erfinder benannte
Laufrad des Mannheimer
Freiherren Karl Drais, von
1817 stand, ist unumstrit-
ten. Nicht ganz so klar ist,
wer sich als Erster traute,
die Füße vom Boden zu
nehmen und auf Pedale
zu stellen, um das Zwei-
rad noch bequemer und
schneller anzutreiben.
Im letzten Viertel des 19.
Jahrhunderts hat dieses
Gefährt dann schon ent-
schieden mehr Ähnlich-
keit mit dem modernen
Fahrrad. Wenig später,
am1.April1909,schlug
die Geburtsstunde von
Fahrrad Franz. In der
Koblenzer Schloss-
straße gründete der
Kaufmann Albert
Hennes ein Ge-
schäftmit demTitel
„DeutscheFahrrad-
Industrie“. 1920
wu r de da r au s
die „Coblenzer
Fahrrad-Centra-
le“, die neben
Fahrrädern Kinderwagen,
Grammophone undNähmaschi-
nenanbot.1934übertrugHennes
seinemMitarbeiter Albert Franz
den Betrieb. Franz starb im
Krieg, dem auch die Geschäfts-
räume zum Opfer fielen.
Hauseigene
Teststrecke inklusive
1949 gründete Hans Schäfer,
Großvater der heute leitenden
Familie und seit 1931 Mitarbei-
ter von Hennes und Franz, den
Betrieb neu. Ganz aufs Fahrrad
konzentriert hat der mittler-
weile drei Standorte: Koblenz,
Mülheim-Kärlich und Mainz.
In den 1980er Jahren traten
Ralf und Marco Schäfer als die
dritte Generation in das Unter-
nehmen ihrer Eltern Reiner und
Marleneein.6.000Quadratmeter
Betriebsfläche inMainz, 10.000
Quadratmeter in Mülheim-Kär-
lich inklusive einer hauseigenen
Teststrecke, 100 Mitarbeiter,
bundesweite Zusammenarbeit
mit achtHändler-Kollegenunter
dem Logo „Fahrrad XXL“.
Fahrrad Franz feiert in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag
Steckbrief: Fahrrad Franz, Koblenz, Mülheim-K.
Gegr. 1909 | 100 Mitarbeiter (4 Meister, 8 Lehrlinge) | Fahrräder,
Zubehör und Werkstatt |
V.i.S.d.P.:
Hauptgeschäftsführer Alexander Baden
Redaktion:
Anne Bach, Jörg Diester, Markus Gaida, Beate Holewa,
Dr. Lieselotte Sauer-Kaulbach
Layout:
Anne Bach, Jörg Diester, Markus Gaida
Mitarbeiter: Katja Vogt
Fotos:
Godehard Juraschek, P!ELmedia (Titel), HwK Koblenz,
private Fotos aus den Betrieben
Herausgeber: Handwerkskammer Koblenz, Friedrich-Ebert-Ring 33, 56068
in Verbindung mit demMittelrhein-Verlag Koblenz
Anzeigen:
MRV-Anzeigen, August-Horch-Str. 28, 56070 Koblenz,
Christoph Lind (verantwortl.), Tel.: 0261/ 892-470
Techn. Herstellung: Industrie Dienstleistungsgesellschaft mbH, 56070 Koblenz
Impressum
Un d d i e
ZeichenfürdieZukunft
stehen, wie Ralf Schäfer erklärt,
gut. Radfahren boome, immer
mehr Radfahrer, ob sie nun das
Zweirad als nützliches und um-
weltfreundlichesVerkehrsmittel
im Alltag oder als Sportgerät
sehen, seien bereit, für sichere,
bequemeoderschnelleFahrräder
aucheinbisschen tiefer indieTa-
sche zu greifen. „Die technische
Entwicklung ist in den letzten
Jahren rasant fortgeschritten,
moderne Fahrräder haben heute
beispielsweiseScheibenbremsen
und Hydraulik statt Seilzug.“
Strampeln im
Auslandseinsatz
Ein aktueller Trend ist das Fahr-
rad mit Elektromotor, befreit
vom früheren Senioren-Touch.
„Der zusätzliche Antrieb fällt
optisch kaum noch auf, sodass
dieses Fahrrad jetzt auch bei vie-
lengefragtist,diesichnichtmehr
als nötig abstrampeln wollen.“
Eine Alternative dazu wären
die Räder der Hausmarke
„Carver“. Ein Mountainbike
dieser Reihe wurde im vergan-
genen Jahr WISO-Testsieger.
„Wir wussten gar nichts davon
und waren von dem Ergebnis
überrascht.“ Aber schließlich
strampeln auch deutsche Solda-
ten im Auslandseinsatz zwecks
Fitness auf Rädern von Fahrrad
Franz, und Landesvater Beck
tritt ebenfalls auf einem Franz-
Zweirad in die Pedale. Das tut
natürlich auch Ralf Schäfer
selber – ambitioniert bei alpinen
Radtouren.
EbensowichtigwiedieBeratung
beim Fahrradkauf sei für den
Kunden, erklärt Schäfer, die
hauseigene Werkstatt, in der
zweiZweiradmechanikermeister
für den Service sorgen. Einer
von ihnen ist der stellvertre-
tende Werkstattleiter Steven
Wackermann, der 2005 zu den
JahrgangsbestenbeiderMeister-
prüfunggehörte.SeinTipp:„Das
Fahrrad ein- bis zweimal imJahr
warten lassen. Das kostet nicht
viel, garantiert aber Sicherheit
und Werterhalt.“
Kompetenz XXL
2009 (v.l.): Der
stellvertretende
Werkstattleiter
und Zweiradme-
chanikermeister
Steven Wacker-
mann mit Lehrling
Demian Becker und
Geschäftsführer Ralf
Schäfer.
1924: Wegen Ar-
beitsmangel muss ein
guter Mitarbeiter der
„Coblenzer Fahrrad-
Centrale“ entlassen
werden – recht formlos.
In ihren letzten Lebens-
jahren galt ihre größte
Sorge immer wieder
„ihren Kindern“, wie
die Keramikerin Gisela
Schmidt-Reuther ihre
Plastiken und Zeich-
nungen nannte. Im
Alter von 93 Jahren
starb die Künstlerin
nach einem langen, er-
füllten Leben in ihrem
Haus in Rengsdorf.
Die Künstlerin wurde 1915 in Bad Sobernheim als Tochter
eines Volksschullehrers geboren, der ihr Talent früh erkannte
und förderte. Nach dem Abitur studierte sie zwei Jahre an der
Staatlichen Werkschule für Keramik in Höhr-Grenzhausen, an
der sie später auch als Lehrerin arbeitete, ab 1936 Bildhauerei
in Frankfurt – bei Paul Egon Schiffers und Richard Scheibe,
der sie nach ihrer eigenen Aussage besonders intensiv prägte,
„vielleicht, weil er nicht das Pathos, die große Geste, sondern
das Zurückhaltende, in jedem Fall Aufrichtige bevorzugte“.
Das Aufrichtige. Das hat Gisela Schmidt-Reuther in den Arbei-
ten aus ihrer Werkstatt, vor allem auch in ihren Zeichnungen
immer angestrebt. Gerade sie belegen, wie aufmerksam sie ihre
Umwelt beobachtete und dann geradezu leidenschaftlich mit
dem Zeichenstift skizzierte, Landschaften, Architektur, Natur,
vor allem aber Menschen. Menschen in der Unterhaltung, im
gesellschaftlichen Miteinander. Sie waren als Einzel- oder als
Gruppenwesen auch eines der wichtigsten Motive in den für sie
charakteristischen halbplastischen Keramiken, deren Flächig-
keit ihr Gelegenheit bot zur teilweise fast malerischen Gestal-
tung mit Glasuren. Arbeiten von Gisela Schmidt-Reuther wa-
ren immer wieder in der Galerie Handwerk zu sehen, beispiels-
weise in der zweiten Ausstellung „Keramik dieser Welt“ 2003.
Immer wieder suchte die Künstlerin, die noch im vergan-
genen Jahr im Keramikmuseum in Höhr-Grenzhausen,
dem sie schon früh wichtige Stücke ihres Werkes gestiftet
hatte, mit dem Ehrenpreis für Keramik ausgezeichnet wur-
de, intensiv den Kontakt, den Austausch mit anderen. Dies
dokumentiert ein reger Briefwechsel, den sie bereits als
junge Künstlerin mit Kollegen und Persönlichkeiten der
Zeitgeschichte – Gerhard Kolbe, Heinrich Böll oder der
Philosoph Kükelhaus – führte und, zusammen mit anderen
Aufzeichnungen, auf ausdrücklichen Wunsch dem Germa-
nischen Museum in Nürnberg zur Verfügung stellte. Bei
aller Anschaulichkeit werden diese Dokumente trotzdem
nie das lebendige, anregende Gespräch mit ihr ersetzen.
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