Handwerk Special Nr. 158 vom 24. März 2012 - page 3

Das Handwerk zeigt sich für Jugendli-
che attraktiv. Trotz erster Einflüsse aus
der Demografie weist die Lehrlingsrolle
der HwK Koblenz – entgegen einem
ersten Trend in Rheinland-Pfalz – kons­
tante Zahlen aus.
Dennoch bleibt die frühzeitige Fach-
kräftesicherung als Thema aktuell, auch
für HwK-Präsident Werner Wittlich im
Gespräch mit Handwerk Special.
Die Zahlen für 2011 liegen vor – was tut sich in Sachen
Lehre im Handwerk?
Unsere Lehrlingsrolle zeigt deutlich, dass junge Menschen das
Handwerk als Startposition für ihre beruflicheZukunft fest einpla-
nen. 9.461 Jugendliche erlernen derzeit in der Wirtschaftsregion
Mittelrhein einen Handwerksberuf, darunter 3.561 Mädchen
und Jungen, die im vergangenen Jahr neu hinzugekommen sind.
Damit liegen wir nur knapp unter dem Vorjahresniveau, das
mit 69 Lehrverträgen oder 1,9 Prozent höher abschloss. Ein-
zelne Regionen in Deutschland müssen dagegen bereits einen
Einbruch von mehr als 20 Prozent verkraften. Gemeinsam mit
unseren Betrieben habenwir auch inwirtschaftlich schwierigeren
Zeiten nach Wegen gesucht, möglichst viele Lehrstellen bereit
zu halten und die Botschaft: „Handwerk bietet Jugendlichen
attraktive Berufsmöglichkeiten“ mit Leben zu erfüllen. Dieser
Einsatz, den die Ausbildungsberater der Handwerkskammer
und die Lehrlingswarte der Innungen wesentlich begleitet haben,
zahlt sich heute aus. Darauf ruhen wir uns nicht aus, denn wir
verzeichnen auch Schwankungen in einzelnen Berufsgruppen.
Während die Elektro- und Metallhandwerke – hier traditionell
auch das Kfz-Handwerk – Zuwächse verzeichnen und sich die
Bau- und Ausbauhandwerke stabilisieren, stagnieren beispiels-
weise die Nahrungsmittelhandwerke. Gerade für sie versprechen
wir uns neue Impulse, wenn wir jetzt bald unser neues Zentrum
für Ernährung und Gesundheit in Betrieb nehmen.
Wo sehen Sie Fortschritte in der heute schon akuten Zu-
kunftsaufgabe Fachkräftesicherung und Demografie?
Wie attraktiv sich das Handwerk in seiner Vielfalt von mehr als
130 Ausbildungsberufen zeigt, unterstreicht die bundesweite
Imagekampagne bereits seit gut zwei Jahren. Das ist bei den
Jugendlichen angekommen. Auch dass die erfolgreich abge-
schlosseneHandwerkslehrekeineSackgasse ist,wissendie jungen
Leute. Und damit meine ich nicht nur die Aufstiegsfortbildungen
innerhalb des Handwerks, wie beispielsweise zum Meister. Bei
der Durchlässigkeit zum Fach- und Hochschulstudium wie auch
bei der Konzeption Dualer Ausbildungsgängen, die Lehre und
Studium vereinen, sind wir in unserem Bundesland – sportlich
ausgedrückt – an der Tabellenspitze. Nach langem Ringen haben
wir es endlichaucherreicht, dass derMeisterbrief imEuropäischen
QualifikationsrahmendemBachelor-Abschlussgleichgestelltwur-
de.Nebenbeigesagt:DiedeutschenMeisterkursefordernvonihren
Teilnehmerndeutlichmehr, als somancherBachelor-Studiengang
in unseren Nachbarländern. Kurzum: In Sachen Gleichwertigkeit
beruflicher und schulischerBerufsbildung sindwirRiesenschritte
vorangekommen. Positives Indiz dafür ist schließlich auch, dass
die rot-grüneLandesregierung die geplante Förderkürzung für die
überbetrieblicheAusbildungbei denKammern zurückgenommen
hat. Das war das richtige Signal!
Wo gibt’s Handlungsbedarf?
ImDialogmitdenSchulen.ZweiBereichesindmirwichtig.Erstens
dürfen wir nicht locker lassen, wenn es darum geht, dass Schule
die Vermittlung und Einübung von Sozialkompetenzen wieder
neu belebt. Glücklicherweise darf man heute ja wieder halblaut
sagen, dass Einsatzwille, Zuverlässigkeit und Umgangsformen
– früher alsMitarbeit und Betragen benotet – zur Berufsreife dazu
gehören. Zweitensmüssenwir die frühzeitigeBerufsorientierung,
wie wir sie in Zusammenarbeit mit Handwerksbetrieben und
unseren Berufsbildungszentren in den Ganztagsschulprojekten
erfolgreich praktizieren, ausbauen und auf alle Schulformen
erweitern. Denn die Generation Smartphone braucht mehr denn
je das praktische Erleben.
Karriere mit Lehre – Engagement von Handwerk und Kammer
3
Nr. 158
24. März 2012
Machen, etwas wagen . . . !
Wer Abuzer Colak in sei-
nem Betrieb „Colak Me-
tallbau“ in Urmitz/Rhein
besucht, trifft auf einen
Vollblutunternehmer. Der
aus der Türkei stammen-
de Metallbauermeister
lebt seit 1979 in Deutsch-
land. Hier hat er seinen
beruflichen Weg gemacht.
1994 gründete er eine Metall-
baufirma und hat sie vielseitig
aufgestellt. Er qualifizierte sich
bei der Handwerkskammer
Koblenz zum Europäischen
Schweißfachmann und expan-
dierte 2000 ins Ausland. Auch
in Bosnien ist das Unternehmen
inzwischen vertreten und hier
unter anderem für den Maschi-
nenbau zuständig.
Bei seinen Mitarbeitern und Be-
werbern für einen Ausbildungs-
platz schaut er auf die Motiva-
tion, nicht auf die Nationalität.
Jetzt wurde er im Rahmen des
Projekts derHandwerkskammer
Koblenz „Handwerk integriert
Migranten“ (HiM) beim Wett-
bewerb der „bigFM-Initiative
für Integration 2012“ mit einer
Urkunde geehrt.
Steiniger Weg
zum Erfolg
„Was hast du?“ Die Betonung
liegt auf dem ersten Wort. Es
klingt nicht genervt oder gehetzt.
Colak hört sich jedes Anliegen
seiner Mitarbeiter an, auch
wenn er eigentlich gerade mit
anderen Dingen beschäftigt ist.
Und beschäftigt ist der Metall-
bauermeister so gut wie immer.
Er ist ein Perfektionist bei der
Abwicklung von Aufträgen und
legt auch in der Werkstatt selbst
mit Hand an. Den Chefstatus
stellt er nicht zur Schau. „Man
sollte Vorbild sein, darf aber nie
Türkischer Handwerksmeister Colak für Engagement geehrt
Nachgefragt
Stärker in Schulen ansetzen
Integration
2011 wurden im Rahmen
des Projektes Handwerk
integriert Migranten (HiM)
450 Migranten beraten und
180 von ihnen individuell
betreut. 70 Tutoren wurden
gewonnen und 170 Prak-
tikums- sowie 130 Aus-
bildungsplätze akquiriert.
Sprachliche und fachliche
Förderung zur Vorbereitung
auf die Zwischen- und Ab-
schlussprüfungen sowie auf
die Ausbildereignungsprü-
fungen runden das Engage-
ment um die Integration ab.
Infos zum Projekt HiM,
Tel.: 0261/ 398-324, E-Mail:
Foto: P!ELmedia
HwK-Präsident
Werner Wittlich
Wir setzen auf nachwachsende
Ressourcen: Azubis.
Klar kann man in Aktien, Gold oder Immobilien investieren. Wir investieren aber lieber in unsere Lehrlinge. Denn
dank der exzellenten Ausbildung bleibt ein Gesellenbrief auch in turbulenten Zeiten ein krisenfestes Papier und ein
Garantieschein für innovative und nachhaltige Produkte aus Deutschland. Und das ist dann für alle ein Gewinn.
|
die Bodenhaftung verlieren“,
sagt der Geschäftsmann.
Bis der 49-Jährige angekom-
men ist, wo er heute steht, war
es jedoch ein steiniger Weg:
Gastarbeiterkind in den 70er
Jahren. Ausbildungsplatzsuche
Anfang der 80er Jahre. Eine
Absage nach der anderen. Ob
dies auch an seinen schwarzen
Haarenlag,vermagerheutenicht
mehr zu sagen. Das Unterneh-
mertum hat der Meister selbst
gewählt. Teils auch „aus Wut“,
weil er als Angestellter keine
Fortbildungschance bekam.Aus
eigenem Erleben weiß er, wie
schwierig es oft für Jugendli-
che mit Migrationshintergrund
ist, einen Ausbildungsplatz zu
finden. Deshalb unterstützt er
die Aktion HiM.
„Es ist gut, wenn Migranten, die
im Handwerk Fuß gefasst und
sich eine Existenz aufgebaut
haben, als Paten auftreten und
jungen Leuten Mut machen“,
betont er. Er bildet selbst aus
und hat die Erfahrung gemacht:
Auf die Nationalität kommt es
nicht an. Was zählt sind Fleiß,
Motivation, Umgangsformen,
Interesse an der Materie und
Deutschkenntnisse. „Wir sind
alle nur Gäste auf dieser Erde“,
sagtderHandwerksmeister.Des-
halb arbeiten bei Colak zurzeit
Handwerker aus elf Nationen,
darunter Deutsche, Türken,
Bosnier, Polen, Spanier und
Kongolesen. „Unser Motto lau-
tet,TechnikverbindetKulturen“,
betont Abuzer Colak.
29 Lehrlinge wurden bisher in
der Firma Colak ausgebildet.
AllenBerufsanfängernempfiehlt
er: „Machen, machen, machen
– und auch mal etwas wagen:
Entweder es klappt oder eben
nicht. Aber, wer seinen Job
versteht, kommt voran.“
Steckbrief: Colak GmbH, Urmitz
Gegr. 1994 | 35 Mitarbeiter ( 4 Meister, 2 Lehrlinge) | Metallbau-
Stahlbau | Tel.: 02630/ 960520 |
Immer ganz nah dran an seinen Mitarbeitern aus elf
Nationen: Abuzer Colak (Mitte).
1,2 4,5,6,7,8,9,10,11,12-13,14,...24
Powered by FlippingBook