Friseurhandwerk: Unternehmen mit Geschichte(n) / Thema Lehre
13. November 2002
Nr. 90
Als er 1948 das erste Mal ran durfte, an die Kunden gehörte sie
bereits zum Kreise derer, die sich bei Vater Jakob die Haare wa-
schen, schneiden, legen ließen: Josi Hindersin aus Koblenz ist seit
der Gründung des Friseursalons Castor Kundin. Das Unternehmen
feierte jetzt seinen 75. Geburtstag...
Zeitreise mit Kamm & Schere
Ein Friseursalon feiert mit einer Kundin der ersten Stunde seinen „75.“
Nach Kriegsende veränderten
sich die Motive für den Friseur-
besuch: „Mit ihm verband sich
ein wichtiges Stück Normalität
imLeben,diezurückerobertwer-
den musste. Und darum, in einer
Zeit der wirtschaftlichen Not im
Arbeitsleben bestehen zu müs-
sen - dazu zählte ein ordentli-
ches Erscheinungsbild“. Noch
immer lag bei den Frauen die
Langhaarmode im Trend. „Das
bedeutete mehr Pflege der Haa-
re und dafür waren und sind wir
da.“
Haarige Pilze
Die Beatles-Zeit: Pilzköpfe.
Castor lacht. Ja, die Musik war
gut, aber die Haare... „Wer den
Schnitt einmal kopierteunddann
sichselbstüberließ,sahbaldnach
irgendwas aus, nur nicht nach
einem Pilzkopf!“ Schlussfol-
gerung: Die Beatles waren oft
beim Friseur.
Stichwort Trends: Sie gehen -
und kommen wieder. „Was ich
in der Lehre gelernt habe, war
inzwischen ein paar Mal wieder
In.“ Wissen, das er immer noch
anwendet, zu demaber in all den
Jahren auch immer wieder Neu-
es dazu kam. „Man lernt in unse-
rem Beruf ein Leben lang dazu,
Tag für Tag.“ Auch wenn Gün-
ter Castor vor acht Jahren das
Zepter umKamm&Scherewei-
tergab, schneidet er auf Kun-
denwunsch immer noch zwei
Mal in der Woche. „Weil es mir
Spaß macht.“ Und weil es
manchmal hilft, im vollen Salon
schneller Kundenwünsche zu-
frieden zu stellen.
Der zweite Blick
Die Blicke des Schuhmachers
fallen schnell auf das Schuh-
werk, der Schneider begutachtet
die Kleidung – und der Friseur?
„Der zweite Blick gilt der Fri-
sur, verbunden mit der Frage:
Würdest du es auch somachen?“
Dabei überzeugen Castor jun.
wie auch sen. die Haare nur,
wenn sie zum Gesamterschei-
nungsbild passen.
Für und Wider
Nach50JahrenBerufserfahrung:
Was gefällt Günter Castor an
seinemBeruf, was nicht? „Ganz
klar: Es macht Spaß, Menschen
besser aussehen zu lassen. Wir
verschaffen den Kunden eine
Verjüngungskur plusWohlfühl-
Und noch immer ist die rüstige
Koblenzerin Kundin. „So ist das
eben in unserem Handwerk:
Über das Haareschneiden hin-
aus entwickelt sich ein besonde-
res Verhältnis zwischen uns und
unseren Kunden“, begründet
Claudia Castor-Ott dieses Ver-
hältnis, über das sich jedes Un-
ternehmennurfreuenkann:Über
ein dreiviertel Jahrhundert ei-
nen Kunden für seine Arbeit zu
begeistern ist schon etwas ganz
Besonderes. Schon vom Groß-
vater ließ sich die Koblenzerin
die Haare schneiden, dann griff
Vater Günter Castor zu Kamm
und Schere. 1994 reichte er den
Stab weiter an seine Tochter.
Startschuss anno 1927
Wie alles begann: Am 13. Okto-
ber 1927 sitzt zum ersten Mal
jemand auf dem Stuhl vor Jakob
Castor - damals wie heute in der
Koblenzer Hohenzollernstraße,
inder dasUnternehmendreiMal
umzog. „Es wurden nicht nur
die Haare geschnitten“, erzählt
Günter Castor, 22 Jahre Ober-
meister der Friseur-Innung Ko-
blenz.„AuchzumRasieren,Haa-
rewaschen oder Hochkämmen
gingmanzumFriseur.“Alle acht
bis 14 Tage aufs Neue. „Auf ein
gepflegtes Erscheinen in der Öf-
fentlichkeitwurde sehr vielWert
gelegt, da gehörte die Frisur da-
zu. Eine „gepflegte“ Frisur zu
erkennen war aber auch einfa-
cher“, fügt Günter Castor hin-
zu. „Es war alles ordentlich und
präzise,klar
struktu-
riert auf
dem
Kopf.“
erlebnis.“ Die negativen Seiten?
„Man wird immer im Spiegel
beobachtet und muss stehen.“
Hat der alte Spruch: „DieNeuig-
keiten der Stadt erfährst du mor-
gen in der Zeitung, heute beim
Friseur“ noch immer seine Gül-
tigkeit? „Natürlich erfahren wir
viel, wenn der Kunde mit uns
vertraut ist. Vertrauen baut man
aber nicht auf, wenn man alles
wieder ausplaudert.“
Und wem vertraut er, wenn es
um den eigenen Haarschnitt
geht? Nur der meisterlichen
Hand seiner Tochter? „Nein. Da
ich von allen sechs Mitarbeitern
etwas halte, bin ich auch bei
allen Kunde.“
Ungewöhnliches im
gewöhnlichen Alltag
Abgesehen von seiner „Lang-
zeitkundin“ -welche ungewöhn-
lichenGeschichtenhaben75Jah-
re zu bieten? „Interessant wird
es immer, wenn Wetten einge-
löst werden. Dann fällt dieHaar-
pracht, oft bis zur Glatze.“ Be-
vor Castor´s hier die Schere an-
setzen, holen sie eine Kollegin
als „Zeugin“ hinzu. Nicht, dass
es beimBlick in den Spiegel mit
Schreck dann heißt: „Nein, so
wollte ichdas nicht!“.Dennauch
wenn Friseure einiges aus den
Haaren zaubern können, dann
sind sie machtlos...
Josi Hindersin geht seit 75
Jahren zur Haarpflege in den
Salon der Familie Castor.
Fri-
seur-
meiste-
rin schnei-
det dem
Friseur-
meister die
Haare:
Günter
Castor, der
1994 das
Unterneh-
men an
Tochter
Claudia
(stehend)
übergab.
Auch wenn
der Salon in
75 Jahren
drei Adres-
sen hatte -
er ist immer
in der
Koblenzer
Hohenzol-
lern-Straße
geblieben.
Top-Thema Ausbildung
Friseur-Lehrlingen neue Möglichkeiten bieten
Sie wollen ihren Lehrlingen die Möglichkeit bieten, über die
Ausbildung hinaus dazuzulernen: Friseurmeister, die mit ihren
Unternehmen nach den Grundsätzen der Biosthetik arbeiten. Im
Rahmen einer Informationsveranstaltung, zu der auch Vertreter
des Arbeitsamtes, der Berufsschule wie auch der
HwK Koblenz eingeladen waren, informierten die
Handwerksmeister - im Bild rechts Obermeister
Hans-Peter Münch - und Mitarbeiter von
Labothene Academy, die die Biosthetik-
Philosophie entwickelt haben, Lehrlinge über
Möglichkeiten und Inhalte der umfangreichen
Schulung, die nicht nur fachliches
Wissen, sondern auch den von
humanistischen Leitsätzen geprägten
Umgang mit dem Kunden vermittelt.