Handwerk Special Nr. 171 vom 29. Juni 2013 - page 12-13

Handwerker und ihr Restaurierungsobjekt Sayner Hütte
12
Nr. 171
29. Juni 2013
Weltweit einzigartige Halle ein Fall für Spezialisten
„Die Gießhalle Sayner Hütte gilt als weltweit einzigartige, erste
Industriehalle mit tragender Konstruktion aus vorgefertigten
gusseisernen Säulen und Trägern“, erklärt Werner Prümm,
Fachbereichsleiter in der Stadtverwaltung Bendorf.
Insofern kommt der Über-
arbeitung des gusseisernen
Tragwerkes eine besondere
Bedeutung zu, für die handwerk-
liche Spezialisten benötigt wer-
den, die nach strengenVorgaben
der Denkmalpflege den Guss
wiederstatischertüchtigen,mit
Korrosionsschutzversehenund
farblichandieOriginalgussfar-
beanpassen.Nacheingehender
Prüfung erhielen „Haber &
Brandner“ aus Regensburg
den Auftrag.
Gemeinschaftsprojekt um ein weltweit einzigartiges Denkmal
13
Nr. 171
29. Juni 2013
In die Jahrhunderte gekommen . . .
Spitzenleistungen bei Fer-
tigung und Ausführung
haben hier seit 1770 einen
festen Platz: Die Sayner
Hütte in Bendorf zählte
einst zu den drei Top­
adressen deutscher Gieß-
kunst. Doch das ist längst
Geschichte. Was aber bis
heute beeindruckt, ist die
Architektur dieses Indus-
triestandortes, bei dem
nicht galt: „Forms follows
function“.
Insbesondere die Gießhalle
beeindruckt mit ihren ästhetisch
anspruchsvollenDetaillösungen
und wunderschönen Vergla-
sungsarbeiten,dieGußtechniken
undGlaserarbeiteninbesonderer
Weisevereinen.Dassprichtnoch
immer für hohes Können wie
auch den Stolz, der sich mit der
Fertigung an und für diesen Ort
verbindet.
In die Jahrhunderte gekommen,
erfährt das Denkmal Sayner
Hütte aktuell eine grundlegende
Überarbeitung. Dabei greifen
Handwerker ganz verschiedener
Gewerke zu Werkzeug und Ma-
terial und sorgen unter anderem
für eine Restaurierung der Gieß-
halle vom Fundament bis zur
Oberkante des Hallendachs.
Arbeitsatmosphäre
wie vor 100 Jahren
Es hämmert, sägt, schleift und
rattert in der Gießhalle. Eine
Atmosphäre von Arbeit, wie
vor 100 Jahren, nur dass man
kaum sieht, wo es her kommt.
Denn der Innenraum des 1830
fertig gestellten Bauwerks ist
komplett eingerüstet und durch-
zogen von Arbeitsbühnen, auf
denen die Handwerker jeden
Winkel der Halle bequem und
sicher erreichen können. „60
Tonnen Gerüst haben wir innen
und außen aufgestellt“, fasst
Gerüstbauermeister Michael
Schwalb (Schwalb Gerüstbau
GmbH, Ransbach-Baumbach)
zusammen.NichtnurinderHalle
haben er und seine Mitarbeiter
ganze Arbeit geleistet. Mit dem
Aufbau eines Wetterdaches ist
die gesamte Gießhalle unter
den Gerüsten der Westerwälder
verschwunden und dieBaustelle
dankÜberdachungvorWindund
Wetter geschützt.
Das ist Voraussetzung für den
„Zugriff“ anderer Gewerke,
darunterDachdecker,Zimmerer,
Handwerk überarbeitet Gießhalle der Sayner Hütte vom Fundament bis zur Hallenspitze
Klempner, Tischler oderElektri-
kerbishinzumBlitzschutzbauer.
„Die Arbeiten sind sehr an-
spruchsvoll und eine echte hand-
werkliche Herausforderung“,
fasstDachdeckermeisterAndre-
asSplettstößer(Dachdecker-und
Klempnerbetrieb Splettstößer
GmbH, Bendorf) zusammen.
Teile des alten Daches mussten
abgerissen, kompliziert verwin-
kelte Elemente im Dachstuhl
neu gefertigt, Dachrinnen und
Anschlüsse montiert werden.
„Es ist schon etwas Besonderes,
hier Hand anzulegen“, haben
Andreas Splettstößer (er kennt
dieHüttebereitsausKindertagen
... auchalsAbenteuerspielplatz)
und seine Mitarbeiter ihre Visi-
tenkarte in diesem bedeutenden
Denkmal inunmittelbarerNach-
barschaft hinterlassen.
Ähnlich denkt auch Peter Wer-
hand (Werhand GmbH, Neu-
wied, Fachbetrieb für Dachde-
cker-,Klempner-,Schlosser-und
Metallarbeiten sowie Sanitär,
Heizung und Elektro) über sei-
nen Einsatz an der Sayner Hütte:
„Die Dachdeckerarbeiten in
Biberschwanztechnik sind nicht
ungewöhnlich, der Ort schon
eher.“ Über die Region hinaus
bekannt, steigt man mit einer
Mischung ausAchtungundVer-
antwortungsgefühlaufdasDach.
Drei Dachdecker von insgesamt
100 Mitarbeitern werden für die
neue Eindeckung der Gießhalle
sorgen, für die man rund drei
Wochen plant. „Wir werden
rund 420 Quadratmeter Dach in
leuchtendem Rot eindecken.“
Sind diese Arbeiten abgeschlos-
sen, werden die Blitzschutz-
Experten um Elektrotechniker­
meister Manfred und Matthias
Covi (Blitzschutz-Covi GmbH
& Co. KG, Arzbach) der Say­
ner Hütte aufs und unters Dach
steigen. Dabei sind ihre Ar-
beiten besonders geprägt vom
Denkmalschutz, denn die Ge-
bäudehülle soll möglichst im
Original-Erscheinungsbild und
ohne sichtbare Blitzableiter
erhalten bleiben. Auch im In-
nenbereich werden keine neuen
Blitzableiter verlegt. „Die Ge-
bäude-Stahlkonstruktion bildet
einen idealen Faradayschen
Käfig. Die Blitzschutz-Fang-
einrichtungen werden über
die geerdete Stahlkonstruktion
abgeleitet. Für Personen in der
Gießhalle gilt, bei Gewitter im
Innen-undAußenbereichjeweils
drei Meter Abstand zur Gebäu-
dekonstruktion zuhalten, umdie
RisikeneinerSchritt-undBerüh-
rungsspannungzubeherrschen“,
erklärtFachmannManfredCovi,
durch die Handwerkskammer
Koblenzöffentlichbestellterund
vereidigter Sachverständiger für
den Blitzableiterbau.
An den Übergängen vom ei-
sernen Tragwerk ins Fundament
hat das Unternehmen von Rai-
ner Franken (Franken GmbH,
Bendorf) Hand angelegt, was
vom „Freilegen der Gusskons-
truktion über Mauerwerks- und
Putzherstellung bis hin zu Tief-
„Jenseits des Guten und
Schönen: Unbequeme
Denkmale?“ ist das Motto
am diesjährigen Tag des
offenen Denkmals am 8.
September. Das Thema
lässt einen außerordentlich
weiten Interpretationsspiel-
raum und greift die zen-
tralen Fragestellungen der
Denkmalpflege auf. Was
ist wert, erhalten zu werden
und weshalb? Was macht
Denkmale unbequem und
warum? Gibt es überhaupt
„bequeme“ Denkmale?
Mehr Infos im Internet: tag-
des-offenen-denkmals.de
Veranstaltung
8.9.: Tag des
offenen Denkmals
bauarbeiten reicht“. Der Betrieb
mit 62Mitarbeitern hat sich über
Jahre einen erstklassigen Ruf in
der Denkmalpflege erarbeitet
und Diplom-Ingenieur Rainer
Franken selbst ist auch Restau-
rator im Maurerhandwerk. „Für
uns ist ein solch prädestinierter
Auftrag in unmittelbarer Nach-
barschaft natürlich mehr als nur
eine Baustelle“, spielt Bauleiter
Patrick Gerharz auf die Bedeu-
tung an. „Wir sehen es auch
als Referenzobjekt, das für das
Unesco-Welterbevorgeschlagen
ist, und sind stolz darauf, hier
mitzumachen.“
Bereits die Arbeiten abge-
schlossen hat Tischlermeister
Ernst Schumacher (Bau- und
Möbelschreinerei Schuma-
cher, Bendorf). Sein Betrieb
ist auf Entwurf, Fertigung und
Montage von Türen, Fenstern
und Treppen sowie Möbelbau
spezialisiert „und wir haben im
ersten Restaurierungsabschnitt
alle Fenster überarbeitet“. Eine
anspruchsvolle Arbeit, denn
Tausende Glasele­mente sind
markanter Teil des Gesamter-
scheinungsbildes. „Über 1.600
Scheiben wurden neu eingesetzt
und dafür 300 unterschiedliche
Modelle entworfen“, beschreibt
Schumacher die Herausfor-
derung. Ausgetauscht wurden
kaumnocherkennbare,100Jahre
alteGläserwie auch jüngere „Er-
satzlösungen“ aus Kunststoff.
Mit Ende der Restaurierungsar-
beiten wird in der Sayner Hütte
zwar kein Eisen gegossen, doch
das historische Wahrzeichen
der Ingenieurbaukunst wird in
neuem Glanz erstrahlen und
nicht nur die Geschichte eines
Jahrhunderte alten Industrie-
standortes erzählen, sondern
auch die über handwerkliche
Spitzenleistungen im Zuge der
Restaurierung.
Gerüst-
bauer
um Chef
Michael
Schwalb
(rechts
hinten)
bei der
Monta-
ge des
Wetter-
daches
in luf-
tiger Hö-
he über
der Gieß-
halle.
Gerüst-
bauer
bei der
Arbeit
über der
Gießhal-
le, deren
linker
Teil
(rotes
Dach)
bereits
restau-
riert ist.
Vier Unter-
nehmer,
deren Hand-
werksbe-
triebe die
Gießhalle (im
Hintergrund)
restaurie-
ren (von
links): Peter
Werhand,
An­dreas
Splettstößer,
Manfred Covi
und Rainer
Franken.
Beeindruckes Bauwerk: Im Innern der Gießhalle, deren vorderer
Bereich bereits überarbeitet wurde. Hinter der abgehängten Folie
läuft aktuell die Restaurierung (im Bauabschnitt 2 von 3).
Historischer Kran in der
Gießhalle, die komplett
eingerüstet ist.
Vorgestellt
Bauherr, Förderer, Berater
Mehrere Partner,
darunter Stadt,
Kreis, Land und
Bund, sorgen
gemeinsam dafür,
dass die Sayner
Hütte wieder in al-
tem Glanz erstrahlt.
Der „Ausbau des
Denkmalareals Sayner
Hütte“ wird gefördert
durch die Bundesre-
publik Deutschland
(vertreten durch das
Bundesministerium
für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung)auf-
grund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages. Bauherr ist
die Stadt Bendorf.
Weitere Förderer sind das Land Rheinland-Pfalz (über die drei
Ministerien des Innern, für Sport und Infrastruktur sowie für
Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur sowie für
Wirtschaft, Klimaschutz, Energie und Landesplanung), der
Landkreis Mayen-Koblenz (Wirtschaftsförderungsgesellschaft
am Mittelrhein mbh), die Deutsche Stiftung Denkmalschutz mit
Hilfe der Lotterie Glücksspirale. Die baufachliche Beratung und
Förderung hat die Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-
Pfalz übernommen, die ebenfalls Förderer ist.
Entglasung der Laternenfenster durch das Unterneh-
men Ernst Schumacher, Bendorf.
weitere Handwerksbetriebe
An Restaurierung und
Sanierung der Gießhalle
Sayner Hütte haben auch
diese Handwerksbetriebe
mitgearbeitet:
Gerüstbau Firma BSB, 41564
Kaarst; Holzbau Lehmann
GmbH, 55543BadKreuznach;
MK Objekt GmbH, 55481
Kirchberg; Haber &Brandner
GmbH, 93057 Regensburg;
Bald Zimmerei & Sägewerk,
57223Kreuztal-Littfeld;Holz-
werkstatt Mike Dietze, 56753
Trimbs.
Ein Mitar-
beiter der
Tischle-
rei Ernst
Schuma-
cher bei
der Entgla-
sung der
Laternen-
fenster.
Foto: Karl-Rudolf Goergen
Foto: Karl-Rudolf Goergen
1...,2,3,4,5,6,7,8,9,10,11 14,15,16,17,18,19,20,21,22,23,...24
Powered by FlippingBook