Handwerk im Winter vom 9. Dezember 2006 - page 2

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Meister
brief öffnet Tore der
Welt
Das 31.Weihnachtsgesprächmit Karl-JürgenWilbert:Ausländer erzählen über Beruf, Familie undTraditionen
„Ich lebe seit 19 Jahren in Deutschland. Mein Vater
kam bereits Ende der 1950er Jahre über Algerien
und Frankreich nach Deutschland. Er hat hier als
Maurer gearbeitet und ist heute noch berufstätig“,
erzählt der marokkanische Industriemechaniker
Ahmed Zahouani aus Neuwied. „Als unsere Familie
nachkam, Mutter, drei Schwestern und ein Bruder,
war ich elf Jahre alt. Ich bin in Deutschland aufge-
wachsen, hier ist mein Zuhause.“
„In der Hauptschule gehörte ich zu
den Besten und meine Lehre als
Industriemechaniker, Fachrichtung
Maschinensystemtechnik, bei
Schmalbach Lubeca, heute Ball Ba-
cking Europe, hat mir großen Spaß
gemacht. Ich wurde nach der Aus-
bildung übernommen. Die Firma
fördert auch meine Meisteraus-
bildung und unterstützt mich hervor-
ragend“, sagt er mit Stolz. Er berich-
tet, dass ihm nach seinem erfolgrei-
chen Abschluss der Teile III und
IV der Meisterausbildung die
Verantwortung für die
Lehrlinge im Betrieb über-
tragen wurde.
Zu Gast in der HwK
Ahmed Zahouani gehört zu den Gäs-
ten, die HwK-Hauptgeschäftsführer
Dr. h.c. mult. Karl-JürgenWilbert zu
einem vorweihnachtlichen Gespräch
eingeladen hat. Weitere Gesprächs-
partner am festlich gedeckten Tisch
sind der italienische Maler und La-
ckierer Maik Maganuco sowie die
Friseurin Malgorzata Gbiorczyk aus
Polen. Bereits zum 31. Mal trifft
Wilbert zum Jahresende einige aus-
ländische Handwer-
ker, die sich bei der
HwK Koblenz auf ihre
Meisterprüfung vorbe-
reiten. Er spricht dann
mit ihnen über ihr Le-
ben undArbeiten in
Deutschland. Er
fragt nach ih-
ren Erfahrun-
gen, ihren Zu-
kunftsplänen, Wünschen
und Träumen. Er fragt sie
auch, welche Bedeutung
Weihnachten für sie und ihre
Familien hat, vor allem dann,
wenn sie nicht aus einer christ-
lichen Kulturwelt kommen.
„Sie sind in einem Industriebetrieb
tätig, warum erwerben Sie den hand-
werklichen Meisterbrief?“, will Wil-
bert von Ahmed Zahouani wissen.
„Vielleicht möchte ich mich später
einmal selbstständig machen. Mit
dem Meisterbrief halte ich mir die-
se Möglichkeit offen. Gleich wo, der
deutsche Meisterbrief öffnet die Tore
der Welt“, sagt dieser. Der aus Sizi-
lien stammende Maik Maganuco hat
bereits konkrete Zukunftsvor-
stellungen. „Ich mache mich selbst-
ständig. Maler und Lackierer ist ein
toller Beruf und bietet eine bunte
Angebotspalette. Mein Hobby,
die Landschaftsmalerei, kommt
mir dabei zugute. Zukunftsangst
habe ich nicht, ein deutscher
Meisterbrief gilt etwas“, so der
Vater eines fünfjährigen
Sohnes und einer zwei-
jährigen Tochter.
„Verkaufen Sie Ihre Bil-
der auch?“, fragt der Haupt-
geschäftsführer und verweist auf
die traditionelle Winteraus-
stellung der HwK, wo in diesem
Jahr 180 Kunsthandwerker ihre
Arbeiten präsentieren. „Bisher
hängen die Bilder in meiner
Wohnung und bei Freunden.“ Als
Maganuco in Mainz geboren wur-
de, lebten seine Eltern schon fünf
Jahre hier. „Zu Hause wurde italie-
nisch gesprochen und ich habe heu-
te noch Sprachschwierigkeiten. Mei-
ne Kinder sprechen aber perfekt
deutsch“, entschuldigt er sich.
„Richtig deutsch zu sprechen ist
auch manchmal für Deutsche
schwer“, so Wilbert. Sein Gast hört
aufmerksam zu, als der Hauptge-
schäftsführer sich an einen Aufent-
halt in dessen Heimat und seine
Fahrt mit einer 250er Vespa von
Taormina zum Vesuv erinnert.
Integration über die Sprache
Auch für Malgorzata Gbiorczyk
ist das Lernen der deutschen
Sprache sehr wichtig. „Wenn
man die Menschen verste-
hen will, muss man ihre
Sprache
k ö n -
n e n “ ,
sagt sie.
Seit knapp
vier Jah-
ren lebt
ich spüre keine Ausländerfeindlich-
keit. Schwierig ist es aber, Geschäft,
Haushalt und Meisterschule unter
einen Hut zu bringen. Meine Toch-
ter und mein Mann büffeln mit mir
die umfangreiche Theorie“, räumt
sie ein.
Die Frage des Hauptgeschäftsfüh-
rers, ob sie sich vorstellen können,
wieder in ihr Heimatland zurückzu-
kehren, verneinen die Gesprächs-
partner. Sie sind verbunden mit dem
Land, das ihnen Heimat wurde. Sie
haben in deutschem Boden Wurzeln
geschlagen. Mit dem Erwerb des
Meisterbriefes tragen sie zur Siche-
rung ihrer beruflichen Existenz bei.
„Wenn ich alle zwei Jahre mit mei-
ner Frau in den Norden Marokkos
nach Nador zuVerwandten fahre, ist
das für uns Urlaub. Auch wenn dort
fast immer die Sonne scheint, sehne
ich mich wieder nach Deutschland
zurück. Hier habe ich gelernt, wur-
de vom Lehrbetrieb übernommen
und gefördert. Ich bin einfach dank-
bar. Was ich an Gutem erfahren
habe, möchte ich zurückgeben“, be-
tont Ahmed Zahouani.
Junge Ideen und alte Bräuche
„Was möchten Sie in fünf Jahren
machen?“, interessiert sich Wilbert.
Die Meister in spe sind optimistisch
und überzeugt, dass es beimAufbau
einer eigenen Existenz keine Rolle
spielt, woher man kommt. Die Le-
bensläufe von Zahouani und Maga-
nuco sind von denen Deutschstäm-
miger nicht zu unterscheiden. Schu-
le, Ausbildung, erste Berufserfah-
rung, harte Arbeit, Ehrgeiz und Er-
folg. Eine glückliche Familie ist ih-
nen wichtig. Alle sind zwar mit
Landsleuten verheiratet, haben sie
aber in Deutschland kennen gelernt.
Sie haben Kinder, die auch hier le-
ben, lernen und arbeiten möchten.
Malgorzata Gbiorczyks Tochter will
einmal Gerichtsmedizin studieren.
„Weihnachten. Welche Gedanken
bewegen Sie? Was essen Sie zum
Fest?“, fragt Hauptgeschäftsführer
Wilbert zum Ende des Gesprächs
seine Gäste. „Ich kenne die deutsche
Kultur und liebe Weihnachten. Ich
finde die festlich geschmückten
Straßen und Fenster wunderbar“, be-
kennt der Moslem Zahouani. Er
weiß auch um die Bedeutung des
Weihnachtsfestes für die Christen.
„Sich mit der Kultur vertraut zu
machen, fördert die Integration“,
sagt er. Bei Maik Maganuco sitzt die
Großfamilie unter dem geschmück-
tem Weihnachtsbaum, Großeltern,
Tanten und andere Verwandte zäh-
len dazu. „Es ist wunderbar, wenn
die Familie zusammenhält und alle
sich verstehen.“ Bei Malgorzata
Gbiorczyk wird der Weihnachts-
baum wie im letzten Jahr in Gold
und Blau geschmückt. Am Heiligen
Abend hält sie an einer alten Tradi-
tion fest, nach der zwölf verschie-
dene Speisen, aber kein Fleisch auf
dem Tisch stehen müssen. „Es gibt
Fisch, mit viel Gemüse gekocht, ein-
gelegte Heringe und ...“ „Mir läuft
das Wasser im Munde zusammen“,
wirft Karl-Jürgen Wilbert ein. Auf
Nachfrage erzählt er, dass bei ihm
Kartoffelsalat und Würstchen am
Heiligen Abend Priorität haben.
„Nach dem Krieg war es für uns das
Größte“, erinnert er sich. „Daran
haben wir einfach fest gehalten.“
Auf
Meisterkurs im
Feinwerkmechaniker-
handwerk: Ahmed Zahouani
Auf
Meisterkurs
im Friseurhand-
werk: Malgorza-
ta Gbiorczyk
sie mit Mann und Tochter in Bad
Ems. „Wir waren sehr oft hier, be-
vor wir uns zum Bleiben entschie-
den haben. Meine Schwiegereltern
sind deutschstämmig und leben
schon lange in der Kurstadt.“ Seit
zwei Jahren führt sie mit einer Aus-
nahmebewilligung den Salon,
„Gosia’s Haarstudio“. „Als Selbst-
ständige kann ich mir die Zeit bes-
ser einteilen und meine Kunden hel-
fen mir auch, die Sprache zu lernen.
Ich habe die nettesten Kunden von
Bad Ems“, lacht sie. „Das ist gut. Die
Beziehung zwischen Deutschland
und Polen war immer etwas schwie-
rig“, freut sich Wilbert für seinen
Gast. „Was war ist Vergangenheit,
Auf Meisterkurs
imMaler- und La-
ckiererhandwerk:
Maik Maganuco
„Ein Leben
lang
genäht
„Ich habe mein ganzes Leben ge-
näht und würde es immer wieder
tun“, sagt Schneidermeisterin Else
Schäffer aus Ellern/Hunsrück. Die
rüstige Dame mit dem warmherzi-
gen Blick aus hellen wachen Augen
feierte im November ihren 100. Ge-
burtstag.
Sie lebt noch immer in ihrem Eltern-
haus und wird von ihrem Neffen,
einem Schlossermeister im Ruhe-
stand, und dessen Frau versorgt. Ihr
Alter sieht man der agilen Jubilarin
mit dem beinahe faltenfreien Gesicht
- „ich benutze nur Kernseife und
Wasser“ - nicht an. „Mit meinem
Handwerk war ich immer auf der
Höhe der Zeit. Es hat mich jung ge-
halten“, schmunzelt sie. „Schon als
Fünfjährige habe ich mir aus Papier
ein Muster geschnitten und für mei-
ne Puppe ein Kleid an der Nähma-
schine meiner Mutter genäht. Mei-
ne Brü-
der haben
unter der
Maschine
gelegen und
für mich das
Rad gedreht, weil ich zu klein war.
Ich habe ihnen immer Kommandos
für die Drehgeschwindigkeit gege-
ben“, erzählt sie. Sie erinnert sich
auch, dass sie damals Prügel für die
abgebrochene Nadel und den ver-
brauchten Stoff bekommen hat.
Trotzdem hatte die Mutter ihr Talent
erkannt und sie schon mit zwölf Jah-
ren zumWeißnähkurs geschickt. Mit
15 ging sie in die Schneiderlehre.
Engagiert im Ehrenamt
„Als Gesellin bin ich im Dorf von
Haus zu Haus gelaufen und habe ge-
fragt, was es zu nähen gibt. Es fiel
immer etwas an, vor allem die Ho-
Schneidermeisterin Else Schäffer feierte
Jahrhundertgeburtstag
sen der Jungen mussten ausgebes-
sert werden“, weiß sie. „Flickmäd-
chen wollte ich aber nicht bleiben.
Ich wollte etwas darstellen, etwas
sein. Deshalb habe ich in Koblenz
Lehrgänge besucht und 1943 die
Meisterprüfung abgelegt.“ Stolz
schwingt in ihrer Stimme, wenn sie
sagt, dass sie damals die einzige Frau
in den Meisterlehrgängen war.
Im Elternhaus richtete sie sich eine
Nähstube ein. Bis zu drei „Lehrmäd-
chen“ hatte Else Schäffer immer um
sich. „Sie gehörten zur Familie“, sagt
die Meisterin, die selbst nie gehei-
ratet hat und kinderlos blieb. „Der
zu mir passende Mann, als ich im
heiratsfähigen Alter war, ist be-
stimmt im 1. Weltkrieg gefallen“,
meint sie scherzend. Als Obermeis-
terin der Herrenschneider-Innung
Simmern bis 1962 und stellvertre-
tende Obermeisterin der neuen Her-
ren- und Damenschneider-Innung
bis 1974 hatte sie beruflich nie
Männermangel. Ihr Ehrenamt be-
hielt sie auch nach einer Fusion mit
der Schuhmacher-Innung bis 1978
bei. „Ich wollte immer vorn dabei
sein, sehen, was läuft“, begründet sie
ihr Engagement, für das sie 1992 mit
der Ehrennadel der HwK Koblenz
ausgezeichnet wurde.
Arbeit gab es für die Schneidermeis-
terin immer reichlich. Nach dem
Krieg färbte sie Militärmäntel und
nähte daraus Sachen. In den 1960er
Jahren gehörten die US-Frauen vom
Hahn zu ihren Kunden. Noch heute
liest sie manchmal in alten Maß-
büchern nach, Mode interessiert die
alte Dame weiterhin und „was in der
Welt passiert“. Ihr gefallen Kleider
auf Form genäht, weil sie die „Weib-
lichkeit betonen“, und weiße Kragen
aus Spitze oder Tüll aufgenäht als
„Liebeserklärung ans Gesicht“. „Ich
trage sie immer. Vielleicht sehe ich
deshalb so freundlich aus ...“
Schneidermeisterin Else Schäffer mit dem Goldenen Meister-
brief, den ihr die HwK bereits 1993 verliehen hatte.
Handwerkskammer Koblenz: 100 Jahre und mehr
Dokumentation im Internetshop
Meisterkurse für
alle Handwerke
Die nächstenVorbereitungskurse für
die wirtschaftlichen, rechtlichen und
pädagogischen Teile III & IV der
Meisterprüfung für alle Handwerke:
08.01.07, Vollzeit (mo-fr, 8.30-
15.45 Uhr), Koblenz, Bad
Kreuznach oder Rheinbrohl
12.02.07, Teilzeit (mo&di&do,
17.15-20.30 Uhr), Koblenz oder
Wissen
30.04.07, Vollzeit-Crash (mo-sa,
8.30-15.45 Uhr), Rheinbrohl
oder Cochem
Infos und Anmeldung zu allen
Meisterkursen bei der HwK-
Meisterakademie, Tel.: 0261/
398-415, Fax: -990, E-Mail:
Im Jahr 2001 erschien eine Dokumentation, die die Geschichte des Hand-
werks im nördlichen Rheinland-Pfalz und der HwKKoblenz widerspiegelt.
Sie lädt zu einemAusflug in dieVergangenheit, Gegenwart, aber auch in die
Zukunft des Handwerks im Kammerbezirk ein. Die Zeitreise umfasst die
großen Linien der regionalen, nationalen und europäischen Entwicklung.
Ausführlich beschrieben wird auch die Stellung der HwK Koblenz in
der Zeit, als Else Schäffer ihre Meisterprüfung ablegte. Die Koblenzer
Kammer ging 1943 mit der Trierer in der Abteilung Handwerk der Gau-
wirtschaftskammer Moselland mit Sitz in Koblenz auf. – Die Doku-
mentation gibt’s im Internetshop unter
(P
ublikationen)
Die Kolumne:
Dezember 2006
Ich schreibe, liebe Lese-
rinnen und Leser, in die-
sem Jahr gerne noch ein
paar Zeilen zum Jahres-
ausklang. Was sich im
Sommer bereits angekün-
digt hat, ist dann im
Herbst zur Gewissheit ge-
worden. Der Wirtschaft
geht es wieder besser,
nicht nur im Export, son-
dern auch bei uns vor der
Tür. Die Lehrlingszahlen
deuten darauf hin, die
Auftragslage, die bestell-
ten Waren und Dienstleis-
tungen ebenso. Und vor
allem: Auch der Arbeits-
markt zuckelt aus seiner
Talsohle. Die Stimmung
ist freundlicher als vor ei-
nem halben Jahr oder am vergangenen Weih-
nachtsfest. Und dem Bau halfen dann auch noch
der warme November und die warmen ersten
Dezembertage.
Aber zerreden wir es nicht. Bleibt zu wünschen,
dass der eine oder andere Braten mehr in den
Ofen kommt, die eine oder andere herrliche und
phantastische Nebensächlichkeit, die man schon
immer haben wollte, über den Ladentisch geht.
Und es bleibt zu hoffen, dass viele Familien für
sich eine freundlichere und friedlichere Zukunft
sehen. Es ist ein Wunsch, der gut zu Weihnach-
ten passt. Lesen Sie dazu auch, was junge Leute
an Freundlichem zu ihrer Zukunft zu sagen ha-
ben.
Verehrte Leserinnen und Leser von „Handwerk
im Winter“, es war und es ist für uns immer
wieder ein großes Vergnügen, die vielen Storys
aus der Welt des Handwerks zusammenzutra-
gen. Nur der Betriebsalltag spiegelt Handwerk
wider und nicht eine trockene Erzählung oder
Statistik von uns und über uns.
Bleiben Sie uns also auch im neuen Jahr weiter
gewogen. Danke an meine Mitarbeiter, die Aus-
gabe für Ausgabe ein Unikat schaffen, nur für
Sie. Danke an die Leute aus dem Mittelrhein-
Verlag (Rhein-Zeitung) und ihren Chef. Sie ma-
chen diese Verbindung Zeitung – Kammer – Le-
ser, die es in Deutschland so nicht noch einmal
gibt, erst möglich. Auch in konjunkturschwa-
chen Zeiten sind sie bei der Stange geblieben.
Danke Ihnen allen, meine Freunde des Hand-
werks, und eine gute Zeit.
Ihr
Dr. h.c. mult. Karl-Jürgen Wilbert
Schreiben Sie mir,
wenn Sie Kontakt wünschen:
Hauptgeschäftsführer Karl-Jürgen Wilbert ist
ein Fan von handwerklichem Meisterstollen.
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