Handwerk Special Nr. 125 vom 25. Oktober 2008 - page 16-17

Im Gespräch mit dem ...
Nr. 125
25. Oktober 2008
Integration über Sprache
Seine Formel lautet: Es gibt eine Integrationsunwilligkeit
der Muslime und eine Integrationsunfähigkeit der Europäer.
Professor Dr. Bassam Tibi (s. nebenstehendes Interview)
eröffnet mit seinem Thema „Facetten der Toleranz in Bil-
dung, Beschäftigung und Zivilisation“ am 10. November
die 32. Lehrerinformationstage bei der HwK Koblenz.
10.-14. November: Lehrer-Info-Tagemit hochkarätigemProgramm
Zur Person: Professor Dr. Bassam Tibi
Bassam Tibi wurde
1944 in der syrischen
Hauptstadt Damaskus
geboren. 1962 kam er
nach Deutschland und
studierte Sozialwis-
senschaft, Philosophie
und Geschichte.
Tibi ist Moslem und Alt-68er.
Seit 1973 ist er Professor für
Internationale Politik an der
UniversitätGöttingen.Erlehrte
und forschte als Gastprofessor
an zahlreichen Universitäten,
unter anderem in der Schweiz,
im Sudan, Indonesien und
immer wieder in den USA.
Er hat mehr als 30 Bücher
geschrieben, u.a. „Mit dem
Kopftuch nachEuropa?“, „Die
islamische Herausforderung
–ReligionundPolitik imEuro-
pa des 21. Jahrhunderts“.
... Göttinger Politikwissenschaftler
Nr. 125
25. Oktober 2008
Die Zukunft ist Toleranz
Bassam Tibi, Professor für Inter-
nationale Politik an der Universi-
tät Göttingen und einer der füh-
renden Islam-Experten weltweit,
Gastprofessor an Universitäten
auf vier Kontinenten, wird am
10. November die 32.
Lehrerinformati-
onstage bei der
HwK Koblenz
eröffnen. Hand-
werk Special
hat den Poli-
tologen vorab
in seinem
Büro an der
Universität
in Göttingen
getroffen.
Bassam Tibi: „Herzen und Seelen der Menschen gewinnen“
HS 100
Sie stehen an
prominenter
Stelle ihre
Frau oder
ihren Mann in
Politik und
Wirtschaft,
Gesellschaft
und Religion,
Kultur und
Medien.
Gerne
waren sie
alle bereit,
exklusiv
für Hand­
werk Spe­
cial Rede und Antwort
zu stehen. In der Jubi­läumsausgabe HS
100 am 1. September 2004 waren bereits 41 herausragende
Interviewpartner gelistet – und der Ratsvorsitzende der
evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Professor Dr.
Wolfgang Huber, sprach ausführlich über „Verantwortung und
Respekt statt Wellness-Religion“.
HS 18
Der 1991
amtierende
Bundesumwelt­
minister
Professor Dr.
Klaus Töpfer
präsentiert
als Interview­
partner in der
Ausgabe 18
ein neues
Plakat, mit
dem die
3. Messe
am Rhein:
Hand­
werksmes­
se Koblenz und die
dort präsentierten Umweltthemen und
Beratungsdienstleistungen der HwK Koblenz beworben wurden.
Sie muss Kenntnisse der Ge-
schichte der europäischen und
der anderen Weltkulturen ver-
mitteln.DazugehörtWissenüber
Grundlagen und Entwicklung
der identitätsstiftenden Werte
der europäischen und auch der
anderen Zivilisationen. Es ist
erforderlich, sichmit denGrund-
werten auseinanderzusetzen
und das Urteilsvermögen über
ihre Licht- und Schattenseiten
zu schärfen. Bildung muss zu
einem Dialog befähigen, der
nicht spaltet, sondern klärt und
gegenseitigesVerstehen fördert,
ohne denKonflikt zuverschwei-
gen. Wichtig ist, dass alle, die
an der Bildung und Erziehung
von jungen Menschen mit
Migrationshintergrund mitwir-
ken, interkulturell sensibilisiert
werden.
Trägt die geforderte
Einsprachigkeit zur so-
zialen Bindekraft an der
Schule bei oder bedeutet
sie eher Abwertung der
Herkunftssprache der
Schüler und ihrer Kultur?
Die Forderung der deutschen
Sprache für alle hier lebenden
jungen Menschen mit Migrati-
onshintergrund ist keineAbwer-
tung, sondern eine Notwendig-
keit.UmihnenZukunftsperspek-
tiven zu eröffnen, müssen sie die
Möglichkeithaben,inderSchule
die deutsche Sprache perfekt zu
lernen. Nur so haben sie eine
Chance auf gute Ausbildung,
dieeinesozialeMarginalisierung
unterbindet.
Lassen sich Toleranz und
Offenheit als normales
Programm der Erziehung
in der Schule realisieren?
Schule ist ein Ort, an dem
Menschen geprägt werden. Die
Zukunft ist Toleranz. Deshalb
gehört es zum Schulauftrag, To-
leranz und Offenheit zu lehren.
Aber Toleranz hat auchGrenzen
und bedeutet nicht Selbstaufga-
be. Sie bedeutet Anerkennung
vondemokratischenSpielregeln
und steht nicht für Nachgiebig-
keit und Schwäche.
Was halten Sie von
Islamunterricht an
deutschen Schulen?
Ich bin für den Islamunterricht.
Aber er muss in deutscher Spra-
che erteilt und von der Schulauf-
sicht auf demokratische Inhalte
überprüftwerden. Ermuss andie
Normen des Grundgesetzes ge-
bunden sein und ist von Lehrern
zu erteilen, die dafür ausgebildet
und vom Land eingestellt sind.
Stichwort: Einbürgerungs-
test. Ist man nach Beste-
hen des Einbürgerungs-
testes besserer Deutscher?
Nein. Seine Wirkung ist be-
grenzt. Zur Integration bedarf es
mehr, als einenTest zubestehen.
Man kann ihn auswendig lernen.
Integration bedeutet das Gefühl
der Zugehörigkeit. Nehmen Sie
mich. Ich spreche ohne Akzent
deutsch, habe 27 Bücher auf
Deutsch geschrieben, bringe
deutschen Studenten ihre Ge-
schichte bei, bin Träger des
Bundesverdienstkreuzes erster
Klasse. Trotzdem reicht das
alles nicht, um als Deutscher
anerkannt zu werden. Hier sind
die deutschen Bürger gefordert.
Sie müssen Menschen mit
Migrationshintergrund ohne
Vorurteile annehmen und ihnen
das Gefühl geben, angekommen
zu sein. Integration darf keine
Einbahnstraße sein.Wer sichmit
demHerzeneinbringt,mussauch
von Herzen willkommen sein.
Nachzulesen in ...
In seinem zuletzt er-
schienenen Buch „Die
islamische Herausfor-
derung – Religion und
Politik im Europa des 21.
Jahrhunderts“ fordert
Professor Dr. Bassam
Tibi die in Deutschland
lebenden Muslime auf,
die demokratischen
Grundlagen ihres Gast-
landes zu akzeptieren.
Er ist leidenschaftlicher Ver-
fechter der Trennung zwischen
Religion und Politik. Für ihn
gibt es Platz für den Glauben
nur, wenn er keine ewig gül-
tigen Weisheiten propagiert,
sondern Zweifel zulässt und
dadurchmitWertenwieDemo-
kratie, Toleranz, Pluralismus
vereinbar ist. Tibi plädiert
für säkulare Demokratie und
die Anerkennung der indivi-
duellen Menschenrechte und
der angeborenen Würde der
Menschen. Dennoch warnt er
vor zuviel Toleranz gegenüber
Glaubensbrüdern, die unter
dem Gesetz der Scharia leben
wollen. Scharia und Grundge-
setzvertrügen sichmiteinander
wie Feuer und Wasser.
„Eine Anekdote ...
... möchte ich gern noch erzählen: Als ich an einem
Wintermorgen Bonn besuchte, fragte mich ein Staats-
sekretär mitleidsvoll, ob ich nicht besonders friere, weil
mein Zuhause doch so warm sei. „Wieso?“, fragte ich
ihn zurück, „in Göttingen ist es doch noch viel kälter.“
Im Gespräch geht es
unter anderem um isla-
mischen Religionsun-
terricht an rheinland-
pfälzischen Schulen,
um Integration, die
keine Einbahnstraße
sein darf und warum er
Kulturpluralismus einer
multikulturellen Gesell-
schaft vorzieht.
Bassam Tibi ist ein Mann klarer
Worte. In Sekundenschnelle
stelltsichdergebürtigeSyrer,der
seit 1976 deutscher Staatsbürger
ist, auf seinen Gesprächspartner
ein. Die meisten Fragen dürfte
er schon tausend Mal gehört
haben. Aber er antwortet mit
voller Konzentration und nimmt
dabei kein Blatt vor den Mund.
Für den Islam­experten lässt sich
Integration nicht per Gesetz
verordnen, sondern hat viel mit
Gefühl zu tun. Man kann sie
nicht erzwingen, sondern muss
die Herzen und Seelen der Men-
schen gewinnen. „Bürger von
Herzenwirdmannicht durchdas
Überreichen des Passes. Das ist
ein emotionalesZugehörigkeits-
gefühl und erst wenn Toleranz
und gegenseitiges Verständnis
dominieren“, so Tibi, gäbe es
„Licht am Ende des Tunnels“.
Das Gespräch
im Wortlaut
Herr Professor Tibi, Sie
werden bei der HwK
Koblenz vor Lehrern und
Ausbildern sprechen. Was
muss unsere Bildungs-
arbeit künftig verstärkt
leisten, wenn sie die her-
anwachsende Generation
auf die Anforderungen
des interkulturellen Di-
alogs vorbereiten soll?
Der in Syrien geborene Buchautor und Professor Dr. Bas-
sam Tibi lehrt in Göttingen Politikwissenschaften.
Die HwK engagiert sich in
Aktionen wie der Initiati-
ve „Handwerk integriert
Migranten“ und dem
„Interkulturellen Tag der
Begegnung“. Wie beur-
teilen Sie diese Form der
Integrationsförderung?
Für die Integration sinddrei Ebe-
nen wichtig: die juristische, die
kulturelleunddiewirtschaftliche
Ebene. Die juristische, das heißt
die Einbürgerung durch Passü-
bergabe, ist die leichteste. Die
kulturellebeinhaltetnichtnurdas
Erlernen der deutschen Sprache,
sondern auch die Aneignung
der Werte der Zivilgesellschaft.
Dann kommt diewirtschaftliche
Integration am Arbeitsplatz.
Nach dem Schulabschluss be-
ginnen aber nur 50 Prozent der
Schüler mit Migrationshinter-
grund eine Lehre. Deshalb ist
das Engagement der Hand-
werkskammer Koblenz, diese
jungen Menschen bei der Suche
nach einem Ausbildungsplatz
zu unterstützen, sehr hoch zu
bewerten.Denn Integrationohne
Ausbildungs- oder Arbeitsplatz
gibt es nicht. Die jungen Leute
ohne Lehrstelle fühlen sich von
der Gesellschaft ausgegrenzt,
was zwangsweise zu sozialen
Konflikten führt. Allerdings
müssen die Angebote von ihnen
auch angenommen und nach in
Deutsch­land zählenden Werten
wie Fleiß, Zuverlässigkeit und
Pünktlichkeit mit Leben erfüllt
werden. Ich bin überzeugt, dass
Handwerksbetriebemit ihrenoft
familiären Strukturen auf dieser
Basis sehr gut zur Integration
beitragen können.
Von Ihnen stammt der
Begriff der europäischen
Leitkultur. Was ist dar-
unter zu verstehen?
Ich denke, dass im Zeitalter der
Globalisierung sich keiner nur
auf die eigene Kultur beschrän-
ken und auf den Austausch
von Kulturen verzichten kann.
Voraussetzung für ein demokra-
tisches Europa ist, ein eigenes
Wertebewusstsein zu haben, um
sich auf dieser Basis für andere
Kulturen zu öffnen und sich mit
ihnen auseinanderzusetzen. Ich
bin für einen Wertekonsens, der
auf fünf Segmenten basiert, die
verpflichtend und bindend sein
sollten: strikte Trennung zwi-
schenReligionundPolitik,Beja-
hung der säkularen Demokratie,
Achtung der individuellenMen-
schenrechte wie Glaubensfrei-
heit, Gleichheit der Religionen
und Geschlechter, Pluralismus
sowie säkulare Toleranz und
Zivilgesellschaft. Diese Werte
sind nicht verhandelbar, weil sie
den Kern der Zivilgesellschaft
ausmachen.
Sie sind gegen eine mul-
tikulturelle, plädieren
für eine kulturplura-
listische Gesellschaft.
Was ist das Problem des
Multikulturalismus?
Multikulti heißt nach meinem
Verständnis nebeneinander und
„anything goes“. Wir brauchen
aber kein Neben-, sondern ein
Miteinander.Multikulturalismus
schreibt einen Rechtsanspruch
auf das kulturelle Anderssein
als Grundrecht fest. Ich bin
gläubiger Muslim, aber ich will
nicht unter der Scharia stehen.
Deshalb bin ich gegen eine mul-
tikulturelle, aber für eine kultur-
pluralistische Gesellschaft. Wir
brauchen keine Wertebeliebig-
keit, sondern einen Wertekon-
sens.Kulturpluralismusbedeutet
nicht nur Vielfalt, sondern auch
Gemeinsamkeit – nämlich die
Verständigung auf Basiswerte,
auf eine Hausordnung, eben die
europäische Werteordnung. Es
darf kein kulturelles Grundrecht
geben, das Gläubigen erlaubt,
andere alsUngläubige zuächten,
anzugreifen oder gar zu töten.
Was liegt Ihnen als be-
kennender Moslem und
deutscher Staatsbürger
besonders am Herzen?
Mein Hauptwerk in den letzten
zehn Jahren war der Einsatz für
die Idee eines Europas auf einer
kulturübergreifendenEbene. Ich
habesievoneinemJudengelernt,
der Opfer des Dritten Reiches
war: Max Horkheimer. Ich
möchte keine Gewalt in Europa
sehen. Ich liebe Deutschland.
Und ich habe Angst, dass sich
solche Dinge wie der Aufstand
junger Muslime in den Pariser
Vorstädten vor drei Jahren, die
nicht nur Autos, sondern auch
Bildungsstätten zerstörten und
so ihre Ablehnung Europas zum
Ausdruck brachten, wiederho-
len. Es gibt in Europa zurzeit ca.
20 bis 23 Millionen Muslime.
Noch besteht die Möglichkeit,
sie für Europa und seine Werte
zu gewinnen. Einen Islamismus
möchte ich in Europa und in
Deutschland nicht erleben.
Ihr ganz persön-
licher Wunsch?
Im kommenden Jahr werde ich
pensioniert.Ichhabeimmernoch
die Hoffnung, in Deutschland
nicht als Fremder zu sterben,
sondern als Angehöriger der
Gemeinschaft, in der ich seit
vielen Jahren lebe.
Mit- oder gegeneinander?,
so das Thema des Erfah-
rungsberichts des Leitenden
Polizeidirektors JürgenMo-
sen.UmdasMiteinandervon
Jugendlichen verschiedener
Nationalitäten in Schule und
Freizeit geht es imImpulsreferat
vonSchulleiter IngoNoak. TuS-
Trainer Uwe Rapolder berichtet
überdieBegegnungunterschied-
licher Kulturen im Sport.
Der Wunsch der Lehrer, von
Fachleuten etwas über hand-
werkliche Fertigkeiten zu erfah-
ren, die sich im Schulalltag, so
im Fach Arbeitslehre, umsetzen
lassen, ist besonders groß. So
gehtesimWorkshop„Kunststoff
– ein Werkstoff mit vielfältigen
Gestaltungsoptionen“ um Ver-
und Bearbeitung von Alltags-
gegenständen aus Kunststoff.
Rhetorische Fähigkeiten, bei-
spielsweise beim Streit schlich-
ten, werden während eines
Kommunikationstraining im
Fernsehstudio des HwK-Kom-
petenzzentrums trainiert.
IndreiWorkshopsmitDozenten
und Ausbildern der Pädago-
gischen Anlaufstelle der HwK
und Beratern der Agentur für
Arbeit informieren sich die
Lehrer über Möglichkeiten der
FörderungdurchdieBerufsbera-
tung, -vorbereitung und -ausbil-
dung und über HwK-Angebote,
Schülern beimStart in denBeruf
zu helfen. Die Lehrer sind zum
praktischenArbeitengemeinsam
mit den Lehrlingen eingeladen.
Aktive Berufsorientierung be-
ginnt für die HwK bereits in der
Grundschule. Mit Schulfesten,
Juniortechnikertagen und dem
HelleWecKs-Projekt wird Kin-
dernundJugendlichenfrühzeitig
„Lust auf Handwerk“ gemacht.
Spannung versprechen die Im-
pulsreferatevonStaatssekretärin
Vera Reiß, Ministerium für
Bildung, Wissenschaft, Jugend
undKultur, Mainz und der HwK
mit dem Schwerpunkt „Morgen
Meister!-Unterrichtsmaterialien
zur Berufsorientierung“.
Die HwK-Lehrerinformati-
onstage sind eine in ihrer Art
bundesweit einmalige Veran-
staltung. Mitveranstalter sind
die Aufsichts- und Dienstleis-
tungsdirektion, Außenstelle
Schulaufsicht Koblenz, und die
fünf Agenturen für Arbeit im
nördlichen Rheinland-Pfalz. Es
ist ein Angebot für Lehrer aller
allgemeinbildenden Schulen.
18.000 Teilnehmer besuchten
bisher diese anerkannte praxis-
nahe Fortbildung.
Informationen und An-
meldung zu den Lehrerin-
formationstagen bei der
Pädagogischen Anlauf-
stelle der HwK, Tel.: 0261/
398-324, Fax: -989, E-Mail:
Lehrer
lernen
in der
Praxis
der HwK-
Berufs-
bildungs-
zentren
grund-
legende
hand-
werkliche
Fertig-
keiten
kennen.
1...,6,7,8,9,10,11,12,13,14,15 18,19,20,21,22,23,24,25,26,27,...32
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