Handwerk im Winter vom 9. Dezember 2000 - page 11

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Letscherts
Jahrhundertgeschichte(n)
D i e
a r m e
Seele war
weit gereist.
In fremder Er-
de, weitab der Hei-
mat, fand der holländische
Seemann auf der Pazifikinsel Suma-
tra seine letzte Ruhe. Seemannsbrauch war
es dabei, dem Dahingeschiedenen die letzte
Reise mit der ein oder anderen Flasche ed-
len Gesöffs zu erleichtern. 300 Jahre ist der
Holländer nun tot, doch die Flaschen auf sei-
nemGrab habenWind undWetter überlebt
und irgendwann die Heimreise angetreten.
Sie stehen heute wenige Meter neben ihrer
Geburtstätte, einem Brennofen, auf dem
Schreibtisch von Peter Letschert in
Ransbach-Baumbach.
Auf 400 Jahre Unternehmensgeschichte bli-
cken die Letscherts heute zurück. Es ist die
unglaubliche Chronologie einerWesterwälder
Familie, die ihr Brot über Jahrhunderte mit
der Herstellung von Keramik erwarb, die als
eine der wenigen im Kannenbäckerland den
30-jährigen Krieg überlebte, die Albrecht
Dürer und die Gebrüder Grimm persönlich
kannte, die seit 1770 Krüge für Selterswasser
Familien- und Unternehmenschronologie schlägt vor 400 Jahren die erste Seite auf...
fertigte,
s p ä t e r
ex k l u s iv
für die Stein-
häger Schnaps-
brennererei die ty-
pischen rot-braunen
Flaschen brannte. Zur Chro-
nik zählen aber auch die Jahre, in
denen das Handwerk die Kinder der Familie
nicht satt bekam und einige nach Australien
und den USA auswanderten.
Ein Stück Geschichte schreibt schließlich der
Ofen, in dem Jahrhunderte nach dem gleichen
Verfahren gebrannt wurde, die gleiche Tech-
nik zum Einsatz kam: Bis auf 1300 Grad wur-
de das Tongut erhitzt, dann das Salz für die
typische Glasur zugegeben und der Ofen lang-
sam zumAbkühlen gebracht, umRisse zu ver-
meiden. Eine ganzeWoche dauerte dieser Pro-
zess, dann wurde die „Ofen-Tür“ – eine ge-
mauerte Wand – eingerissen. Teller,
Töpfe, Flaschen, Fässer, Scha-
len, Kannen, Becher, Krü-
ge... der Produktvielfalt
waren und sind kaum
Grenzen gesetzt.
Peter Letschert
übernahm den Be-
trieb 1976 und
nannte ihn in „Der
Schlondes“ um
(nach dem „Ofen-
Schlund“). Heute
gehört nicht nur die
Salzbrandkeramik
zu den Letschert-ty-
pischen Produkten;
auch eine Schreinerei
sorgt mit der Aufarbeitung
alter Möbelstücke für den un-
ternehmerischen Erfolg. Zur un-
ternehmerischen Philosophie des 48-
jährigen Keramik-Ingenieurs zählen jedoch
nicht nur hochwertige Keramiken und edle
Möbelstücke – auch kulturelle und künstleri-
sche Gedanken bringt er in das Unternehmen
mit ein, wie beispielsweise das traditionelle
Caféhaus-Festival, das am 16. und 17. Dezem-
ber stattfindet.
Darum, dass auch künftig der Name Letschert
mit Geschichte „gefüttert“ wird, muss sich
Peter Letschert nicht sorgen. Der Familienva-
ter hat zwei Söhne, einer erlernt im Unterneh-
men bereits das Schreinerhandwerk.
Fast 400 Jahre alt sind die
ältesten Keramikkrüge aus Ransbach-Baumbach. Neben
Mineralwasserflaschen wurden auch Schnapskrüge
gebrannt, so für die Firma Steinhäger.
Unten: Blick in den Ofen, der mehrere tausend Stück
Brenngut fasst.
Während der Lehre hatten beide vor allem
Schalen und Gefäße geformt. Dann gingen
Lies und Heinz Ebinger auf Reisen – und sa-
hen in der Toscana die Fliesenböden der Re-
naissance, die glasierten Terrakotta-Reliefs der
della Robbias. Zuhause, in ihrer 1960 in Bad
Ems gegründetenWerkstatt, setzten die
Ebeingers ihre Reiseerlebnisse kreativ um; der
Weg zur Baukeramik war beschritten.
„Zunächst haben wir einen Boden imRenais-
sancestil nur für uns gemacht“, erzählt Lies
Ebinger. Die ersten Aufträge lie-
ßen nicht auf sich warten.
Die Fliesen dafür
wurden per
Hand ge-
formt,
gla-
siert
und nach
eigenen Ent-
würfen bemalt,
Stoff für Fußböden, vor
allem in restaurierten Kirchen, aber
auch für erste Wandreliefs.
Lohn war bereits 1964 der Bayerische Staats-
preis, erster einer langen Reihe von Preisen,
u. a. 1980 der rheinland-pfälzische Staatspreis
Von
Renaissance-Böden
zu
Hundertwasser-Säulen
Lies und Heinz Ebinger gründeten vor vierzig Jahren ihre Keramikwerkstatt
für die Kachelöfen der Ebingers. 1976 mach-
te Tochter Katharina ihre Gesellenprüfung und
stieg in die Firma ein; mittlerweile sind auch
die drei Enkel der Firmengründer in ihr aktiv,
Paul, Benjamin und Bastian Driesch.
Die Liste der Projekte, die die Ebingers im
Laufe der Jahre gestalteten, ist lang, reicht vom
Limburger Dom über dieBonner Bundeskunst-
halle bis zu Hundertwasser-Projekten in Ja-
pan, die selbst Müllverbrennung schön und
farbig machen. Sieh
Seit vierzig Jahren
Keramik als Familiensache: Von l. n. r.
vorne: Lies Ebinger, Katharina Driesch-
Ebinger, Heinz Ebinger, hinten: Paul
Driesch, Georg Ebinger, Benjamin Driesch
und Rolf Spornhauer.
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