Handwerk Special Nr. 106 vom 16. Juli 2005 - page 22

16. Juli 2005
Nr. 106
Handwerk und Kirche sind sich einig: Das Bewusstsein für Werte wächst
Der Vatikan stand besonders in den letzten Monaten im Blickpunkt.
Millionen Menschen haben das öffentliche Sterben von Papst Jo-
hannes Paul II. begleitet und sich gefragt, warum er sein Leiden mit
dem Leiden Christi identifiziert hat. Der deutsche Kardinal Joseph
Ratzinger ist heute Papst. Nachdenken über Religion steht auf der
Agenda. Es gewinnt an Bedeutung zusammen mit dem Bewusstsein
für Werte. Was sind Werte und wofür stehen sie? Wertekunde statt
Religionsunterricht? Wohin geht die Entwicklung?
Die HwK Koblenz, die jährlich
19.000 Handwerkslehrlinge in
überbetrieblichen Lehrgängen
betreut und eng mit Berufsschu-
lenundHandwerksbetrieben zu-
sammenarbeitet, hat mit Kir-
chenvertreternund einemHand-
werksmeister über Schule, Reli-
gion und Werte gesprochen.
Hintergrund des Gesprächs ist
die vomBerliner Senat geplante
Einführung des verpflichtenden
Werteunterrichts an den Schu-
len ohne die gleichberechtigte
Wahlmöglichkeit für den Reli-
gionsunterricht.
Biblische Botschaft und
christliche Ethik
„Der Religionsunterricht gehört
in die Schule. Wenn man ihn
abschafft, nimmt man den Ju-
gendlichen die Möglichkeit,
christliche Werte zu erkennen.
Man lässt die Menschen allein“,
darin gehen Dr. Markus Dröge,
Superintendent des evangeli-
schen Kirchenkreises Koblenz,
Ute Lohmann, Religionslehre-
rinanderBerufsbildendenSchu-
le Wirtschaft, und Elektromei-
sterChristophHansen,Obermei-
ster der Elektroinnung Koblenz
und Mitglied des Berufsbil-
dungsausschusses, konform.
„Gerade junge Menschen brau-
chen Orientierungsmöglichkei-
ten, die der Religionsunterricht
auf der Basis der biblischenBot-
schaft und der christlichen Ethik
liefert.“
Im Gespräch zu Religion und Wertevermittlung: Dr. Markus Dröge, Superintendent des
evangelischen Kirchenkreises Koblenz, Ute Lohmann, Religionslehrerin an der Berufs-
bildenden Schule Wirtschaft, und Elektromeister Christoph Hansen, Obermeister der
Elektroinnung Koblenz und Mitglied im Berufsbildungsausschuss (v.r.).
Ideelle Werte stehen
über materiellen
In ihrer praktischen Arbeit, im
täglichen Umgang mit jungen
Menschen, spüren sie deren„Su-
chenachinnererSicherheit,nach
einem inneren Kraftquell, die es
erlauben, mit den enormen An-
forderungen, die täglich auf sie
einstürmen, umzugehen“.Beire-
gelmäßigenBefragungen junger
Handwerkslehrlinge in „Hand-
werk Special“ nach ihren Wün-
schen wurde deutlich, dass ide-
elle Werte oft über materiellen
stehen, dass der Zusammenhalt
der Familie hoch geschätzt wird.
„SchlimmeresalsdieHoffnungs-
losigkeit,beispielsweisenachder
Lehre keine Arbeit zu finden,
gibt es nicht. Diese Trostlosig-
keit ist es, die Aggressionen frei
setzt, rücksichtslosen Umgang
miteinander fördert und gewalt-
bereit macht. Eigenschaften, die
wir bei Lehrlingen oft beobach-
ten“, betont Christoph Hansen.
„Die Betriebsinhaber müssen
sich darauf konzentrieren, Aus-
bildungsinhaltezuvermitteln.Es
ist daher nur schwer möglich,
zusätzliche Defizite in puncto
Benehmen auszugleichen“, fügt
er hinzu. Für ihn ist deshalb „re-
ligiöse Bildung und Erziehung
inSchuleundElternhaus“unver-
zichtbar.
In diesem Zusammenhang lobt
er das Engagement der HwK,
die in zahlreichen Ausbildungs-
maßnahmen mit Jugendlichen
Bildungund sozialpädagogische
BetreuungalsEinheit sieht.Han-
sens Meinung nach sollten sich
„WerteanchristlichenVorgaben“
orientieren,weilwir„inDeutsch-
land im christlich-abendländi-
schen Kulturkreis leben und
christlich geprägt sind“.
MarkusDrögeistüberzeugt,dass
die „Grundwerte in unserer Ge-
sellschaft ohnehin sehr viel mit
dem christlichen Menschenbild
zu tun haben, dieMenschen dies
aber nicht mehr wissen“. „Die
christlichenTraditionenmüssen
wieder stärker gelehrt werden,
damit die Werte, die jeder als
selbstverständlich empfindet,
auchBestandhaben.Nur sokön-
nen wir die Grundwurzeln unse-
Kevin Marschik (17),
Zimmererlehrling bei Fa.
Fingerhut, Neunkhausen
Im Moment weiß ich nicht,
woran ich glauben soll. Ver-
gangenes Jahr ist meine
Schwester bei einem Autoun-
fall ums Leben gekommen.
Sie war erst 24 Jahre. Mit ihr
ist ein Stück von mir gegan-
gen, denn sie war meine
wichtigste Bezugsperson.
Jetzt ist es sehr still zu Hause
und ich suche nach einer
Antwort, um ihren Tod zu
begreifen. Ich bin christlich
erzogen, glaubte an Gott.
Jetzt frage ich mich immer wieder, wie er den Unfall zulassen
konnte. Meine Eltern sagen, dass sie von ‚oben’ auf uns aufpasst.
Ist sie bei Gott? Dieser Gedanke gefällt mir dann doch.
Lehrlinge zu Glauben und Religion
Wie gehen Handwerks-
lehrlinge mit ihrem Glau-
ben um? Was ist ihnen
wichtig? Welche Rolle spielt
Gott, die Religion im All-
tag? Und wie beurteilen sie
die Bedeutung des
Religionsunterrichtes in der
Berufsschule?
„Handwerk Special“ be-
fragte Lehrlinge, die im
Rahmen der überbetriebli-
chen Ausbildung in den
Ausbildungswerkstätten der
Handwerkskammer Ko-
blenz ihren Beruf erlernen.
Eike Jacobs (17),
Maurerlehrling bei
Fa. Augel, Weibern
Ich bin römisch-katholisch,
war Messdiener und finde es
angemessen, an kirchlichen
Feiertagen in die Kirche zu
gehen. Mein Glaube sagt mir,
es ist jemand da, mit dem
man Zwiesprache führen
kann, nicht nur in weniger
guten Zeiten. Gott ist nicht
verantwortlich für das
Schlechte auf der Welt. In
diesem Sinne werde ich spä-
ter auch meine Kinder erzie-
hen. Religionsunterricht
brauche ich in der Berufsschule nicht mehr. Ich bin gefestigt im
Glauben und habe meine Orientierung. Meine Eltern haben mir
Werte vorgelebt.
Der Religionsunterricht
gehört in die Schule
Welche Rolle spielen religiöse Werte in unserer Zeit?
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